Zur ohnehin schwierigen Situation der Obstbauern kommt jetzt auch noch die Unsicherheit, ob die bewährten osteuropäischen Erntehelfer ihre Landesgrenzen passieren dürfen. Der neue Vorsitzende der Erzeugergemeinschaft Lindauer Obstbauern, Markus Kurek, umreißt die Situation und mögliche Folgen.
Normalerweise werden die Helfer bei Arbeitsbedarf eingeladen und sie kommen als Hausmänner, Studenten oder Rentner ins Land. Sie bekommen einen Arbeitsvertrag und wohnen vor Ort. Über die 70-Tage-Regelung sind sie sozialversicherungsfrei, ansonsten sozialversicherungspflichtig und müssen ganz normal angemeldet werden. Auf der Basis des Mindestlohns rechnen ihnen ihre Arbeitgeber die Sozialabgabe bzw. den Arbeitnehmeranteil noch dazu, damit der Anreiz zu kommen höher ist. Das sind 9,13 € plus 27 %.
In den Jahren letzten Jahren war es schwieriger Erntehelfer zu bekommen, sagt Kurek. 2017 war ein Frostjahr mit weniger Bedarf an Saisonarbeitskräften, 2018 kam eine Rekordernte bei extremer Hitze und verfrühtem Erntebeginn um den 26./27. August, teilweise auch schon 22. August. Zu der Zeit als auch überall in Polen noch Arbeit war. „Es ist nicht mehr so, dass die Leute immer so frei verfügbar sind wie in den Jahren davor“, räumt Markus Kurek ein.
Bei Rumänen ist die Grenze dicht
Momentan fehlen die Leute im Gemüsebau, sprich Spargel, ebenso im Hopfenbau. Angefragt wurden ja nicht nur Polen, sondern auch Rumänen. Bei Letzteren ist die Grenze dicht. Offen ist momentan noch die polnische Grenze (Stand 30. März), polnische Erntehelfer können über Frankfurt an der Oder einreisen. Dennoch sei ungewiss, ob sie dann, wenn sie gebraucht werden, überhaupt kommen und ob sie einreisen dürfen. Kurek geht jedenfalls davon aus, dass sie kommen wollen. Schließlich verdienten sie hier ihren Lebensunterhalt für ihre Familien.
Neben den gesetzlichen Regelungen gibt es für die Obstbauern auch weitere, arbeitstechnische und menschliche Aspekte. „Da sind auch Verbindungen und Freundschaften, die über Jahre gewachsen sind“, erklärt Kurek. Jede Seite profitiere von der anderen; der eine sei froh, dass seine Arbeit erledigt wird, der andere froh Geld zu verdienen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Das ist eindeutig eine Win-Win-Situation.
Auch die Erdbeerbauern hoffen darauf, dass die osteuropäischen Erntehelfer zur Ernte wieder zur Stelle sind. Meistens werden sie etwas früher angefordert und zu anderen Arbeiten herangezogen, damit sie zu Erntebeginn sicher einsatzbereit sind. Wenn die Temperaturen in die Höhe schnellen, kann die Ernte früher als erwartet kommen. Aktuell ist die Vegetation deutlich voraus. Kurek schätzt zehn Tage, wenngleich der Ostwind mit den kalten Nächten wieder etwas bremse. Deutliche Gefahren gehen von den Nachfrösten aus. Die Erdbeersaison beginnt normalerweise so um den 1. Mai, wobei die verfrühten Sorten unter Folie noch vorher reif werden. Erdbeerbauern brauchen mindestens zwischen 8 bis 10 Leute pro Betrieb, wenn es warm ist, gehe es relativ schnell.
Gleichwertige Alternativen?
Welche Optionen gibt es, wenn die Saisonarbeitskräfte nicht kommen dürfen? „Es kommt darauf an“, so der Vorsitzende, „wann die deutschen Arbeitnehmer, wenn die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, wieder Arbeit haben. Dann sieht es für uns nicht gut aus.“ Er rechnet aber damit, dass die Saisonarbeitskräfte wieder kommen dürfen, wenn sich die Situation hierzulande normalisiert hat. „Je länger sich das Ganze hinzieht, umso schwieriger wird es.“
Die in früheren Jahren vom Arbeitsamt vermittelten Leute waren Langzeitarbeitslose, die wieder in das Berufsleben integriert werden sollten, was aber nicht funktioniert hat. Jetzt geht es um Menschen, die es gewohnt sind, täglich zu arbeiten, jetzt aber durch Kurzarbeit auch bereit sind, in der Landwirtschaft mitzuhelfen. Kurek glaubt aber, dass sie sich nicht bewusst sind, wie schwer die Arbeit im Obstbau wirklich ist.
Vonseiten der Obstbauern ist die Bereitschaft gegeben, mit ihnen zu arbeiten. Im Hinblick auf die Planungssicherheit bestehe jedoch die Befürchtung, dass sie vielleicht nicht bei jedem Wetter durchhalten, bei Kälte, Regen oder Hitze und der fallweise längeren Tagesarbeitszeit in den Arbeitsspitzen, um die Ernte zu sichern. Meist liegt der Arbeitsbeginn sehr früh am Morgen.
Es wird deutlich, welch schwere Arbeit das ist
Schon mancher Arbeitswillige habe inzwischen festgestellt, mit wie viel Anstrengung und Schweiß die köstlichen Bodenseefrüchte gehegt und gepflegt werden müssen, bis sie die erwartete Qualität für den Verzehr bekommen. Kurek würde es sehr begrüßen, wenn viele Menschen diese Erfahrung machten, und verweist auf die Proteste der Landwirte. Es fehle die Wertschätzung. „Die Leute müssen wieder das Bewusstsein bekommen, dass unsere Lebensmittel top sind, von Herkunft und Produktion her geprüft und auf höchstem Standard.“ Deshalb möchte er die Win-Win-Situation mit den Erntehelfern wiederhergestellt wissen. „Es muss wieder Spaß machen als Bauer zu leben und seinen Unterhalt zu verdienen.“ Momentan mache es vielen keinen Spaß, weil so manches im Umfeld nicht stimme. Es zeige sich ja auch in der Corona-Krise, dass der Absatz an Bodenseeäpfeln nach oben gegangen ist, weil die Leute verunsichert sind, wo das Obst herkommt und wieder auf die regionale Ware zurückgreifen. Dort sei das Vertrauen halt doch größer.
Die Forderungen an die Politik
Ganz oben auf der „Wunschliste“ der Obstabuern stehen die Einreisemöglichkeiten für Erntehelfer und weniger Bürokratie. Es sollten effektive Wege gefunden werden, damit die Leute hierherkommen und ihre Arbeit verrichten können. Die 70-Tage-Regelung sei bereits auf 110 Tage ausgedehnt worden, „solche Maßnahmen greifen“, sagt Kurek. Derzeit ändere sich die Situation von Tag zu Tag, notwendig sei aber eine gewisse Sicherheit. „Wir brauchen unsere Leute, das ist eminent wichtig“, weist Kurek auf die osteuropäischen Erntehelfer. Meist sind es dieselben Menschen, die jährlich wiederkommen. Sie sind die Arbeit gewöhnt, wissen, wo die Felder liegen und kennen die Arbeitsabläufe. Damit sind sie für jeden Obstbauer ein eingespieltes Team. Hiesige Arbeitskräfte müssen erst eingearbeitet werden. Beim Apfelpflücken etwa geht es erst um Größe und Farbe, den Stiel, sanftes In-die-Kiste-legen, nicht zu fest drücken, um Druckstellen zu vermeiden, und es dürfen keine Schalen fehlen. Das alles muss man sofort erkennen. „Solche Erfahrungen sind über Jahre gewachsen.“
Besondere Anforderungen bei den Erdbeeren
Bei der Erdbeerernte sei das noch dramatischer. Die Früchte sind noch empfindlicher und werden vom Feld weg gleich in die 500-Gramm-Schalen gepflückt, in denen sie anschließend in den Verkauf kommen. Am Anfang werden durchaus Stichproben gemacht, um zu sehen, wie die Leute arbeiten. Aber wenn die Temperaturen steigen und die Ernte schnell vonstatten gehen muss, dann muss der Obstbauer das Vertrauen haben, dass der Inhalt in der Schale passt.
Momentan laufen die Informationen über die Bauernverbände. „Das läuft ganz gut und die Politik ist auch bereit Brücken zu bauen“, so Kurek. Er glaubt, dass die Obstbauern momentan gut aufgestellt sind, aber wenn z. B. Rumänien die Erntehelfer nicht ausreisen lässt, dann kann die deutsche Politik auch nicht viel ändern. Das sei die große Unsicherheit, die im Land herrscht, denn letzten Endes stehe die Gesundheit des Einzelnen im Vordergrund. Finanzielle Hilfe wäre nicht unbedingt notwendig. „Wenn wir unsere Ernte einbringen können, dann können wir die sicher auch gut vermarkten, weil wir wieder mehr Wertschätzung bekommen. Dieses Vertrauen und die Wertschätzung unserer Produkte sind ganz wichtig.“
Vorgaben zur Artenvielfalt nochmals überdenken
Was Kurek noch von der Politik fordert, ist eine neue Beurteilung der strittigen Initiative zur Artenvielfalt und der Reduzierung des Pflanzenschutzes und weiterer Themen. Bei einer neuen Beurteilung sollten die Bauern mit einbezogen werden. „Diese Krise hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir auf unserer Fläche Lebensmittel von höchster Qualität produzieren und keine Blumenwiese anlegen.“ Das komme auch dem hiesigen Verbraucher zugute. Deshalb die klare Botschaft an die Politik: neue Beurteilung dieser Lage und höhere Wertschätzung der bäuerlichen Produkte. „Wenn wir für unser Produkt bekommen würden, was es eigentlich wert ist, dann brauchen wir keine finanziellen Impfungen. Und keine importierten Früchte, wenn vor Ort hochwertige Lebensmittel produziert werden.“
Mehr Wertschätzung und bessere Preise
Mehr Wertschätzung für die Produkte und bessere Preise wirkten wie ein Dominoeffekt: Die Motivation steigt und es floriert alles. Die Krise mache ersichtlich, wie die abnehmende Hand bzw. Verarbeiter auf die Obstbauern vor Ort angewiesen sind. Kurek wehrt sich gegen ständige Kritik und Einschränkungen und deutet auf bestehende Produktionsrichtlinien, die auch von den Obstbauern eingehalten werden, was belegbar sei.
Nicht zuletzt sei der Obstbau gerade am Bodensee ein prägendes Element des Tourismus. Wenn die Touristen ausbleiben, habe das Auswirkungen auf die Gastronomie, die Handwerker und setze sich so immer weiter fort. Jeder sei irgendwo abhängig von der Gastronomie. Deshalb solle das homogene Bild in der Region erhalten bleiben.
Fazit: „Wir sind bereit die deutschen Leute mit aufzunehmen, aber es muss ihnen klar sein, dass sie einen Arbeitstag von morgens bis abends bei jedem Wetter und manchmal auch am Samstag aushalten müssen. Ihre Zusage sollte auch nicht nach einem Tag widerrufen werden“, betont der neue Vorsitzende der EZG Lindau. Momentan tendierten viele in diese Richtung, dennoch sei das vertraute Team erste Wahl.