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Symposium in Berlin

Auf Symposium: Landesbäuerin Singer greift Cem Özdemir an

Landesbäuerin Christine Singer
Bettina Hanfstingl
am Dienstag, 16.05.2023 - 17:23

Bei einer Fachveranstaltung zur psychischen Gesundheit in der grünen Branche übt die Landesbäuerin scharfe Kritik an Özdemir.

Berlin - Ganz still wurde es im Saal, als Landwirt Christoph Rothhaupt aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld von der dunkelsten Zeit seines Lebens erzählte. Nach dem Tod des Vaters rutschte der Milchviehhalter immer tiefer in eine Depression. „Irgendwann dachte ich, dass es besser sei, wenn ich einfach nicht mehr da bin“, sagte er zurückblickend. Doch Rothhaupt überwand diese Krise. Er möchte durch das Teilen seiner Erfahrungen nun dazu beitragen, diese Krankheit zu enttabuisieren.

Er tat dies im Rahmen eines zweitägigen Symposiums der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) in Berlin. Zu Wort kamen Wissenschaftler und soziale Dienstleister in der Grünen Branche ebenso wie Vertreter der Politik, des Berufsstandes und der Sozialversicherung, vor allem aber betroffene Landwirtinnen und Landwirte.

Özdemir lässt Chance für Austausch ungenutzt

Schirmherr der Zusammenkunft war Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Er sagte, dass das Thema „Psychische Gesundheit“ nach wie vor ein Tabuthema sei. Özdemir nahm allerdings nicht vor Ort teil, sondern sandte lediglich eine Videobotschaft. Und das, obwohl das Treffen im Haus der Land- und Ernährungswirtschaft in Berlin nicht weit vom Bundeslandwirtschaftsministerium entfernt stattfand. Für Bayerns Landesbäuerin Christine Singer ein Anlass für deutliche Kritik: „Minister Özdemir hätte hierherkommen und sich selbst in Gesprächen ein Bild davon machen sollen, wie es unseren Bauernfamilien geht.“

Cem Özdemir

Schließlich habe die Agrarpolitik einen großen Anteil daran, dass Ratlosigkeit und Resignation auf vielen Höfen immer größer werden. „Die Politik Özdemirs stürzt uns ins seelische Chaos!“ Sie bekomme immer öfter Anrufe von Bauernfamilien, die sich fragen, was denn heutzutage eigentlich noch ihre Aufgabe sei: Ernährungssicherung oder Artenvielfalt?

Eine Herausforderung auf vielen Höfen ist die andauernde enorm hohe Arbeitsbelastung, bei der zu wenig Zeit für Erholung bleibt. Kommt dann noch ein Schicksalsschlag wie ein Todesfall oder eine Pflegebedürftigkeit dazu, stoßen die Betroffenen oft in jeder Hinsicht an ihre Grenzen – das zeigten die Schilderungen von betroffenen Landwirtinnen und Landwirten eindrucksvoll.

Scheu vor Hilfeangeboten oftmals noch hoch

Viele Beschäftigte in der Grünen Branche scheuen es nach wie vor, sich bei psychischen Problemen aktiv und von außen sichtbar Hilfe zu holen – das Schamgefühl und die Angst vor Stigmatisierung sind zu groß. Ein Angebot der SVLFG, das diese Tatsache berücksichtigt, ist das telefonische Einzelfall-Coaching. Margot Flaig vom SVLFG-Partner IVP Networks GmbH und Janika Thielecke von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg stellten das Konzept und seine Evaluation vor.

Diese habe ergeben, dass telefonisches Coaching das psychische Wohlbefinden der Teilnehmer mehr verbessere als ein Alternativkonzept mit schriftlichen Informationsmaterialien. Was macht dieses Angebot so erfolgreich? Margot Flaig weiß es: „Beim Telefoncoaching muss man den Hof nicht verlassen und sich nicht einmal umziehen – das spart Zeit. Oft bekommt es nicht einmal die Familie mit, wenn jemand bei uns anruft – auch das ist den Menschen meist sehr wichtig.“

Anne Dirksen von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen und Isidor Schelle vom BBV kennen als Berater die Bedürfnisse der Landwirtsfamilien aus erster Hand. Sie gaben eindrucksvolle Einblicke in ihre Arbeit, die die Begleitung von Hofübergaben ebenso umfasst wie festgefahrene Familiensituationen, in denen die Menschen auf einem Hof nicht mehr miteinander sprechen können. Anne Dirksen brachte es auf den Punkt: „Die Landwirte sehen dann oft nur mehr einen großen Misthaufen. Wir schieben ihn nicht für sie – aber wir teilen ihn in Schubkarrengröße.“ Um allen Fällen gerecht zu werden, reichten die Kapazitäten jedoch längst nicht aus, betonte Gerhard Schwetje, Präsident des Verbandes der Landwirtschaftskammern. „Wir haben zu wenig Berater und zu wenig Geld.“

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