
Finnland, Schweden und die Schweiz haben ihn schon vollzogen, in Deutschland ist er absehbar: der Ausstieg aus dem Kupieren der Ferkelschwänze. Doch so einfach ist es nicht, teilt das AELF Nördlingen-Wertingen mit. Anders als in den genannten Ländern herrscht in der Bundesrepublik ein deutliches Ferkeldefizit und die Haltungssysteme zwischen den Betrieben sind weniger konform.
Auf dem Schwäbischen Schweinemästertag zeigte Dr. Anja Rostalski vom Tiergesundheitsdienst aber schon mal Wege auf, wie ein Kupierverzicht ohne großes Schwanzbeißer-Szenario im Schweinestall gelingen könnte.
Arttypisches Verhalten am falschen Objekt
Das Schwanzbeißen sei keine Verhaltensstörung, sondern ein normales, arttypisches Verhalten, jedoch am falschen Objekt, erklärte die Veterinärin und ging auf die Ursachen ein, etwa:
- Frust, wenn Ressourcen wie Futter und Wasser oder ein Liegeplatz nicht schnell genug gesichert werden können
- zwanghaftes Beißen als Verhaltensstörung
- fehlendes Beschäftigungsmaterial
- Vollspaltenböden
- plötzlicher Futterwechsel
- Fehler im Fütterungssystem,
- abrupte Temperaturwechsel
- genetisch bedingt.
Allerdings gebe es nur selten einen einzigen Auslöser für das Schwanzbeißen, erklärte Rostalski. So trete dieses Verhalten auch in der ökologischen Schweinehaltung auf, in Kompostställen, in der Freilandhaltung und sogar bei Wildschweinen. Betroffen seien Tiere aller Altersgruppen, besonders jedoch in der Ferkelaufzucht und Mast.
Und dennoch kann es auch ohne Kupieren gehen, wie das Beispiel Finnland zeige. Dort gebe es diese Maßnahme seit 20 Jahren nicht mehr. Die Tiere blieben weitgehend wurfweise zusammen, zwischen den Betrieben herrscht eine Konformität der Systeme, die Böden seien teilbefestigt, gefüttert werde am Langtrog, es gebe geringe Mengen organischer Einstreu und die Genetik sei divers. Ähnlich in Schweden und in der Schweiz. Doch in diesen Ländern sei der Ferkelpreis auch ungleich höher als in Deutschland, wo ein Schweineüberschuss herrsche.
Stress als Hauptursache für das Schwanzbeißen
Als Hauptursache für das Schwanzbeißen identifiziert Rostalski den Stress. Darunter litten Ferkel schon während der frühen Säugephase, wenn sie vielfach behandelt werden: Eisen, Antikokzidia, Impfungen, Zähne abschleifen, Schwänze kupieren, Kastration, Ohrmarken. „Werden die Ferkel hier aufgrund ihres noch unreifen Immunsystems überfordert?“, fragte Rostalski.
Um Stresssituationen und gesundheitliche Probleme im Stall frühzeitig zu erkennen, seien eine gute Tierbeobachtung und Interpretation der Tiersignale ebenso gefragt wie das anschließende konsequente, schnelle Handeln durch den Schweinehalter und eine gute Betriebs- und Produktionshygiene.
Um das Risiko des Schwanzbeißens zu minimieren, empfahl Rostalski mehrere Lösungsansätze:
- optimale Tierbegleitung von der Geburt bis zur Schlachtung
- geschlossene Systeme mit 1:1-Beziehung
- Systemkonformität zwischen den Betrieben
- immunprohylaktische Bekämpfung chronischer Erkrankungen
- konsequente Behandlung akuter Infektionen
- professioneller Umgang mit kranken oder verletzten Tieren
- effiziente und kritische Eigenkontrollen mit Schwachstellenanalyse zur Vermeidung technischer Probleme bei Fütterung, Wasserversorgung und Stallklima
- Tierbeobachtung
- Verbesserung der Buchtenstruktur
- abwechslungsreiches Beschäftigungsmaterial
- Ferkel während ihrer ersten Lebenstage in Ruhe lassen.
Als Einstieg in den Kupierverzicht böten sich stabile, nicht zu große Würfe von Sauen an, die unkompliziert abgeferkelt haben. Diese Würfe könnten dann in separate Buchten in der Ferkelaufzucht weitergegeben werden. „Optimal wäre es, die Ferkel möglichst wenig zu mischen und die Würfe komplett beisammen zu lassen“, wie Rostalski sagte.
Buchten unterteilen
Die Buchten sollten in Ruhe, Aktivitäts- und Kotbereich eingeteilt werden. Klimazonen schaffen von 26 °C im Liegebereich und von weniger als 20 °C im Aktivitätsbereich. Geräumige Fress- und Tränkeplätze beugten Stress ebenso vor wie wechselndes Beschäftigungsmaterial. Ein übriges tun gut beleuchtete separate Buchten für unkupierte Ferkel, Genesungsbuchten für den Fall, dass es doch zum Beißgeschehen kommt, und allgemein mehr Platz für die Tiere.
Die in Deutschland derzeit praktizierte Form der Schweineproduktion ist für den Erhalt des Ringelschwanzes suboptimal, räumte Rostalski ein, „vor allem dann, wenn man erwartet, hundert Prozent Intaktheit zu erreichen.“ Die Veterinärin plädierte für Anreize, gemeinsam Tiere zu produzieren, an denen alle Freude haben, sei es durch die richtige Eberauswahl, Impfprogramme oder entsprechende Haltungs- und Fütterungskonzepte. Das Feintuning bringe hier aber erst dann etwas, wenn die Großbaustellen beseitigt seien.