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Wolfsmanagement

Wolf: Es ist Zeit zu handeln

Dr. Josef Hiemer
am Dienstag, 21.03.2023 - 12:24

Immer mehr Wölfe gibt es in Südbayern. Wollen wir ähnliche Verhältnisse wie in der Schweiz? Für Marcel Züger, Biologe aus Graubünden, ist es höchste Zeit, entschieden zu handeln.

Muss es im deutschen Alpenraum soweit kommen wie in der Schweiz, wo zunehmend Wolfsrisse zu beklagen sind? Vor dieser Entwicklung die Augen zu verschließen, davor warnte Marcel Züger, Biologe aus Graubünden, bei einer vom BBV Weilheim-Schongau organisierten Info-Veranstaltung in Bernbeuren. Sehr viele Besucher sind in die Auerberghalle gekommen. „Wolfsschützer“ waren auch eingeladen – gekommen ist aber keiner.

Entwicklung in der Schweiz ist dramatisch

Ein Wolfsriss in unmittelbarer Nähe zu einer Siedlung.

Die Entwicklung in der Schweiz ist in der Tat dramatisch. Die Zahl der Wolfsrisse hat sich von 2020 in nur zwei Jahren von 257 auf 517 in etwa verdoppelt, trotz umfangreicher Herdenschutzmaßnahmen. In Graubünden haben Wölfe am 23. Juni letzten Jahres 23 Tiere getötet oder verletzt. Bei fast allen Rissen konnten die Herdenschutzmaßnahmen die Angriffe der Wölfe nicht verhindern.

1995 seien erstmals wieder einzelne Wölfe in der Schweiz aufgetreten. Damals hatte sich der Biologe Züger noch sehr darüber gefreut. Wissenschaftler hatten das Verhalten von Wölfen damals so beschrieben:

  • Der Wolf ist selten und gefährdet
  • Er ist scheu, meidet den Menschen und Siedlungen
  • Er ist nachtaktiv
  • Er springt nicht, Zäune mit 90 cm Höhe reichen
  • Ein Herdenhund reicht als Abschreckung
  • Er greift kein Großvieh an
  • Kann nachhaltig vergrämt werden
  • Er greift Menschen nicht an.

Aussagen von Wolfsbefürwortern durch die Praxis widerlegt

Diese Aussagen seien in der Zwischenzeit alle durch die Praxis widerlegt worden, erklärte Züger. Einzige Ausnahme, sei, dass bislang noch kein Mensch von einem Wolf angegriffen worden sei, „noch nicht“, fürchtet Züger. Aus heutiger Sicht sei es jedenfalls dringend nötig, eine aktive Bestandsregulierung beim Wolf anzustreben. Weil er keine natürlichen Feinde außer Bär und Luchs habe. Ansonsten sei langfristig die gewachsene Kulturlandschaft mit ihrer vielfältigen Pflanzenwelt in Gefahr, mithin Insekten, Brutvögel und die Wildtiere.

Fehler in Bayernnicht wiederholen

Marcel Züger aus Graubünden referierte in Bernbeuren über die Erfahrungen mit der Wolfspopulation. Eine Koexistenz von Kulturlandschaft und Wolf habe es nie gegeben, sagt er.

Die Schweiz habe inzwischen langjährige Erfahrungen im Umgang mit Wölfen. Marcel Züger zeigte die Entwicklung der Population auf, erläuterte die getroffenen Schutzmaßnahmen und gab praktische Tipps für den Umgang mit den Wölfen in Bayern. In Bayern sei die Situation ähnlich der Schweiz vor zehn Jahren, als der explosionsartige Anstieg der Wolfspopulation begann. „Man solle die Fehler in der Schweiz nicht in Bayern wiederholen“, hofft er.

Bis 2010 sei die Zahl der Wölfe nur leicht angestiegen. Danach ergab sich ein exponentieller Anstieg, der dann ab 2019 richtig Fahrt aufgenommen habe, mit dem Befund, dass sich die Wolfspopulation alle zwei Jahre verdoppelt. Eine Wölfin wirft jährlich etwa 4 - 6 Welpen, Zwar sterben 75 % der Jungtiere im ersten Jahr, trotzdem verdoppele sich der Bestand alle zwei Jahre.

Was man auch wisse, sei, dass ein Rudel etwa 250 km² Lebensraum benötige. Bei einer Fläche von etwa 70 000 km² in Bayern, könnten sich demzufolge bei ungebremstem Wachstum 280 Rudel mit etwa 2800 Tieren ansiedeln.

Bei der Auswahl der Beute sind die Wölfe nicht wählerisch, Hauptsache Fleisch

Zur Beute gehören Reh, Hirsch, Wildschwein, Gämse, Steinbock, Elch, Wisent, Ratten, Mäuse, Dachs, Marder, Vögel, auch das Auerhuhn, Schafe, Rinder aller Größen, Pferde, Hunde, Katzen, Hühner. Der Bedarf eines Wolfs liegt bei 3 kg reinem Fleisch/Tag. Um seinen Fleischbedarf zu decken benötige ein durchschnittliches Rudel ca. 250 Hirsche/Jahr.

Die Wolfspopulationist nicht gefährdet

Entgegen weit verbreiteter Meinung ist der Wolf nicht in seiner Existenz gefährdet, erklärte Züger weiter. 2018 sei er deshalb von der roten Liste der EU gestrichen worden. Geschützt sei er aber durch die von der EU mitunterzeichnete „Berner Convention“. Die daraus entwickelte Fauna-Flora- Habitat- Richtlinie (FFH) der EU sei eine Hürde für die Bestandsregulierung.

Demnach sei lt. § 16 eine Entnahme zulässig, wenn es keine anderweitigen befriedigende Lösungen gibt und die Population in einem „günstigen Erhaltungszustand“ gehalten wird. Dieser Zustand sei erreicht bei einer Populationsgröße, die ein Überleben ohne Inzucht sichert, das Verbreitungsgebiet langfristig gesichert ist und eine ausreichend großer Lebensraum zur Verfügung steht.

Experten gehen aktuell von einer Mindestpopulation von 1000 erwachsenen Tieren aus. Wenn ein Austausch mit anderen Populationen möglich ist, reichen somit bereits 250 geschlechtsfähige Tiere, um den „günstigen Erhaltungszustand“ zu erreichen.

In dem Papier sei festgehalten, dass eine Entnahme folgenden Zielen dienen müsse:

  • Schutz wild lebender Tiere und Pflanzen und Erhalt deren Lebensräume
  • Verhinderung ernster Schäden an Kulturen und in der Tierhaltung
  • zur Sicherheit oder aus sozialen oder wirtschaftlichen Gründen

Wolfspopulation in Westeuropa bereits in einem „günstigen Erhaltungszustand“

Auf breites Interesse stieß die Informationsveranstaltung des BBV Weilheim-Schongau in der Auerberghalle in Bernbeuren.

Züger berichtete auch von Prof. Dr. Dr. Sven Herzog, der bei seiner Anhörung als Sachverständiger vor dem Umweltausschuss des Deutschen Bundestages am 20. 1. 2023 festgestellt habe, dass – eine kritische Prüfung unterstellt – die Wolfspopulation in Westeuropa bereits in einem „günstigen Erhaltungszustand“ sei. Auch für Marcel Züger gibt es „nicht den Hauch eines Zweifels“, dass der günstige Erhaltungszustand erreicht sei. Züger empfahl in Bernbeuren daher ausdrücklich, den Druck auf die Politik zu erhöhen. Unsere Ahnen hätten die Kulturlandschaft unter großen Mühen aufgebaut. Sie gelte es zu erhalten, fordert der Biologe. Als Nicht-EU-Mitglied unterliege die Schweiz nicht den FFH-Beschränkungen. So konnten bisher 34 Problemtiere eines Bestandes von 220 Exemplaren abgeschossen werden.

Aber auch innerhalb der EU gingen die Länder unterschiedlich vor – trotz einheitlicher gesetzlicher Vorgaben:

  • In Frankreich dürfe der Hirte den Wolf schießen, wenn er sich dem Nachtpferch nähert, eine individuelle Genehmigung sei nicht erforderlich. 19 % des Bestandes wurden dadurch und die Jagd reduziert.
  • Entnahmen in Kärnten und Tirol würden erlaubt, wenn sich ein Wolf auf unter 200 m einer Siedlung nähert und ein Tier angreift.
  • Schweden habe die Population auf 270 begrenzt, bei einer Landesfläche von ca. 500 000 km². Dort finde der genetische Austausch der Population mit den Beständen aus Finnland und Norwegen statt.

Koexistenz kann nicht funktionieren

Marcel Züger warnte vor Konzepten, die eine Koexistenz zwischen Wolf und der von Bauern geschaffenen Kulturlandschaft anstrebten. Ein solche Koexistenz habe es nie gegeben, sie habe bisher nie funktioniert. Sie sei allenfalls möglich bei einer niedrigen Anzahl, bei Tieren, die die Scheu vor dem Menschen noch nicht verloren haben und nur nachtaktiv sind. Also wenn der Wolf durch Bejagung ein „Naturwolf“ bleibt. Sobald der Wolf ein „Kulturwolf“ sei, der in die Orte kommt, weil er die Scheu verloren hat, ende die Koexistenz. Wird diese Kulturlandschaft nicht mehr gepflegt, gehe zudem ihre im Gegensatz zur Naturlandschaft höhere Biodiversität verloren. „Geht der Bauer, verliert die Natur“, warnte der Biologe.

Nicht nur die beim Wiederauftreten der Wölfe aufgestellte Behauptung der geringen Populationsdichte, sondern auch die anderen Theorien über die Verhaltensweisen im Alpenraum seien inzwischen widerlegt, sagte Züger weiter, Der Wolf sei nicht scheu und komme den Siedlungen sehr wohl nahe.

Es gibt Risse in weniger als 200 m Entfernung von bewohnten Häusern.

Wölfe hätten sich bereits Spaziergängern genähert und man wisse von einem Cockerspaniel, der von einem Wolf gerissen wurde. Durch die fehlende Bejagung würden ihre Scheu gegenüber dem Menschen mehr und mehr ablegen. Man sei soweit sagen zu können: Kälber in freistehenden Iglus werden zum bevorzugten Wolfsfutter!

Was man inzwischen auch weiß: Wölfe überspringen Zäune mit 90 cm und 1,4 m Höhe oder überklettern oder untergraben sie. In Brandenburg müssen die Zäune 220 cm hoch gebaut und mit ein bis zwei Stromleitungen oben, und zwei weitere Leitungen in der Erde versehen werden. Nur so sei ein Zaun überhaupt wirksam gegen den Wolf.

Eine weitere Beobachtung: Wölfe sind nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tag aktiv. Züger nannte als Beispiel den Vormittag des 25. Juni 2022, als ein Rudel Wölfe die aus 1600 Schafen bestehende Herde im Val Cristallina in Graubünden über Felsen trieb. 71 Schafe stürzten ab, 45 waren tot, davon 39 trächtige. In der Nacht waren die Schafe in einem Pferch, bewacht von einem Hirten und sechs Hunden.

Herdenschutzhund reicht nicht zur Abschreckung

Züger hat auch eine klare Meinung zu Herdenschutzhunden: Ein Herdenschutzhund reiche nicht zur Abschreckung. Fällt ein Rudel über eine Herde her, müssten mindestens so viele Schutzhunde als Wölfe bei der Herde sein. Anderenfalls könnten auch die Hunde gefressen werden. In Frankreich, berichtete Züger weiter, werden im Jahr 50 Schutzhunde von Wölfen getötet.

Gegen den Wolf seien allenfalls nur die aus Osteuropa stammenden Hunderassen Kangal und Mastif geeignet. Für den wirksamen Schutz einer Herde seien aber zehn Hunde notwendig. Die aus Südeuropa stammenden Hunderassen seien indes „keine Kämpfer“, sondern eher „Türsteher“. Sie schlagen Alarm, mehr nicht.

Marcel Lüger ist überzeugt, dass für einen wirksamen Herdenschutz gleichzeitig ein Zaun, 10 bis 12 Schutzhunde und ein Hirte notwendig sind, und das an sieben Tagen pro Woche, rund um die Uhr.

Andere Versuche hätten auch keine Wirkung gezeigt:

  • Esel und Lamas sind kein wirksamer Herdenschutz. Beide Tierarten wurden bereits von Wolfsrudeln getötet. Wölfe haben auch schon Großvieh, z. B. Mutterkühe, angegriffen.
  • Elektrohalsbänder bieten keinen Schutz; der Wolf beißt dann am Bauch zu.
  • Vergrämung wirke auch nur zeitlich begrenzt.

Zur Biologie des Wolfes

  • Gewicht: 30 – 50 kg, wie ein schwerer Schäferhund

  • Alter: bis zu 13 Jahre

  • Geschlechtsreife: mit circa zwei Jahren

  • Brunftzeit: Januar – März
  • Welpen bleiben nach Geburt einen Monat bei der Mutter in einer Höhle, Versorgung durch das Rudel
  • Tragezeit: zwei Monate
  • Geruchssinn: bis zwei km
  • Sehen: Nachtsehen, zweimal besser als Mensch
  • Hören: hören auch sehr hohe Töne, fünfmal besser als der Mensch
  • Max. Geschwindigkeit: 60 km/h
  • Zurückgelegte Entfernungen: 20 – 80 km / Nacht
  • Rudel: Ein Rudel besteht aus den beiden Elterntieren, 2 – 6 Welpen und den Jungtieren der beiden letzten Jahre, insgesamt 7 – 13 Tiere in einem festgelegten Revier von ca. 250 km². Nach der Geschlechtsreife verlassen die Jungtiere das Rudel und suchen ein neues Revier.

Erfahrungen aus dem Oberland

Klaus Soleder, BBV-Kreisobmann im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, war auch in Bernbeuren. Er ist sicher, dass sich mehrere Wölfe im Landkreis aufhalten. Seit 2012 gebe es ständig Risse, die nicht von Einzeltieren stammen können, wie er meint. Durch die fehlende Bejagung hätten die Tiere ihre Scheu verloren. Sie haben sich bereits Ortschaften bis auf 100 m genähert und seien in Wintergatter eingedrungen. Immer öfter komme es vor, dass Spaziergänger am hellichten Tag Fotos von Wölfen machen können.

Auf den Garmischer Alpen gebe es etwa 2500 Schafe. Diese seien bereits Wolfsfutter, bald jedoch auch Kälber in den Iglus und die Rinder in den offenen Ställen.

Solder weiter: „Der Zaunbau ist sinnlos“, er bringe nur kurze Zeit eine Entlastung. Ein Herdenschutz ohne Abschuss funktioniere nicht. Die Wölfe würden reagieren, sobald die Jagd beginne. Ohne Eingriffe verliere die Landwirtschaft, der Artenschutz und auch der Tourismus, befürchtet Klaus Soleder. Die große Artenvielfalt im Landkreis dürfe nicht den Wölfen geopfert werden. Er appellierte deshalb an die Politik, endlich den günstigen Erhaltungszustand zu bestätigen. Durchaus positiv bewertet Soleder die Zusammenarbeit mit dem Vertragsnaturschutz im Landkreis. Dagegen bemängelte er die zögerliche Haltung des Landesamtes für Umweltschutzes.

Der Weilheimer Kreisobmann Wolfgang Scholz will weitere Verbände in das Bemühen gegen den Wolf einbinden. Die Landwirtschaft sei alleine zu schwach. Wer den Bauern unterstelle den Wolf nur deshalb zu bekämpfen, weil die Gewinne geschmälert werden, liege völlig falsch.