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Menschenwohl

Tierwohl und entspannte Menschen

Familie Meier mit ihrer 15-jährigen Agenda-Tochter Jakarta mit 108 000 kg Lebensleistung: Hans-Jörg und Monika Meier und ihre Kinder (v. l.) Flavia, Leonie und Janno sowie Lehrling Carolin.
Josef Berchtold
Josef Berchtold
am Montag, 07.11.2022 - 08:08

Dass das Tierwohl immer mehr in den Mittelpunkt rückt, finden Hans-Jörg und Monika Meier aus dem Schweizer Kanton St. Gallen gut. Sie sagen aber auch: Das Wohl der Menschen auf den Höfen darf ebenfalls nicht zu kurz kommen.

Tierwohl auch im älteren Stall: Blick in den 1981 gebauten und mehrmals optimierten Laufstall.

Über Kuhsignale und das Tierwohl wird heute an allen Orten gesprochen. Zurecht sind diese Begriffe in den Fokus gerückt. In Kursen und Beratungen steht das Tierwohl an erster Stelle, und viele Medien, Organisationen, ja anscheinend die gesamte Gesellschaft sorgen sich ums Tierwohl und schenken ihr eine hohe Aufmerksamkeit. So weit, so gut. „Der Mensch aber bleibt oft auf der Strecke, zu wenig wird über Menschensignale und das Wohlbefinden der Betriebsleiterfamilie und der Mitarbeiter gesprochen!“ Das finden Hans-Jörg und Monika Meier aus Hohfirst bei Waldkirch im Schweizer Kanton St. Gallen. Auch sie haben für das Tierwohl ihrer Herde viel gemacht und den 40 Jahre alten Laufstall verbessert. Mindestens genauso wichtig ist ihnen aber die Work-Life-Balance, dass neben der Arbeit auch die Familie und die Hobbys sowie Ferien nicht zu kurz kommen. Jeder Mensch braucht seine Auszeit.

Das Wohl der Menschen kommt oft zu kurz

Ein einfacher und luftiger Kälberstall: Mit dem Milchtaxi ist die Arbeit auch für die Mitarbeiter leichter.

Monika stammt nicht aus der Landwirtschaft. Und doch sagt sie: „Es ist megaschön auf einem Hof zu sein, gerade wenn man Kinder hat, für die ist ein Bauernhof eh das Beste!“ Sie hat die Bauernschule gemacht und trägt alle Abläufe auf dem Hof voll Überzeugung mit. Sie arbeitet in Teilzeit als Lehrerin an der örtlichen Grundschule.

Im Stall hilft Monika mit, wenn der Lehrling nicht da ist. Bei der Ernte ist sie fürs Schwaden zuständig. Auch die drei Kinder Leonie (17), Janno (15) und Flavia (13) kennen sich im Stall aus. „Als ich mit Monika ein Wochenende weg war, haben sie den Stall auch schon allein gemacht“, sagt Hans-Jörg.

Doch längst nicht auf allen Höfen ist dieser Tapetenwechsel möglich. Hans-Jörg und Monika finden, dass der Druck und die Arbeitsbelastung auf vielen Betrieben heute enorm ist, gerade bei wachsender Betriebsgröße oder wenn eine Familienarbeitskraft ausfällt, zum Beispiel wegen Krankheit. Und nicht selten leidet das Familienleben darunter. „Es gibt heute gute Kurse über Kuhsignale. Auch ein Kurs über Signale in der Bauernfamilie wäre eine gute Sache“, sagt Monika. „Kuhsignale sind heute ein Teil der Ausbildung“, ergänzt Hans-Jörg. Wie es den Menschen im Betrieb und in der Bauernfamilie geht, wie sie mit den wachsenden Aufgaben bei immer weniger Personal zurechtkommen, darüber aber werde viel zu wenig gesprochen.

Mehr hofnahe Weiden durch drei Ställe

Bei der Optimierung des vorhandenen Laufstalles wurde ein großzügiger Abkalbebereich geschaffen.

Dass die Arbeit auf dem Hof nicht nur Beruf, sondern auch Berufung ist, verkörpert Hans-Jörgs Vater Hans. Auch mit 86 Jahren fährt er täglich mit dem Schlepper zum 1 km entfernten Pachtstall und versorgt dort das Jungvieh. Damit bleibt er auch beim Traktorfahren in Übung, denn bei der Ernte wendet der Senior das Gras noch mit dem 10er-Kreisler. Seit 2011arbeitet Familie Meier mit einem A3-Melkroboter und hält 50 Kühe. Der Roboter brachte in dem älteren Laufstall eine Entlastung und entzerrte die Abläufe.

Neben dem Jungvieh sind auch die Trockensteher ausgelagert, sie sind in einem zweiten, gepachteten Stall in der Nähe aufgestallt. Für die Arbeitswirtschaft sind drei Standorte fürs Vieh ein Nachteil, aber für die Weidewirtschaft sind sie ein Vorteil: An allen drei Ställen wird das „Raus“-Verfahren praktiziert, die Tiere dürfen also auf die Weide. Und natürlich gibt es bei drei voneinander getrennten Ställen mehr Weidefläche um den Stall herum als bei nur einem Standort. Sämtliche 8 ha Weidefläche am Hauptstandort stehen so für die Laktierenden zur Verfügung.

Gesunde Kühe

Diese drei Dauerleistungskühe stehen noch top da: (v. l.) die 15-jährige Agenda Jakarta mit elf Kalbungen und 108 000 kg Lebensleistung, ihre Tochter, die 10-jährige Zaster Jakusie, mit acht Kalbungen und 77 000 kg Lebensleistung und deren Schwester Janno Jakanna (6/5 10 084 3,98 3,49) mit 59 000 kg Lebensleistung.

Wir blicken in den Kuhstall und sind von der hervorragenden Kuh- und speziell Euterqualität begeistert. Mittelpunkt der Herde ist die 15-jährige Agenda-Tochter Jakarta EX93. Berühmtheit erlangte sie 2014, als sie Gesamtchampion an der OLMA in St. Gallen wurde und auch mit 108 000 kg Lebensleistung sieht sie noch hervorragend aus.

Dabei war sie damals nur als Reservekuh für die OLMA gemeldet. Jakarta war bei der Vorschau trockenstehend und nur, weil eine andere Kuh ausfiel, konnte sie überhaupt an der Schau teilnehmen. Und doch überzeugte sie auf ganzer Linie und holte den OLMA-Championtitel. An der Bruna 2022 machte Jakarta in der starken Gruppe der 100 000-kg-Kühe einen hervorragenden Eindruck.

Glenn Jatai war 2012 an der Europaschau dabei und Jolden Medina an der IGBS-Schau. Darüber hinaus beteiligt sich der Betrieb nur vereinzelt an Schauen. Hans-Jörg findet den Aufwand oft zu groß: „Es wäre schön, wenn man einfach eine Kuh aufladen und mit ihr zur Schau ziehen könnte“, meint er angesichts der enormen Professionalisierung.

Jakarta ist eine Spätstarterin

Jakarta ist eine Spätstarterin, die von Jahr zu Jahr besser wurde. Im Schnitt der ersten vier Laktationen gab sie 7500 kg Milch, in den sieben darauffolgenden Laktationen erreichte sie durchschnittlich über 10 100 kg mit hohen Inhaltsstoffen. Jetzt ist sie seit sechs Monaten trächtig zum zwölften Kalb und sieht immer noch aus wie eine junge Kuh.

Ihre stärkste Tochter ist Zaster Jakusie EX93, die jetzt in der 8. Laktation ist und bereits 77 200 kg Milch gegeben hat (ø 9157 3,63 3,64), und bei ihr dasselbe Leistungsprofil: In den ersten drei Laktationen hatte sie ø 7500 kg, in den nächsten vier ø 10 400 kg. Ihre siebte Laktation lag bei 11 332 3,79 3,78 kg und die achte ist mit über 11 300 kg projiziert.

Kein Mortellaro in der Herde

Bender Jakabella, die Tochter von Zaster Jakusie, sieht ebenfalls sehr gut aus, bei vier Kontrollen mit ø 40 kg in der 2. Laktation ist sie auch als junge Kuh schon sehr leistungsstark. Eine weitere gute Tochter aus Agenda Jakarta ist Janno Jakanna EX91 (ø 5 La. 10 084 3,98 3,49) mit 58 000 kg Lebensleistung.

Dreimal jährlich werden die Klauen aller Kühe geschnitten, dazu kommt Klauenpfleger Urban Frei auf den Betrieb, der nach dem System des in die USA ausgewanderten Schweizer Klauenpflegers Bürgi arbeitet. Darüber hinaus müssen nur vereinzelt Kühe in den Stand. „Wir haben auch kein Mortellaro im Stall“, erklärt Hans-Jörg. Abgesehen von einem Bluem-Kalb hat der Betrieb seit 40 Jahren kein Vieh zugekauft.

Kein Mortellaro in der Herde? Davon können viele Betriebe nur träumen. Diese top Klauen und überhaupt gesunde Kühe sind somit ein sichtbares Stück Tierwohl und zugleich bedeuten sie auch Menschenwohl. Denn mit gesunden Kühen ist‘s auch für den Bauern einfacher. Und wenn die Kühe dann noch so schön sind wie Jakarta, macht es noch mehr Spaß, das ist auch ein Stück „Bauernwohl“.

Betriebsspiegel

Familie: Hans-Jörg (51) und Monika Meier mit Leonie (17), Janno (15), Flavia (13) und Vater Hans (86);

Lage und Fläche: Waldkirch-Hohfirst im Kanton St. Gallen, 800 m ü. NN; 40 ha Naturwiesen und 2 ha Mais, 2,2 ha Wald;

Viehbestand: 55 Kühe, 50 Stück Jungvieh;

Leistung: HD 9000 3,90 3,68, 116 000 Zellzahl, 28 900 kg Lebensleistung;

Molkerei: Appenzeller Schaukäserei Stein und Emmentaler Käserei, Milchpreis 2021 ø 73 Rp inkl. Zuschläge und MwSt. für 391 000 kg;

Fütterung Laktierende: Silofreie Ration, Mischung aus Heu, Emd, Stroh, Luzerne, Graspellets, Körnermais, Fettpulver, Eiweißfutter, Ergänzungsfutter am Melkroboter;

Fütterung Trockensteher: 80 % älteres Belüftungsheu und 20 % Mischung aus Maispflanzenpellets, Heu, Stroh, Mischfutter, Mineralfutter, Melasse; ab 2 Wochen vor Kalbung Trocken-TMR aus Heu, Maispflanzenwürfel, Mischfutter, Melasse; alle Tiere Weidegang.