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Krönung der Produktkönigin

Zeitenwende für die Milchkönigin

Milchhoheiten
Philipp Seitz
Philipp Seitz
am Mittwoch, 04.05.2022 - 19:40

Braucht es Produktköniginnen heute überhaupt noch? Ja, sagt der bayerische Milcherzeugerverband. Doch die Aufgaben haben sich gewandelt – und die Anforderungen an die Trägerin der Krone sind so hoch wie nie zuvor.

Triesdorf/Weidenbach Die goldene Krone mit den funkelnden blau-weißen Steinen haben schon viele Milchköniginnen stolz getragen. Auch wenn die Krone der Hoheiten nur wenige Gramm auf die Waage bringt, ist die Bürde des Amtes so schwer wie nie. Es sind anspruchsvolle Zeiten für die Milcherzeuger. Dr. Hans-Jürgen Seufferlein, der Geschäftsführer des Verbands der Milcherzeuger Bayern, spricht gar von einer existenziellen Frage: „Es geht um den Milchstandort Bayern.“ Die Stimmungslage sei schlecht, trotz höherer Milchpreise. Diese „paradoxe Situation“, wie es Seufferlein beschreibt, trifft die ganze Branche. Auch für die neuen bayerischen Milchhoheiten, die am Mittwoch gekürt wurden, steht eine schwierige Zeit bevor. „Noch nie war das Amt der Milchkönigin so anspruchsvoll wie aktuell“, bestätigt Seufferlein.

Was der Geschäftsführer des Milcherzeugerverbandes sagt, klingt dramatisch. Und doch beschreibt Seufferlein eine Entwicklung ganz treffend: Den Wandel der Produktkönigin hin zu einer Botschafterin, die heikle Fragen in der Öffentlichkeit verständlich kommunizieren muss. Seufferlein findet dafür einen passenden Begriff, wenn er nicht mehr von Hoheiten, sondern von „Milchbotschafterinnen“ spricht. Braucht es in der heutigen Zeit überhaupt noch Milchhoheiten? „Diese Frage ist vollkommen berechtigt“, räumt Seufferlein ein, um aber gleich eine Reihe an Gründen anzuführen, die für das Amt sprechen: Die Milchhoheiten seien ein Anziehungspunkt für die Presse und stoßen auf offene Türen bei der Politik. Noch viel wichtiger sei, dass die Hoheiten zeitgemäß mit den digitalen Medien kommunizieren. „Sie erreichen so ihre Generation.“

Mehr Bewerberinnen um die Krone

All diese Aufgaben sollen künftig zwei junge Schwäbinnen meistern. Veronika Gschoßmann ist die neue bayerische Milchkönigin, Philomena Mögele wird sie als Milchprinzessin unterstützen. Von ihren Vorgängerinnen erhielten die beiden Hoheiten feierlich die Krone überreicht. 22 junge Damen, und damit mehr als bei der letzten Auswahl vor drei Jahren, hatten sich um die Krone beworben, sagt Rainer Falk, der beim Milcherzeugerverband das Marketing koordiniert. Auch die Auswahl der Königinnen hat sich im Laufe der Zeit verändert, beobachtet Geschäftsführer Seufferlein. „Es geht nicht nur um das fachliche Wissen, sondern insbesondere um ethische Positionen.“

Direktor VMB

Warum kommen Kühe nicht raus auf die Weide? Können Kühe glücklich sein, wenn sie nie die Sonne spüren? Ist die Trennung von Kuh und Kalb zeitgemäß? All das seien Fragen, mit denen sich die Milchhoheiten vermehrt von den Verbrauchern, aber auch von der Politik konfrontiert sehen. Die Hoheiten müssen darauf antworten können. Entsprechend verändert haben sich die Anforderungen, die an das Amt einer Produktkönigin gestellt werden. „Früher war die Aufgabe fach- und imagebezogen. Heute gehe es vielmehr um emotionale Fragen. Es geht um die Themen, welche die Verbraucher umtreiben“, sagt Seufferlein.

Da ist es gut, dass die Milchhoheiten wissen, wovon sie sprechen. Milchkönigin Veronika Gschoßmann packt selbst im landwirtschaftlichen Betrieb der Familie mit 100 Fleckviehkühen und Melkstand im schwäbischen Kühbach (Lkr. Aichach-Friedberg) mit an. Dieses Wissen aus der Praxis ist für die Milchhoheiten unerlässlich. Zudem studiert die 23-Jährige Agrarmarketing und Management am Standort Freising der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf – und weiß, wie sie als Hoheit ihre Botschaften adressieren muss. Auch beruflich soll es nach dem Studium „irgendetwas mit Landwirtschaft“ werden, erzählt Gschoßmann.

In Stoßzeiten helfen alle mit

Den heimischen Betrieb werde sie nicht übernehmen, denn da stehe nach der landwirtschaftlichen Lehre der jüngere Bruder schon in den Startlöchern. Ob sie nach dem Studium dann noch mitanpacken wolle? Das sei doch keine Frage, entgegnet die Milchkönigin: „Natürlich, es ist immer Arbeit da. Gerade in Stoßzeiten müssen alle mithelfen.“

Milchkönigin

Als Milchkönigin sei es ihr wichtig, auch Einfluss nehmen und einen Blick hinter die Kulissen werfen zu können. Sie freue sich auf den Austausch mit der Politik, sagt die Studentin. Ein Thema liegt ihr dabei besonders am Herzen: Der aus ihrer Sicht zunehmende Spalt zwischen Land- und Stadtbevölkerung. Hier wolle sie auf die Belange der Milcherzeuger hinweisen und grundsätzliches Wissen vermitteln. „Diesen Spalt will ich einfach schließen.“ Eine anspruchsvolle Aufgabe, die sich in eine Liste voller Herausforderungen in ihrer Amtszeit reiht. Es brauche passgenaue Antworten auf aktuelle Fragen, sagt Seufferlein. „Den politischen Themen und Diskussionen kann man sich nicht entziehen.“

Nach Angaben des Milcherzeugerverbandes absolvierten die Hoheiten vor der Pandemie rund 100 Termine in einem Jahr. Eine Anforderung, die Königin und Prinzessin dabei erfüllen sollen, beschreibt der Verband auf seiner Homepage so: Sie sollen „die charmantesten Botschafterinnen Bayerns“ sein. Ein hoher Anspruch.