
Mit Christian Reichle hat es ein Allgäuer Milchviehbetrieb geschafft, in die Endausscheidung des Ceres Award zu kommen. Und er hat gute Chancen mit einem ersten Preis nach Hause nach Böglins bei Ottobeuren zurück zu fahren. Denn mit gerade mal 25 Jahren hat der Landwirtschaftsmeister nach der Betriebsübernahme mit einer betriebseigenen Milchverarbeitung, verbunden mit einem Lieferservice einen neuen Betriebszweig aufgebaut.
Der Milchviehbetrieb der Familie mit derzeit 65 Braunviehkühen und weibliche Nachzucht ist 50 ha groß, 20 ha sind zugepachtet, die Flächen liegen fast alle um den Hof. Christian Reichle bewirtschaftet den Betrieb mit seinem Vater und seinem Bruder.
Eigene Hofmolkerei
Preisverdächtig sind allerdings die Aktivitäten rund um die neue Hofmolkerei. Christian Reichle produziert dort seit etwa einem Jahr Vollmilch und Joghurt. Aber wie schafft er es, die anspruchsvollen Produktionsprozesse in der Milchverarbeitung und die hygienischen Anforderungen zu meistern? Christian eignete sich die Fachkentnissse autodidaktisch selbst an, besuchte Käsekurse, half in Käsereien aus und „stellte viele Fragen“, wie er selber sagt. Und die vielen innovativen Produkte aus der Hofmolkerei zeigen, dass er sich ein durchaus vertieftes Wissen in der Milchverarbeitung angeeignet hat.
Lange Planungs-und kurze Bauzeit
Dem Start der Produktion am 15. Oktober 2021 ging eine lange Planungsphase voraus. Schon in der Landwirtschaftschule, als ein Thema für die Wirtschafterarbeit gefunden werden musste. Christian Reichle hat Spaß an der Milchverarbeitung. Er wollte mit der Hofmolkerei auch „die Verbraucher an den Landwirt holen“ und kurze Wege von der Produktion zum Verbraucher aufbauen.
Der knapp dreijährigen Planungsphase folgte eine einjährige Bauphase, in der die Familie Reichle viel Eigenleistung und eigenes Bauholz einbrachten. Entstanden ist ein unterkellertes Gebäude mit einer Hofmolkerei auf 120 m².
Besonders schonende und ökologische Produktion
Besonderen Wert legt Christian Reichle auf die Schonung der Umwelt bei der Herstellung seiner Produkte:
- Milch und Joghurt werden in Glasflaschen geliefert und mehrfach verwendet. Pfand wird nicht erhoben. Die Rücklieferung erfolgt auf Vertrauensbasis, was bisher ohne Probleme funktioniert
- Alle Gläser werden mit 100 °C heißem Dampf gespült und einzeln geprüft. Reinigungsmittel kommen nicht zum Einsatz
- Die Energie kommt aus zwei regenerativen Quellen:
- eine Hackschnitzelheizung zur Wärmeerzeugung
- eine PV-Anlage liefert eigenen Strom für die Eiswasserkühlung.
Hohe Produktqualität angestrebt
Auch in der Herstellung von Vollmilch und Joghurt versucht Christian Reichle eine möglichst hohe Produktqualität zu erzielen:
- Um die Eiweißstruktur der Milch nicht zu zerstören, kommen keine Pumpen zum Einsatz. Die Milch fließt mit der Schwerkraft von einem Bearbeitungsschritt zum nächsten. Alle Kessel stehen hierfür auf einem Podest.
- Für den Joghurt verwendet er nur die kuhwarme Milch mit natürlichem Fettgehalt. Milchpulver oder Dickungsmittel sind ein Tabu. Nur Früchte in Bioqualität kommen in das Joghurtglas mit 500 g Inhalt.
- Die Vollmilch wird in der Pasteurisierung auf nur 63 °C erhitzt. Die Fettstruktur bleibt dadurch weitgehend erhalten. Diese Milch ist tatsächlich anders, bestätigt auch ein Kaffeehausbetreiber in Ottobeuren, „sie schmeckt süßer“. Mit dieser Milch kann er sich den Zucker für seinen Latte Macchiato glatt sparen.
Produktpalette soll noch erweitert werden
Bisher stellt der Christian Reichle zwei Produkte her: Vollmilch und Joghurt. Joghurt wird als Naturjoghurt angeboten oder mit Erdbeeren, Heidelbeeren, Haselnuss, Vanille oder Pfirsich. In der Vollmilch im Literglas ist der natürliche Fettgehalt der Milch erhalten.
In einem nächsten Schritt will Christian Reichle Camembert nach einem selbst entwickelten Herstellungs-Verfahren in das Angebot nehmen. Ziel sei ein besonders weicher, cremiger Käse. Hierfür muss er aber noch ein Reiferaum bauen.
Vertrieb
Die Produkte kommen am Dienstag und Freitag mit zwei Kühlfahrzeugen direkt zu Kunden in der näheren Umgebung. Dies bestellen über den Online-Shop ein Abo, oder auch zusätzliche Mengen, und geben auch gleich den Ablageort an. Wöchentlich gibt es die Produkte auch auf dem Markt in Ottobeuren. Ein Kühlschrank auf dem Hof mit einer „Vertrauenskasse“ ist 24/7 zugänglich.
Der weitere Aufbau des Kundenstammes erfolgt über die sozialen Medien, was auch bereits während der Bauzeit funktionierte und natürlich über Mund-zu-Mund-Propaganda. Hervorgehoben wird stets die besondere Produktqualität, der Service und die Zuverlässigkeit. Die Produkte haben inzwischen so gut eingeschlagen, dass etwa 50 000 l Milch über die Hofmolkerei direkt verkauft werden - anstatt sie abzuliefern. Die Erwartungen von Christian Reichle sind damit in Erfüllung gegangen.
Innovative Flaschenabfüllung
Doch nicht nur was die Produkte selbst angeht, auch sonst ist Christian Reichle innovativ: Die Vollmilch wurde bisher zeitaufwendig flaschenweise abgefüllt, und die Deckel von Hand zugeschraubt werden. Bei 500 Flaschen täglich braucht es dafür schon einige Zeit. Zusammen mit einem holländischen Hersteller entwickelte Christian Reichle jedoch eine Maschine, die über einen Hubzylinder die Flaschen kastenweise bereit stellt. Und für das Deckel zudrehen wurde auch eine Maschine gefunden.
Der Bio-Betrieb Reichle, Böglins
- LN: 50 ha Dauergrünland, davon 20 ha gepachtet, fast alle Flächen um den Hof
- Viehbestand: 65 BV-Milchkühe, Milchleistung: ca. 7000 kg bei 5-6 dt. MLF/Kuh, Natursprung mit Blonde d‘ Aquitaine Bulle, Verkauf der Kälber an Mäster, dort Mast für Feneberg, Zukauf weiblicher Zuchtkälber, 25 Stück weibliche Nachzucht
- Fütterung: Kurzrasenweide, Grassilage, Heu, Cobs
- Betriebssystem: zertifiziert ökologisch seit 2000, Mitglied bei Bioland
- Arbeitskräfte: Betriebsleiter, Bruder, Vater