Lange hat Hannes Thaumiller, Alpmeister der Rappental-Alpe, zu den baulichen Eingriffen in den Rappenalpbach bei Oberstdorf/Allgäu geschwiegen. Jetzt gab er dem Wochenblatt ein Interview und korrigiert Aussagen aus dem Landratsamt.
Herr Thaumiller, wie ist es Ihnen in den letzten Wochen ergangen? Wie geht es Ihnen mit der gesamten Situation?
Thaumiller: Das ganze Thema ist für meine Familie und mich sehr belastend. Angefangen hat das „Unheil“ bereits im August. Durch den Starkregen am 19. August sind nicht nur unsere Wiesen und Wege zerstört worden, sondern auch das Vertrauen in unser Landratsamt.

Wie kann ich das verstehen? Ich dachte, Sie haben eigenmächtig den Rappenalpbach begradigt, um Ihre Almwiesen zu erweitern? So zumindest ist es überall zu lesen?
Thaumiller: Das habe ich auch gelesen. Es ist aber völlig falsch! Ich erzähle Ihnen, wie es wirklich war: Am 19. August hat es im Rappenalptal so stark geregnet, dass der Wildbach über die Ufer getreten ist. Es wurde eine Menge Geröll auf unsere Weideflächen am Taufersberg und der Rappenalpe gespült. Bis zu einem Meter hoch war es! Das Bachbett war voll mit Kies! Es gab kein Bachbett mehr - oder das Bachbett war höher als der Alpweg. Der Bach floss an einigen Stellen über die Wiesen. Auch danach wurde bei Gewittern der Alpweg immer wieder überflutet. Der Alpweg ist die einzige Verbindung in das Rappenalptal und dient der Bewirtschaftung und ist der Weg für Touristen und als Rettungsweg.
Aber wie kann es sein, dass durch den Starkregen ein Flussbett dermaßen über die Ufer tritt?
Thaumiller: Eigentlich ist das für uns nichts Neues. Wir kennen das schon vom Pfingsthochwasser ‘99 und vom „Augusthochwasser” 2005. Auch da ist der Rappenalpbach über die Ufer getreten. Das gesamte Tal war verwüstet.
Rappenalpbach verändert immer wieder seinen Lauf
Es passiert also immer wieder, dass Gebirgsbäche oder ganz konkret der Wildbach „ausufert“? Der BUND Naturschutz stellt ja das Rappenalptal als unberührte Natur dar?
Thaumiller: Ja, Wasser sucht sich den einfachsten Weg. Der Rappenalpbach verändert immer wieder seinen Lauf. Geröll wird angeschwemmt, türmt sich auf, wird wieder weggespült. Der Bach ist in Bewegung.
Wie war es 1999 und 2005 - Was haben Sie damals gemacht, nach dem Hochwasser?
Thaumiller: Die damaligen Alpmeister haben mit dem Landratsamt Maßnahmen abgestimmt und den Wildbach wieder in Form gebracht. Das ist für die Natur verträglich und schützt uns vor Überschwemmung. Auch die Wiesen wurden nach dem Hochwasser wieder angelegt.

Der Rappenalpbach nach dem August-Hochwasser im Jahr 2005 - die Schäden sind massiv und auch Wege wurden zerstört (oberer Bildrand).
Das sieht ja ähnlich „wild“ aus, wie es jetzt im Oktober aussah. Durften Sie das denn damals machen? Warum hat sich da keiner beschwert? Warum wurden die Naturschützer nicht aufmerksam?
Thaumiller: Die Arbeiten waren sogar deutlich größer als diesen Herbst. Bagger und Schubraupen waren über Wochen im Bachbett tätig. Beschwert hat sich keiner! Warum auch? Es waren ja wie auch heute abgestimmte Maßnahmen. Und nach einem Jahr sah der Wildbach dann wieder so aus, wie wir ihn kennen: Quasi unberührte Natur.
Wie lief die Kommunikation mit dem Landratsamt?
Aber überall ist zu lesen, dass es sich um nicht genehmigte Arbeiten handelt? Haben Sie denn 2022 nicht mit dem Landratsamt gesprochen? Wie lief die Kommunikation denn ab?
Thaumiller: Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, war ich genauso überrascht! Natürlich haben wir mit dem Landratsamt gesprochen: Nachdem am 19. August der Wildbach über die Ufer getreten ist, haben wir in der Naturschutzbehörde beim Landratsamt angerufen und einen Termin ausgemacht. Wir wollten von den Zuständigen wissen, was wir machen sollen: Wie sollen wir unsere Wiesen vom Geröll befreien? Und wie schützen wir uns zukünftig vor solchen Schäden. Das Treffen hat dann am 30. August direkt am Bach stattgefunden. Bei dem Termin hat der Mitarbeiter des Landratsamt aufgezeichnet, wie er sich die Modellierung des Geländes vorstellt. Leider gibt es die Skizze in den Unterlagen des Landratsamt nicht mehr. Schon am selben Abend haben wir dann den Bescheid vom Landratsamt bekommen. Mit dabei war auch ein Luftbild, wo die ganzen 1,6 km gelb markiert waren.
Sie waren sich also komplett einig mit dem Landratsamt, welche Maßnahmen zur Beseitigung der Schäden und des Hochwasserschutzes gemacht werden sollten?
Thaumiller: Absolut! Im Bescheid stand sogar, dass die Arbeiten schon am Freitag nach der Begehung beginnen sollen.
Aber ein Aktenvermerk ist doch kein Bescheid! Es braucht umfangreiche Prüfungen für so ein Vorhaben! Zumindest hat das Landratsamt uns das in seiner letzten PK erklärt!
Thaumiller: Ja, das habe ich dann so auch in der Presse gelesen. Aber das hat uns das Landratsamt NICHT gesagt, als wir vor Ort waren! Weder mündlich, noch schriftlich - keiner hat uns gesagt, dass eine andere Fachabteilung im Landratsamt zuständig sei. Auch hat keiner gesagt, dass es weitere Prüfungen oder Genehmigungen braucht! Stellen Sie sich vor: Sie gehen zum Landratsamt. Sie wollen auf Ihrer Wiese nach einem Hochwasser wieder alles gut machen. Man sagt Ihnen nicht, wer dafür zuständig ist. Sie bekommen eine schriftliche Genehmigung als „Aktenvermerk“. Was würden Sie machen? Ich bin kein Anwalt. Natürlich weiß ich als normaler Bürger, was richtig oder falsch ist. Aber wenn ich von einer Behörde einen Bescheid bekomme, dann darf ich doch darauf vertrauen. Oder nicht?
Auch das Baggerunternehmen versicherte sich
Ich verstehe. Wie ging es dann weiter?
Thaumiller: Wir haben dann die Firma Geiger beauftragt. Die wollten sich auch versichern, dass alles genehmigt ist. Der Aktenvermerk war für sie eindeutig und ausreichend.
Wie liefen die Arbeiten genau ab? Was wurde den Baggerfahrern gesagt, wie Sie das machen sollen?
Thaumiller: Am 26. September wurde der erste Bagger ins Tal gebracht. Dort habe ich mit dem Bauleiter und dem Baggerfahrer alles abgesprochen. Vorgabe war die Zeichnung und der Aktenvermerk. Da steht ja alles sehr genau drin. Die Arbeiten haben dann unten begonnen. Der gelb markierte Verlauf auf dem Luftbild hat die Strecke ja vorgegeben. Ich habe dann Bilder an das Landratsamt geschickt, so wie es mit der Naturschutzbehörde ausgemacht war.
Da schaut der Wildbach aber noch ganz anders aus, als wir ihn von den Bildern kennen? Mit viel mehr Wasser!
Thaumiller: Wenn es zwei Tage regnet, führt der Wildbach viel Wasser. Wenn es aber wie in diesem Herbst so trocken ist, läuft das Wasser unter der Bachsohle. Man sieht dann an der Oberfläche nichts mehr vom Bach. Und das sind die Bilder aus der Presse, eine Momentaufnahme vom trockenen Herbst.

Bilder wie dieses wurden im Laufe der Baggerarbeiten an das Landratsamt verschickt.
Wann kam es dann aber zum Baustopp?
Thaumiller: Gar nicht. Ich hab’ die Bilder um 8 Uhr morgens an das Landratsamt geschickt und um 11 Uhr wurde ich angerufen, dass alles so aussieht wie besprochen und die Arbeiten so weitergehen können.
Wie oft war jemand vom Landratsamt vor Ort zur Kontrolle der Arbeiten?
Gar nicht. Es war keiner vor Ort. Niemand hat unsere Arbeiten kontrolliert! Aber: Wir wissen aus einem anderen Aktenvermerk, dass am 14. Oktober eine Mitarbeiterin des Landratsamtes wegen einer anderen Sache vor Ort war. Nachdem wir da schon fast fertig waren, muss sie die Bagger und unsere Arbeiten gesehen haben. Es gab aber keine Reaktion oder Mitteilung. Nichts.
Wann wurde der Baustopp verhängt?
Aber das Landratsamt spricht von einem Baustopp, der verhängt wurde! Was genau ist dann passiert?
Thaumiller: Erst am 24. Oktober habe ich einen Anruf bekommen, dass es am nächsten Tag eine Ortsbesichtigung mit dem Wasserwirtschaftsamt und der Gemeinde Oberstdorf gibt. Bei dieser Begehung hat das Wasserwirtschaftsamt dann einen Baustopp angeordnet, der von uns auch sofort umgesetzt wurde. Bereits am nächsten Tag wurden die Bagger abgeholt.
In der Presse war von illegalen Arbeiten am Wildbach zu lesen. Die deutschen Medien waren voll.
Thaumiller: Ich sage Ihnen heute, dass es keine illegalen Arbeiten waren, da wir ja eine Erlaubnis hatten.Können Sie sich vorstellen, wie uns das Thema seither belastet? Die Alpgenossenschaft, meine Familie und mich? Wir werden angefeindet. Bekommen beleidigende Briefe, werden in den Medien verurteilt. Sogar schlechte Bewertungen werden im Internet über unseren Betrieb veröffentlicht! Es wurde zur Hetzjagd gegen uns, aber auch gegen die gesamte Alpwirtschaft!
Warum haben Sie Ihre Version der Geschichte so lange nicht der Öffentlichkeit präsentiert?
Thaumiller: Zum einen bin ich kein Mann der großen Worte. Zum anderen liegt der Fall ja schon seit ein paar Wochen vor Gericht. Mehrere Anwälte beraten uns. Wir sollten nichts sagen, solange die Ermittlungen laufen. Das haben wir gemacht. Auch wenn es schwierig ist, bei den Anschuldigungen ruhig zu bleiben. Wir haben dem Landratsamt drei Mal ein Gespräch angeboten. Drei mal gab es keine Antwort. Mir ist wirklich an einer Lösung gelegen. Aber man will nicht mit uns sprechen.
Jetzt wurden diese Woche die Dämme geöffnet vom Landratsamt. Warum?
Thaumiller: Wir wissen es nicht. Wir gehen davon aus, dass die Dämme jetzt kurzfristig geöffnet wurden, weil das Wasserwirtschaftsamt Angst hatte, dass es im Frühjahr (bei der Schneeschmelze) zu Überschwemmungen am unteren Bachlauf hätte kommen können. Ob das so gekommen wäre, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass mit den Dammöffnungen das Wasser nun wieder auf unsere Wiesen ausgeleitet wird. Die Wiesen sind also weiter ein Überschwemmungsbereich. Jetzt haben wir also genau das gleiche Problem wie am Anfang! Ob es die Dammöffnungen gebraucht hat, werden die Gerichte klären müssen. Da geht es dann sicher auch um die Kosten für die Öffnungen. Auch wird es dann um die Suche nach Schuldigen gehen, und da wird man auch das Landratsamtes nicht ausblenden können.
Wurde ein Hubschrauberlandeplatz angelegt?
In der Presse war auch von einem neu gebauten Hubschrauberlandeplatz zu lesen, den Sie haben anlegen lassen.
Thaumiller: Wieder falsch! Wer die Gegend kennt weiß genau, dass es sich um einen Holzlagerplatz handelt. Der wird seit über 20 Jahren für Rettungsflüge, Versorgungsflüge oder bei verletzten Tieren als Landeplatz genutzt. Der Holzlagerplatz ist deshalb auch als „Hubschrauberlandeplatz“ bekannt. Die Bagger haben dort umgedreht. Beim Wenden der Bagger wurde der Platz aus Versehen aufgerissen. Das wurde dann wieder glatt gemacht. Niemand hat 2022 einen Hubschrauberlandeplatz angelegt. Warum das von der Landrätin und vom Bund Naturschutz behauptet wird, kann ich nicht beantworten!
Bei der aktuellen Presse und auch den Aussagen vom Landratsamt geht es um sehr feine Unterschiede in Begrifflichkeiten: Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie statt einer Gewässerunterhaltungsmaßnahme einen Gewässerausbau vorgenommen haben. Was ist damit gemeint?
Thaumiller: Ich bin kein Jurist und kein Spezialist für Gewässerbau! Es gibt aber wohl wichtige Unterschiede und entsprechend andere Zuständigkeiten im Amt. Eigentlich wollten wir nur den Hochwasserschaden vom August beseitigen. Wir haben uns an das Landratsamt gewandt, das mit uns die Maßnahmen erarbeitet hat. Danach haben wir es genauso gemacht wie vereinbart. Aber scheinbar wussten die Kollegen vom Landratsamt es auch nicht besser. Sonst hätten wir ja keine Genehmigung bekommen. Heute aber wird uns vorgeworfen, dass wir es hätten besser wissen müssen als das Landratsamt.
Es gab ja bereits eine erste Bewertung des Falls durch das Verwaltungsgericht Augsburg: Eilantrag abgelehnt. Ihre Reaktion?
Thaumiller: Im Eilantrag ging es nur um die Sofortmaßnahmen der Dammöffnungen. Wir haben dagegen geklagt, weil keiner weiß, ob es eine Überschwemmungsgefahr gibt und das befahren des Alpweges im Winter eine erhebliche Gefahr darstellt. Es geht dabei also noch nicht um die Schuldfrage der ganzen Sache, sondern nur um die Sofortmaßnahme. Aber: Wir sind darüber hinaus auch mit der Bewertung des Verwaltungsgerichts Augsburg nicht einverstanden. Die haben uns geschrieben: Wir hätten wissen müssen, dass es für die Maßnahmen eine „richtige“ Genehmigung braucht! Ich meine: Das Landratsamt hat uns das ja selbst nicht gesagt - oder haben Sie es nicht gewusst? Das Landratsamt wusste selbst nicht, wer zuständig ist und dass ein Genehmigungsverfahren erforderlich ist, sonst hätten sie uns den Beginn derBaggerarbeiten nicht erlaubt.
15 Kripobeamte und die Staatsanwaltschaft stürmten Räume
Sie haben vorhin gesagt, dass sie ja eigentlich nichts zur Sache sagen wollten. Warum brechen Sie jetzt Ihr Schweigen? Haben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und die Hausdurchsuchung Sie dazu bewogen?
Thaumiller: Mit dem Öffnen der Dämme ist auch bei mir ein Punkt erreicht, wo ich die Wahrheit nicht mehr nur für mich behalten möchte. Die Adventszeit sollte eigentlich eine gemütliche Zeit sein. Das war sie für mich nicht! Der Gipfel war erreicht, als 15 Kripobeamte und die Staatsanwaltschaft in unser Hotel stürmten und nicht nur unseren Gästen, sondern auch uns Angst gemacht haben! Hotel- und Privaträume wurden durchsucht, unsere Handys und Notebooks wurden beschlagnahmt. Man fühlt sich wie ein Schwerverbrecher. Erklären Sie das mal Ihren Gästen und Mitarbeitern! Das war brutal! Aber nachdem was jetzt noch weiter passiert ist - und weil auch keiner vom Landratsamt mit uns reden will, - wollten wir jetzt einfach reinen Tisch machen. Und wir wollen, dass die Spekulationen jetzt aufhören und endlich Ruhe im Tal einkehrt. Ich bin schockiert, wie schnell man in einem Ehrenamt so in Bedrängnis kommen kann und wie man wegen einer kompletten Fehleinschätzung des Landratsamtes als Rat suchender Bürger zu einem „Kriminellen“ wird.
Was denken Sie über das Landratsamt?
Thaumiller: Besonders enttäuscht bin ich von unserer Landrätin Frau Baier-Müller. Ich weiß noch genau, was wir vor Ort mit ihrem Mitarbeiter vereinbart haben. Der hat scheinbar einen großen Fehler gemacht. Ich bin dem Mitarbeiter nicht böse. Aber, dass die Landrätin Baier-Müller in der Öffentlichkeit die Tatsachen so verdreht und sich in ihren Lügen verstrickt, welche Schäden daraus für die gesamte Alpwirtschaft, unsere Existenz, meine Familie und für mich entstanden sind – das ist nicht wieder gutzumachen.