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Umstellen auf Bio

Milchvieh: System immer wieder nachjustiert

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Eberhard Westhauser
am Mittwoch, 21.10.2020 - 09:00

Auf dem BioRegio-Betrieb Haneberg in Hinterholz bei Kempten informierte der Anbauverband Naturland mit der LfL interessierte Umsteller in Theorie und Praxis über Weidesysteme und Grünlandmanagement für Bio-Milchviehbetriebe.

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Kommt eine Beweidung für mich in Frage und welches Weidesystem ist das richtige? Lassen sich hohe Leistungen und Beweidung vereinbaren? Wie groß ist der Flächenbedarf für meinen Viehbestand und welche Nutzung und Nutzungsintensität ist möglich? Passen Nährstoffbedarf mit den verfügbaren Mengen an Wirtschaftsdünger zusammen? Welche Anpassungen sind bei einer zusätzlich notwendigen Fütterung im Stall nötig?

Das waren zentrale Fragen, die NaturlandBerater Sebastian Wagner aufgriff und praxisbewährte Antworten für die anwesenden Umsteller vermittelte. Gerade in der Umstellungsphase und in den ersten Jahren als Ökobetrieb ist der Bedarf nach fundiertem und praxiserprobtem Hintergrundwissen hoch. Der BioRegio Betrieb Richard Haneberg GbR, der bayernweit zu den 100 langjährig wirtschaftenden und vorbildlich geführten Betriebe gehört, war der ideale Standort für ein erfolgreiches Seminar.

Natürliche Standortfaktoren berücksichtigen

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Eine gewinnorientierte Milchviehhaltung erfordert ein Weidesystem, das die natürlichen Standortfaktoren wie Klima, Topografie und Pflanzenbestand und die räumlichen Gegebenheiten des Betriebes, wie z. B. die Entfernung zu den Weideflächen, berücksichtigt. Das Weidesystem muss sicherstellen, dass über die gesamte Weideperiode ausreichend qualitativ hochwertiges Futter zur Verfügung steht und Verluste minimiert werden können. Für die Wahl des Weidesystems sind Hangneigung, Niederschlagsmenge und -verteilung und die Nähe der Weideflächen zum Hof von entscheidender Bedeutung.

Die Optimierung eines Weidesystems ist ein langjähriger Prozess. Viele Betriebsleiter entwickeln durch ständige Anpassung ihr individuelles Weidesystem, das am besten zu den betrieblichen Bedingungen und den persönlichen Vorlieben passt. Dazu Richard Haneberg: „Unser Biobetrieb ist kein statisches Gebilde, wir haben uns ständig weiterentwickelt. Sehr gut lässt sich das auch an der Organisation unserer Weidewirtschaft ableiten.“

Kurzrasen- oder Umtriebsweide bei ausreichenden Niederschlägen

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Sebastian Wagner ergänzte: „Wenn homogene, zusammenhängende Flächen mit überwiegend Weidelgras, Wiesenrispe, Kräutern und Klee verfügbar sind und Sommertrockenheit kaum eine Rolle spielt, dann ist je nach Präferenz Kurzrasenweide oder die Umtriebsweide bzw. Portionsweide mit mehreren Koppeln das ideale System.“ Die Besatzzeit sei kurz. Die optimale Bestandshöhe betrage 10-15 cm. In max. 2-3 Tagen müsse das angebotene Futter sauber bis auf 5-7 cm abgefressen sein. Eine kurze Besatzzeit vermindere auch die Übernutzung des Bestands. Der Ampferbesatz bleibe gering und die Futterqualität gleich hoch. Güllegaben seien einfach durchzuführen. Homogene Koppeln würden außerdem eine gleichmäßige Verteilung der Extremente ergeben. Weiden mit unterschiedlicher Hangneigung sollten in separate Koppeln aufgeteilt werden. Trittschäden seien zu vermeiden.

Wagner gab noch den weiteren wichtigen Tipp, dass sich eine Vorweide bei allen Systemen empfehle, wenn Obergräserhorste rd. 10 cm hoch seien. Diese erste Beweidung führe zu einem einheitlich hohen Gras-, Kräuter- und Kleebestand. Gräser würden sich so schneller wieder bestocken. Eine Vorweide sei jedoch nur praktikabel, wenn der Boden trittfest ist.

Kriterien für die betriebliche Entscheidung

Kriterien für die betriebliche Entscheidung seien: Anteil der hofnahen Flächen, Größe der Parzellen, Bodenart, Wasserhaltefähigkeit des Bodens, Wüchsigkeit, Nährstoffversorgung, Pflanzenbestand, Anteil der Hangflächen, angestrebte Milchleistung oder die Anschaffung eines Melkroboters, der die Weidewirtschaft verkompliziert. Letztlich sei der Betriebsleiter und seine Familie der entscheidende Faktor.

Das System auf dem Betrieb Haneberg

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„Wir haben 1986 mit 32 Milchkühen auf Öko umgestellt und zwar aus Überzeugung. Weder gab es damals eine KULAP Prämie, oder Öko- bzw. Heumilchzuschläge. Es war die Sorge um unsere Umwelt, die mich bereits damals umtrieb.“ Heute habe er 45 Kühe, rd. 35 Stück Jungvieh und bewirtschafte ca. 45 ha absolutes Grünland. Ca. 40 % dienen der Schnittnutzung bei 4 (5) Schnitten, die anderen seien Weideflächen unterschiedlicher Intensität und Nutzung.

2001/2002 wurde ein Außenklima Boxenlaufstall gebaut. „Anfangs betrieben wir noch Silowirtschaft. Seit vielen Jahren sind wir nun reiner Heumilchbetrieb. Gutes Heu zu werben, ist bei 1200 mm Niederschlag mitunter eine Herausforderung.“

In 0,8 ha Parzellen unterteilt

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Einige Jahre wurden die hofnahen Weideflächen als Kurzrasenweide genutzt. Ab Mitte September wurde jedoch immer das Futter knapp, außerdem waren die Flächen nicht homogen. Wegen der anteiligen Steilflächen habe man die Weideflächen in einer zweiten Bewirtschaftungsphase in Koppeln aufgeteilt. Zuerst in 7 Koppeln zu 1,7 ha. Das Futter reichte für rd. 4 Tage. „In den ersten 2 Tagen stieg die Milchleistung stark an, um dann in den letzten 2 Tagen ziemlich einzubrechen“, berichtete Haneberg. Das sei weder optimal für die Kühe noch für den Betriebsleiter.

Dieser Umstand habe dazu geführt, dass die 7 Koppeln nochmals in 0,8 ha große Parzellen unterteilt wurden. Das sei nun die vorläufig letzte Entwicklung auf der Suche nach der idealen und kuhgerechten Beweidung. Die rd. 45 Kühe, die nur tagsüber auf der Weide sind, haben binnen zweier Tage den Aufwuchs auf die Höhe von 6-8 cm abgefressen. Die Milchleistung sei über die 2 Tage gleichbleibend hoch. Nach rund 26 Tagen Ruhezeit, könne erneut mit der Beweidung begonnen werden. Haneberg kommt so auf rd. 6 Weideperioden à 2 Tagen.

Heu ad libitum

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Während der Nacht seien die Kühe im Stall und erhalten qualitativ hochwertiges Heu ad libitum aus der Kondenstrocknung. Sie fressen rd. 8-10kg. Kraftfutter gebe es nicht, nur eine Mischung aus Kleie, Brotmehl und Cobs, und zwar je 250kg/Kuh und Jahr, die im Melkstand angeboten wird. Die Milchleistung liegt bei 6500-7000kg. Das Jungvieh befindet sich ganzjährig auf speziellen extensiven, teilweise hängigen Standweiden bzw. in Pension.

Die Kombination von Theorie durch den Naturlandberater Sebastian Wagner und der Praxisbericht durch den Betriebsleiter Richard Haneberg, verbunden mit viel Gelegenheit zur Diskussion und einer ausgiebigen Stall- und Flächenbesichtigung, war ein ideales Konzept für Neueinsteiger und umstellende Betriebe.

Besonderheiten und Kennzahlen des Betriebes

  • Die durchschnittliche Bodenzahl beträgt 52 Punkte (36-64), die Bodenart ist sandiger Lehm mit guter Wasserhaltefähigkeit.
  • Die Düngung erfolgt über Wirtschaftsdünger. Im Frühjahr und Herbst wird ein Gemisch von Regenwasser und Gülle ausgebracht, rd. 15-20m³/ha. Insgesamt sind es 1250 m³ Gülle und noch rd. 350 t Stallmist. Dem Betriebsleiter ist es ein großes Anliegen, N-Verluste zu minimieren. Im Biobetrieb gibt es keinen Ausgleich über mineralischen Stickstoff. Deshalb gilt dem ausgeglichenen Verhältnis von Nährstoffentzug und Lieferung höchste Aufmerksamkeit.
  • Die Schnittnutzung erfolgt teilflächenspezifisch. „Ich kann bei ausschließlicher Heuwerbung nicht meine gesamte Fläche mähen, sondern immer nur Teilflächen, um Heu mit hoher Qualität zu erzeugen.“
  • Die Futteranalysenwerte sind mit 6 MJ/NEL beim 1. Schnitt und 6,5 MJ/NEL beim 2. Schnitt gut. Der Eiweißgehalt liegt bei 12-15 %.
  • Der Jungviehbereich ist stroheingestreut in Tiefboxen. Der Strohbedarf beträgt 60 Großballen. Die Tiefboxen im Laufstall werden mit Laub von den Parkanlagen in Kempten eingestreut. Diese beiden organischen Düngemittel sind hervorragende Nährstofflieferanten für das Grünland.
  • Eine Besonderheit ist auch das Grasdach des Boxenlaufstalls und dessen positive Wirkung auf das Stallklima, insbesondere an heißen Tagen.
  • GV Besatz/ha: 1,5 GV; durchschnittliche Herdenleistung 6800 kg bei 4 %Fett. Gehalten werden Schwarzbunte mit Hörner. Die durchschnittliche Lebensleistung liegt bei 30.000kg Milch.