Daniel Bensmann fällt auf. „Da sind nicht mehr viele Stellen an meinem Körper, die nicht tätowiert sind“, erzählt der 33-jährige Bad Hindelanger, der schon in jungen Jahren sichtbar Tattoos getragen hat. In der 5000-Seelen-Berggemeinde inmitten der Allgäuer Alpen ist das ein seltener Anblick und wurde anfangs skeptisch beäugt – und dann eröffnete er vor zwölf Jahren auch noch mitten im Ort ein Tattoo-Studio. „Des häm mr no nie ghät – des brüch mr id“, zitiert er die anfänglich mehr kritischen als fürsprechenden Stimmen. Für viele sei es schlicht auch nicht vorstellbar gewesen, dass man von so etwas leben kann.
Daniel Bensmann hat sich als Hautmaler im Dorf einen Namen gemacht
„Hier im Dorf ist es so, dass du erst was giltst, wenn du bewiesen hast, dass du was kannst. Das gefällt mir. In der Stadt hätte ich es anonymer und einfacher gehabt, aber ich wollte mich der Herausforderung stellen und ich will gut sein in dem, was ich mach.“ Und er hat sich bewiesen. Inzwischen kommen Kunden aus ganz Deutschland und den Nachbarländern ins beschauliche Bad Hindelang, um einen der begehrten Termine beim Hütmôlar zu bekommen. „Damit kam auch die Anerkennung aus dem Dorf“, freut sich der Jungunternehmer, der sich zuletzt am Ortsrand in einer ehemaligen Zimmerei ein stattliches Atelier eingerichtet hat. Dort habe er inzwischen auch Einheimische tätowiert, die anfangs skeptisch waren, versichert er schmunzelnd.
Tierhaut als Malgrund: Daniel Bensemann nutzt selten gewordene mittelalterliche Technik

„Es war für mich immer klar, dass ich hier im Ostrachtal, in meiner Heimat bleiben will.“ Die umgebenden Berge und die Natur bezeichnet er als seinen Ruhepol, speziell, wenn er zu Fuß oder mit dem Rad auf einsamen Pfaden in den hinteren Seitentälern wie dem abgeschiedenen Bärgündletal unterwegs ist. Überall hier draußen findet Bensmann Impressionen für seine Motive. Die braucht er aber weniger für seine Arbeit an menschlicher Haut, als vielmehr an der Staffelei. „Ich male und zeichne schon mein ganzes Leben“, erklärt er seine Berufung, in der er seine Kreativität ausleben kann. „Früher habe ich mit Öl und Acryl auf Leinwand gemalt, vor sechs Jahren kamen dann Tierhäute ins Spiel. Zeitgleich hatte er damals den Jagdschein gemacht und pirscht seither selbst durchs Revier der ortsansässigen Jagdgenossenschaft auf Hirsch, Reh und Gams.
Darüber entstand auch die Idee, die Tierhäute als Malgrund zu nutzen. „Das Produkt Haut ist heute ein Abfallprodukt und wird oft verbrannt, weil das Gerben in Deutschland nicht mehr wirtschaftlich ist“, erklärt Bensmann, der aber stattdessen möglichst das ganze Tier verwerten möchte und dafür eine spezielle Art der Konservierung nutzt: „Das ist ein rein händischer Prozess und funktioniert mit einer speziellen Kombination aus Wasser, Kalk und Sonnenlicht“, schildert er kurz die Komponenten für diese alte Handwerkskunst. Mit den daraus entstehenden Pergamenten wurden im Mittelalter Fenster und werden heute noch Trommeln bespannt.
„Das Pergament ist ein trockenes und starres Material, aber nicht brüchig, weil die natürlichen Schichten der Haut bestehen bleiben“, erklärt Bensmann. 10 bis 20 Malgründe gewinnt er auf diese Weise pro Jahr. „Das Malen auf diesen Tierhäuten ist an sich nichts Neues, aber ich weiß aktuell von keinem anderen, der das macht“, ist ihm die Rarität seiner Werke bewusst, die er 2018 erstmals in einer Einzelausstellung ausstellte und damit weit übers Tal hinaus bekannt wurde.
Charakterköpfe und Braunviehmotive sind sein Markenzeichen
„Die Malerei hat für mich nochmal viel verändert“, ist er sich auch um die Wirkung und sein Ansehen im Dorf bewusst. Denn die Motive kommen auch bei den Einheimischen gut an – sind es doch meist Charakterköpfe, wie sie jeder im Dorf kennt – auch wenn sie fiktiv sind. Dabei fallen besonders die Gesichter von älteren Männern auf, die er gerne malt, „weil man damit gut Gefühle und Geschichten erzählen kann. Man kann so vieles in den Gesichtern entdecken: Was hat er erlebt? Was geht in ihm vor? Und die Leute merken, dass da was transportiert wird.“
Dasselbe gilt für seine Braunviehmotive: „Kühe sind die präsentesten Tiere hier im Tal – nicht nur auf der Weide sondern auch direkt im Ort. Bei uns gibt’s auch heute noch die sogenannten Gassenkühe, die die Kinder morgens auf dem Schulweg schon durchs Dorf zur Weide laufen sehn. Dazu gibt’s an fast jedem Berg ringsum Alpweiden, wo das Vieh grast. Das Vieh ist ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur und prägt uns von klein auf – deshalb kommt es so oft in meinen Motiven vor.“
Ausdrucksstarke Rinder: Das Alter der Kühe beeinflusst ihr Wesen

Doch ihm genügt es nicht, Rinder einfach zu malen: „Ich will ihr Wesen kennen lernen. Dazu muss man beim Vieh sein – ohne Zaun.“ So sitze er oft lange bei den Tieren und beobachte ihr Verhalten intensiv. „Nur so lernt man, was sie wahrnehmen und wie sie ticken.“ Das ändere sich auch mit dem Alter der Tiere: „Junge Rinder sind nervös, aufgeregt und neugierig, bei den zweijährigen Rindern auf der Alp merkt man schon die erste Reife – sie sind schon relativ ruhig, zufrieden und genießen ihre Freiheit. Und dann sind da die erfahrenen alten Kühe: die haben dann ganz andere Gesichtszüge und wägen oft bewusst und in stoischer Ruhe ab, was um sie herum passiert. Und das sieht man auch.“
Und was er sieht, das malt Bensmann: „Ich will die Tiere so malen, dass man das Wesen des Tiers erkennt und dass sie etwas ausdrücken.“ Besonders stolz sei er, wenn alte erfahrene Hirten sehen, wie ich ein Stück Vieh male und sprachlos über den Ausdruck des Viehs sind. „Wenn da jemand, der das ganze Leben mit dem Vieh arbeitet, so berührt ist und das so sieht, ist das ein großes Lob für mich.“
Kuh, Gams, Reh oder Hirsch: Tierhäute als Leinwand
Apropos groß: Seine Motive malt Bensmann mitunter auch auf Kuhhäute. „Ich hab sogar noch eine Kuhhaut da, die ich gerne bemalen würde“, erzählt Bensmann und man kann das Aber bereits klingen hören. „Ich könnte auch vom Schlachter hier im Ort laufend Neue bekommen und ich würde mal wieder so ein großes Projekt malen, aber dafür braucht man Platz.“ Zum einen meint er damit sich selbst, denn die Häute haben bis zu fünf Quadratmeter Fläche und die letzte habe er bis zur Decke aufgespannt und von einer Leiter aus bemalt. Und dann brauche es Kunden, die das überhaupt aufhängen können: „Wer hat schon eine Raumhöhe von vier Metern?“
Das Bemalen der Kuhhaut funktioniere indes ebenso gut wie bei Gams, Reh und Hirsch: „Die Haut ist halt dicker und das Rohmaterial schwerer.“ Allerdings sei das Präparieren solcher Hautdimensionen ein extremer Aufwand und brauche Zeit. Zeit, die er ebenso gern darin investiert, das Wesen der Tiere in den Bergwäldern und auf den Bergweiden seines Ostrachtals zu beobachten, um dann mit Charakterportraits ihre Geschichten zu erzählen.
Von der Kunst des Handwerks

„Für mich fühlt sich das mehr nach Handwerk als nach Kunst an“, definiert Daniel Bensmann sein Tun. Von der Jagd über das Bearbeiten der Häute bis hin zum ausstellungsfertigen Werk seien viele handwerklichen Arbeitsschritte nötig – „und ich bin stolz darauf, Handwerker zu sein“, erklärt der gelernte Bauschlosser. Kunst sei für ihn dagegen ein schwieriger Begriff, der oft verwurstelt werde – „da zeichnet jemand zwei Striche auf ein Papier und das ist dann Kunst. Ich bezeichne mich selbst lieber als Maler und Tätowierer.“
Die Häute bemalt Bensmann mit Pinsel und Tusche, also einem Gemisch aus Kohlenstoff und Wasser. Dieses wird zu bestimmten Teilen gemischt, damit man helleres und dunkleres Schwarz bekommt. Beim Trocknen der Tusche verbleiben dann die Farbpigmente auf und in der Haut.
Seine Bilder sind stets Unikate, die ausschließlich bei ihm vor Ort gekauft werden können. Bodenständig wie er selbst, sind auch seine Kunden: „Das ist kein elitärer Kreis. Da sind genug Handwerker mit dabei und einige meiner Bilder hängen auch in heimischen Stuben hier im Tal.“ 3000 bis 5500 € muss man für einen echten Bensmann abhängig von der Hautgröße investieren.
Die Jagd nach dem Malgrund und Ruhe in den Bergen

Während der Jagdzeit ist Daniel Bensmann dreimal die Woche auf Pirsch, in der Regel während der Dämmerung am frühen Morgen und am späten Abend. Mindestens zwei Stunden investiert er pro Jagdgang – „nach oben ist das aber offen – vor allem, wenn man im Bergwald oder Alpgebiet erfolgreich war.“ Denn dann gehe es an die Bergung des Tieres und die kann sich je nach Gebiet aufwendig gestalten. Leichte Stücke könne man tragen, „aber ab 40 kg wird’s schwer – auch wenn´s in der Regel bergab geht.“ Ziehen gehe nur bedingt, da er ja die Decke des Tiere verwerten und deshalb nicht beschädigen wolle. Und Hämatome im Fleisch möchte auch niemand haben.
Die Achtsamkeit dem Wald und dem Tier gegenüber ist ihm besonders wichtig: „Wir gehen nicht auf die Jagd, weil wir Bock haben zu töten, aber das Töten gehört dazu.“ Viel mehr fasziniere ihn bei der Jagd die Ruhe – „die Ruhe vor den Menschen und vor der lauten Welt“ und es gehe ihm darum, den Geräuschen des Waldes zu lauschen sowie die Tiere zu beobachten und näher kennen zu lernen – das kommt ihm dann auch bei seinen Gemälden zugute.