Das Allgäu ist bekannt für hochwertige Milch und exzellenten Käse, weniger aber für sein Rind- und Kalbfleisch. Doch wo Milch gemolken wird, werden auch Kälber geboren. 50 % von diesen Kälbern, vorwiegend die männlichen, gehen in die Mast. Da im Allgäu Rindermast nicht lukrativ ist, werden 80 % der Kälber zur Mast nach Norddeutschland verkauft. Rund 20 % gehen in den Export in Südländer. Das ist ein krasser Widerspruch zur Philosophie des Biolandbaus mit seinem Fokus auf das Tierwohl. Denn trotz vielfältiger Bemühungen von Biolandwirten und -verbänden ist die Vermarktung der Biokälber in die konventionelle Intensivmast Standard.
„Der Biofleischmarkt kann mit dem positiven Wachstum des Biomilchmarktes nicht mithalten“, sagt Sarah Diem, Projektmanagerin der Ökomodellegion Oberallgäu Kempten. Das bedeutet, dass die Kunden gerne Biomilch kaufen, jedoch beim Kauf von Biorindfleisch zurückhaltend sind. Die Kunden seien bisher nicht bereit, höhere Preise für Fleisch von Tieren zu zahlen, die im Allgäu auf der Weide statt in Italien in der Intensivmast gemästet werden. Deshalb arbeitet die Ökomodellregion seit fünf Jahren an einem Pilotprojekt mit dem Titel: „Allgäuer Milch und Fleisch gehören zusammen“ (Unser Allgäu berichtete).
Neue Website gelobt

Die neue Website zu diesem Thema wurde nun bei deren online-Präsentation hochgelobt. Es ist keine normale Website, sondern vielmehr eine „Online-Plattform, die die zukünftige Landwirtschaft im Allgäu positiv mitgestalten soll“, so ihre Macher von der Ökomodellregion Oberallgäu Kempten, Sahra Diem, Beate Reisacher und Cornelia Bögel. Sie richte sich an Verbraucher und Erzeuger gleichermaßen, soll diese untereinander und miteinander vernetzen.
Bei der Vorstellung der neuen Website bekamen sie viel Applaus, zum Beispiel vom stellvertretenden Landrat Roman Haug: „Die Landwirte werden heute mit Preisen gequält, die ein Auskommen fast unmöglich machen. Auf der anderen Seite stellt man sie an den Pranger, weil sie angeblich negative Einflüsse auf unsere Umwelt haben. Gleichwohl wissen wir, dass die Landwirtschaft in unserer Heimat eine wichtige Funktion hat. Neben der Versorgung mit gesunden Lebensmitteln erhält sie unsere Kulturlandschaft.“ Die neue Plattform bringe zum Ausdruck, dass wir nicht mehr Fleisch konsumieren sollen, sondern darauf schauen, dass unser Fleischkonsum vertretbar ist. „Dazu gehört, dass man regionale Produkte konsumiert. Sonst können wir unsere kleinstrukturierte Landwirtschaft nicht erhalten“, so Haug.

Kemptens OB Thomas Kiechle betonte: „Beim Thema Kälber müssen wir den Verbraucher im Blick haben. Wir stellen fest, dass die Menschen kritischer beim Kauf ihrer Lebensmittel werden.“ Die derzeitige Vermarktungssituation von Kälbern sei ein Skandal, so Kiechle weiter. Man dürfe dabei den Klimaschutz nicht vergessen. Dauergrünland binde CO2 in erheblichem Umfang, reinige das Trinkwasser und erhalte die Artenvielfalt. „Das ist vielen gar nicht so bewusst. Die große Chance, die die Ökomodellregion überhaupt hat, ist es, der zunehmenden Entfremdung zwischen Verbraucher und Erzeuger ein Stück weit entgegenwirken zu können“, machte der OB deutlich.
2016 habe noch kein Mensch über diese Kälber gesprochen, sagt Beate Reisacher. Jetzt haben rund 100 Bauern schon sieben Initiativen gegründet. Gehe man von 30 Kühen pro Landwirt aus, würden 3000 Kälber im Allgäu versorgt. Dazu hunderte von Tieren über das Programm „Allgäuer Hornochse“. Das seien zwar kleine, aber bedeutende Fortschritte.
Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig
Extrem wichtig sei hier die Öffentlichkeitsarbeit. „Wir müssen den Verbraucher mit ins Boot holen, in dem wir viel über das Thema sprechen. Wir brauchen eine regionale Weidemast, um hochwertiges, regionales Fleisch produzieren zu können. Die Vernetzung ist wichtig und ebenso die Bewusstseinsbildung beim Verbraucher.“
Sebastian Uhlemair, der an der Onlinepräsentation teilnahm, bewirtschaftet bei Rettenberg einen Ochsen- und Färsenweidemastbetrieb im Nebenerwerb. Er war einer der ersten Landwirte, die bei dem Projekt der Ökomodellregion aktiv waren. Früher hatte er einen Milchviehbetrieb mit etwa 20 Milchkühen, den er 1998 auf Bio- und Heumilchbetrieb umgestellt hat. 2009 ist er aus der Milchwirtschaft ausgestiegen, „weil ich da für mich nicht so die Entwicklungschancen gesehen habe“. Er hatte aber noch eigene Kälber und Jungviehaufzucht.
Christof Eisele, Koch und Sommelier vom Naturkosthandel „Pur Natur“ in Kempten, betonte bei der Online-Präsentation: „Unser Interesse ist die Vermarktung der biologischen Produkte von kleinbäuerlichen Betrieben.“ Er sei schon 2018 über das Programm „Allgoiß“ zur Ökomodellregion gekommen, bei dem es um die Vermarktung von regionalem Ziegenfleisch gehe. Das Projekt sei ein voller Erfolg gewesen – auf wirtschaftlicher und werteorientierter Basis. Eisele monierte, dass in unserer Wohlstandsgesellschaft nur noch 30 bis 40 % des Lebendgewichtes eines Schlachttiers beim Konsumenten ankämen und der Rest als Hundefutter verarbeitet würde.
Das ganze Tier vermarkten
Ulrich Mück von Demeter Bayern forderte, Rinderzunge oder Lüngerl wieder als regionale Spezialität zu beleben. Es gelte das ganze Tier zu vermarkten, „from nose to tail“. Der Wert des Grünlands sei zudem völlig aus dem Blick geraten. Erst jetzt, im Zuge der Diskussion um den Klimaschutz komme das Grünland wieder ganz stark in das Bewusstsein, zumindest bei den Forschern.