Mertingen/Lks. Donau-Ries Sie ist seit beinahe 100 Tagen im Amt und sie fühlt sich darin angekommen. Nicole Binger, die neue Kreisbäuerin von Donau-Ries, ist mit ihrem Start zufrieden. „Das kann ich mit gutem Gewissen sagen“, sagt sie.

Ihre Wurzeln hat sie nicht in der Landwirtschaft, sie hat auf einen Hof eingeheiratet. Kennengelernt hat Nicole Binger ihren Mann Richard beim gemeinsamen Musizieren. Heute lebt die 45-Jährige mit ihrer Familie im Mertinger Ortsteil Gut Burghöfe. Drei Kinder hat das Elternpaar in den 22 Jahren ihrer Ehe großgezogen. Beim Ankommen auf dem Hof habe ihr sehr geholfen, erzählt Binger, dass sie das Haus von Anfang an nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen gestalten konnte. Englische Rosen sind ihre Leidenschaft. Die Tapete im Hausflur zeigt ein Muster von Laura Ashley. „Ich möchte dem Haus Charme verleihen“, erklärt Binger. Zu viel Romantik sollte man sich dabei allerdings nicht ausmalen. Immerhin warten als Aufgabe 60 Fenster, die geputzt werden müssen.
Die Familie leben
Die Bingers praktizieren die klassische Rollenverteilung. Die Verantwortung für den konventionell geführten Ackerbaubetrieb mit Saatgutvermehrung, Legehennenhaltung mit Direktvermarktung der Eier und Rinderpensionshaltung liegt in den Händen des Mannes. Büro, Haus, Garten und Familie sind die Domäne von Nicole Binger. „Das Schöne ist: Wir haben Zeit, gemeinsam zu frühstücken und Mittag zu essen. Wir schauen, dass wir die Familie leben.“
In die BBV-Arbeit ist sie mit der Zeit hineingewachsen – aufs Ortsehrenamt folgte die federführende Mitarbeit am Konzept „Schule fürs Leben“. Die damalige Kreisbäuerin Ruth Meißler wurde auf sie aufmerksam und warb um ihre Mitarbeit. So sei eines zum anderen gekommen.
Mehr als Plätzchen
„Als Kreisbäuerin bin ich nicht die Kaffee- und Kuchenbeauftragte des Landkreises“, macht Nicole Binger deutlich. Sie hat die Teilzeitausbildung zur Hauswirtschafterin absolviert und kann heute, wie sie erzählt, durchaus Plätzchen in exakt gleicher Form produzieren – aber eben noch weit mehr.
Klar sei für sie auch: „Männer und Frauen arbeiten heute im BBV auf Augenhöhe zusammen.“ Die Kommunikation mit Kreisobmann Karlheinz Götz schätzt sie sehr. „Wir sprechen viel miteinander.“ Das ganze Team: „Es passt.“ In Susanne Löfflad sieht sie eine erfahrene Stellvertreterin an ihrer Seite.
Ihre Methode überraschen
„Meine Ausbildung ist meine Stärke“, sagt sie. Teamarbeit ist ihr wichtig und in ihrer Ausbildung als Erzieherin habe sie auch gelernt, ein Team zu führen. Auf die Frage, was sie beruflich für das neue Amt qualifiziere, nennt Binger spontan auch Begriffe wie Kritikfähigkeit und eine geschulte Wahrnehmung. Mit ihren Methoden überrasche sie manchmal, sei aber auch erfolgreich.
So habe es bei einem Eskalationsgespräch sehr geholfen, dass sie in Gesprächsführung ausgebildet ist: eine gestaltete Mitte, auf die man sich gemeinsam fokussiert; Ich-Botschaften; ein Cut zur rechten Zeit. Beim Redenhalten täten sich manche Kreisbäuerinnen schwer, Binger hat im Rhetorikunterricht den freien Vortrag geübt. Sie baut gerne Geschichten in ihre Reden ein, da schlägt die Erzieherin in ihr durch.
Herzensprojekt: Arbeit mit Kindern
Nicole Binger ist für den Landesfachausschuss für Bildung und Beratung vorgeschlagen. Das hat einen guten Grund: Bingers Herzensprojekt ist die Arbeit mit Kindern, über die sie auch zum BBV-Ehrenamt gefunden hat. Im Projekt „Landfrauen machen Schule“ sollen Kinder lernen, einen Zusammenhang zwischen gesunder Ernährung und regionaler Landwirtschaft herzustellen.
Im Konzept „Schule fürs Leben“ werden Alltagskompetenzen vermittelt, die Kinder brauchen, um das eigene Leben selbstständig und sinnvoll zu gestalten. Die Kinder und Jugendlichen sollen dabei nicht nur Wissen und Fertigkeiten vermittelt bekommen, sondern auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützt werden. Bauernhöfe dienen dabei als Lernorte, Landwirte und -frauen wirken als Praxisexperten. Binger möchte für dieses Engagement auch mehr Männer gewinnen.
Keine klassische Bäuerin
In der klassischen Sichtweise sei sie eigentlich keine Bäuerin, meint sie. „Die klassische Bäuerin geht in den Stall und melkt Kühe.“ Die neue Kreisbäuerin will den Begriff der Landfrau weiter gefasst sehen. „Eine Landfrau ist für mich eine Frau auf dem Land.“ Als Ortsbäuerin habe sie erleben müssen, wie die Zahl der Mitgliedsbetriebe immer mehr geschrumpft sei, die Veranstaltungen der Landfrauen immer schlechter besucht wurden. „Als wir die Veranstaltungen geöffnet haben, hatten wir volles Haus.“
Junge Frauen gönnen sich heute etwas und wenn man die Angebote den Bedürfnissen und Lebensgewohnheiten der Frauen anpasst, nähmen sie diese auch wahr, ist Binger überzeugt. Der Erfolg des Mertinger Frauenfrühstücks mit Vortrag, zu dem regelmäßig 70 bis 80 Frauen kommen, gibt ihr Recht. Die Kreisbäuerin sieht in den Veranstaltungen auch eine Möglichkeit, die Anliegen der Landwirtschaft zu kommunizieren und Frauen Agrarpolitik zu erklären.
Online vor allem für junge Frauen
Bei den Gebietsversammlungen setzt die sie auf einen Mix aus Online- und Präsenzveranstaltungen. Die Onlineveranstaltungen seien vor allem für junge Frauen wichtig, es brauche aber auch den unmittelbaren Austausch. Ein wichtiges Projekt der nächsten Zeit wird die Planung und Gestaltung des Landfrauentages sein. Die Kreisbäuerin möchte auf eine Entwicklung des Landfrauenbildes hinwirken. Zu den Landfrauen von heute zähle schließlich auch die Landwirtin und Betriebsleiterin, betont Binger und freut sich besonders, dass sich diese Bandbreite auch in der Besetzung des aktuellen Kreisvorstandes widerspiegelt.
Binger kennt als Kind aus einer Arbeitnehmerfamilie die Verbraucherperspektive: „Ich weiß, wie meine Familie über Lebensmittel gedacht hat.“ Die Kreisbäuerin möchte die Verbraucher und deren andere Sicht auf die Landwirtschaft mit ins Boot holen. Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit sei es, das Positive in der Landwirtschaft zu präsentieren.
Es ist zu viel im Umbruch
Ob Biodiversität oder Klimawandel: Es entsteht für Außenstehende durchaus schon mal der Eindruck, dass die Landwirtschaft nur unter strengen Auflagen der Politik ihr Handeln ändert. Binger spielt den Ball zurück und fordert mehr Konstanz und Planungssicherheit: Staatliche Maßnahmen wie die Ausweisung der Roten Gebiete erfolgten zu kurzfristig oder seien in der konkreten Umsetzung nicht nachvollziehbar. Initiativen zum Tierwohl setzten kostenintensive Stallumbauten und Neubauten voraus. Die Bauern, sagt Binger, seien müde, sich auf immer neue Auflagen einzulassen, könnten die geforderten Investitionen nicht einfach aufbringen. „Es ist in der Landwirtschaft zu viel im Umbruch“, meint sie. Binger wünscht sich mehr gesunden Menschenverstand in diesen Fragen und das „Vertrauen in die Landwirte, dass sie das gut machen“.
Fast ein Viertel der Bäuerinnen sind heute laut Bäuerinnenstudie in Gefahr, einen Burnout zu erleiden. Bei der neuen Kreisbäuerin muss man sich hoffentlich keine Sorgen machen. Sie hat Zeit und Energie und möchte die landwirtschaftliche Struktur im Landkreis zukunftsfähig mitgestalten. Und vor allem: Nicole Binger hat Lust auf das neue Amt.