
Angesichts der Liste meiner Ahnen, muss ich sagen, dass es keinem so gut ging wie mir heute.“ Nachdenklich studiert Georg Mair, Landwirt aus Sellthüren bei Günzach, die Liste seiner Vorfahren und deren Hinterlassenschaften. Der Stammbaum reicht 500 Jahre zurück bis ins 16. Jahrhundert. Seit dem Spätmittelalter haben 14 Generationen hart auf dem „Bitzer Hof“ gearbeitet, um ihren Kindern eine Lebensgrundlage zu erhalten. Auch er, Georg Mair, hat in schlechten Zeiten nie ans Aufhören gedacht. Auch sein Sohn Markus sieht sich in dieser Verantwortung. Er wird voraussichtlich am 1. Juli 2021 den Milchviehbetrieb mit Biogasanlage übernehmen.
Der Bitzer Hof in Sellthüren zwischen Günzach und Wildpoldsried ist einer der ältesten Bauernhöfe Schwabens und der drittälteste Hof in Bayern. 1519 erstmals erwähnt, ist er Zeugnis eines starken Bauerngeschlechts. Jahrhunderte hindurch übertrug der Vater die Rechte auf einen seiner Söhne. Mit zähem Fleiß, Durchhaltevermögen und Gottvertrauen hat das Bauerngeschlecht den Hof erhalten und das Vermögen vermehrt. Auch in äußerst schlechten Zeiten.
1519 das Lehen erhalten

1519 hat nach dem Lehensbuch unter Fürstabt Johann Rudolf von Raittnau Hans Bitzer das Gut zu Lehen empfangen. Damals herrschte große Not und Unzufriedenheit unter den Bauern, die als Lehensträger nicht nur verpflichtet waren, erhebliche Ernteerträge an den Lehensherren abzugeben. Sie mussten auch Frondienste leisten.
Die wirtschaftlichen Nöte führten zum Bauernaufstand 1525, der viel Leid und Unglück über das Allgäu brachte. Nachdem die Schweden im Jahr 1632 die Grafschaft Kempten und das fürstliche Stift zu Fall brachten, gelang es Hans Bitzers Enkel Georg Bitzer den Hof wiederaufzubauen. Dessen Sohn Baltus Bitzer hatte keine Söhne, sondern vier Töchter. Die Tochter Anna vermählte sich 1655 mit Baltus Mair von Oberegg. In einer Urkunde von 1657 heißt es: „Baltus Bitzer von Sellthüren verkauft sein Gut samt allem Zubehör für 700 Gulden an seinen Tochtermann Baltus Mair.“ Damals wurde in Sellthüren vorwiegend Ackerbau betrieben. Georg Mair war der drittgrößte Bauer im Dorf.
Nach der Säkularisation kaufte dessen Enkel Franz Josef Mair, der von 1804 bis 1854 gelebt hat, die Äcker Wiesen und Wälder aus den zum früheren Fürstabt von Kempten gehörigen Gütern und vergrößerte das Besitztum weiter. Von 1655 an blieb der Bitzerhof nie ohne männliche Hofnachfolger. „Eine stolze Bauerntradition, die die nachkommenden Generationen verpflichtet, wie ihre Vorfahren, die ganze Kraft für die Erhaltung und Mehrung des Besitzes einzusetzen“, meint Georg Mair.
Es folgten fürchterliche Kriege, die viel Leid und Armut ins Allgäu brachten. „Die Anerkennung unseres Berufsstandes war nie so hoch wie in Zeiten größter Not“, bemerkt Mair. „Das Bewusstsein, dass ein Bauer Lebensmittel produziert, die das Volk vor dem Verhungern bewahren, war in den Köpfen tief verankert.“
Georg Mairs Urgroßvater, der 1890 geboren wurde, betrieb eine Käserei, die nach dem Ersten Weltkrieg stillgelegt wurde. Danach wurde die Milch genossenschaftlich in der heutigen Sellthürner Käsküche zu Käse verarbeitet. Der Mair-Hof hatte für damalige Verhältnisse einen besonders großen Viehbestand: 20 Milchkühe. Zudem wurden auf 26 ha Hafer, Gerste, Dinkel und Getreide angebaut.
Immer wieder den Viehbestand vergrößert

Im Zweiten Weltkrieg herrschte neben großem Hunger auch ein latenter Männermangel. Hofbesitzer Ulrich Mair fiel im Krieg. Sein Bruder Otto, der aus russischer Gefangenschaft heimkehrte, bekam den Hof. Dieser stockte den Bestand auf 36 Kühe auf. Der Vater von Georg Mair war der erste im Ort, der dann einen reinen Milchviehbetrieb führte und seinen Viehbestand kontinuierlich vergrößerte. 40 Milchkühe ohne Nachzucht und 14 Sauen, die mit Molke von der heutigen Sennerei Sellthürn gefüttert wurden, nannte er sein Eigen.
Georg Mair war der älteste von drei Söhnen und wollte den Hof übernehmen. Er machte eine Ausbildung an der Kemptener Landwirtschaftsschule, die er 1982 mit dem Meister abschloss. Am 1. Juli 1985 übernahm er mit seiner Frau Pauline den Hof. Mitten in der Zeit der Milch-Kontingentierung. „Die Reform der Milchmarktordnung war ein Schlag ins Gesicht für uns Milchviehalter. Wir hatten auf Wachstum gesetzt und mussten nun um 100.000 Liter reduzieren. Das war der Wahnsinn. Wir wussten nicht wohin mit dem Vieh und haben vorübergehend Vollmilchkälber für die Metzgerei Kleiber produziert“, erinnert sich der Sellthürner Landwirt. Nach und nach habe er aber Flächen mit Quote und Quoten dazu gekauft. „Das war nur möglich, weil mein Vater hart gearbeitet und uns einen schuldenfreien Hof überlassen hat“, betont er.
Pauline und Georg bekamen vier Kinder. Sohn Markus lernte Landwirt. 2003 bauten die Mairs einen neuen Milchviehstall, 2006 gründeten die zwei Generationen eine GbR und hatten 2016 gemeinsam 130 Kühe und 85 ha zu bewirtschaftende Gesamtfläche. Zudem baute Georg Mair als einer der ersten im Allgäu 2001 eine Biogasanlage, die er auch heute noch mit seinem Nachbarn in einer Biogas GbR betreibt. Da die Einspeisevergütung nach dem EEG nach 20 Jahren endet, musste er an einer Ausschreibung der Bundesnetzagentur teilnehmen. „Wir bekommen jetzt ab 2022 immerhin noch eine Anschlussvergütung von 16,7 Ct., allerdings mit der Auflage, die Anlage doppelt zu überbauen“, so Mair.
Pest nud Cholera überlebt
Wenn Mair in sich geht, ist das Bedauern groß: „Für uns Bauern hängt heute vieles an Gesetzen. Du weißt nie genau, wie es weiter geht“, gesteht er ein, und blättert geradezu versonnen in seinem Ahnenbuch.
„Aber wenn man überlegt wie unsere Vorfahren für den Erhalt des Hofes kämpfen mussten, relativiert sich mein Frust.“ Aufhören ist für ihn kein Thema. „Wenn ich einen landwirtschaftlichen Betrieb vom Vater übernehme, übernehme ich den Auftrag, diesen an meine Nachkommen gesund weiterzugeben.“
Und dann kommt Mair doch wieder ein zuversichtliches Schmunzeln ins Gesicht „Unsere Vorfahren haben Pest und Cholera überlebt. Dann überleben wir auch die Düngeverordnung und das Volksbegehren.“