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Geschäftsideen

Ernteteiler statt Kunden

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Susanne Lorenz-Munkler
am Montag, 08.10.2018 - 13:21

Familie Jörg aus Durach hat vor drei Jahren von Biomilchviehhaltung auf
solidarische Landwirtschaft umgestellt. Und hat es bisher nicht bereut.

Bei der Entstehung manch einer Geschäftsidee sind Leidenschaft und Überzeugung, aber manchmal auch der Zufall Pate gestanden. So war es bei den Jörgs im Duracher Weiler Bechen. Der Milchviehhalter Hubert Jörg (51) und seine Frau Barbara (46) waren schon immer der Meinung: „Ein Bauernhof ist eigentlich zu schade, um nur Milch zu produzieren“. Die Oberallgäuer Biobauern hatten deshalb schon seit Jahren nach einem zweiten beruflichen Standbein gesucht. Nicht wegen der schwankenden Milchpreise, die sie als Bioerzeuger gar nicht so sehr tangierten. Die Jörgs sind vielmehr der Überzeugung: „Ein Bauernhof ist ein Ort, wo Nachhaltigkeit gelebt wird. Er bietet Arbeitsplätze, an welchen der Bezug zur Natur allgegenwärtig ist. Ein Ort, der eine Strahlwirkung auf die Gesellschaft haben kann.“

Zunächst hatte die Familie deshalb vor wenigen Jahren die Idee, Menschen mit Handicap auf dem Milchviehbetrieb miteinzubinden. „Das gestaltete sich leider schwieriger als wir dachten“, berichtet Hubert Jörg heute. Deshalb gaben sie das Projekt wieder auf. Vor drei Jahren dann haben sich die Jörgs mit 13 befreundeten Familien zusammengesetzt und zusätzlich zu ihrer Biomilchproduktion eine „Solidarische Landwirtschaft“ (SoLaWi) gegründet. Heute können die Jörgs von der SoLaWi und dem Ertrag ihrer neuen Mutterkuhherde leben. Die Milchviehhaltung haben sie aufgegeben. Und wer heute „Ernteteiler“ (so heißen die Beteiligten an der SoLaWi) werden möchte, muss sich derzeit mit einem Platz auf der Warteliste begnügen. Rund hundert Familien sind aktuell mit von der Partie und holen insgesamt 63 Gemüsekisten pro Woche ab.

Rund 50 interessierte Landwirte und Grundstücksbesitzer stehen an diesem sonnigen Septembertag 2018 auf dem 6000 Quadratmeter großen Gemüseacker südlich der Oberallgäuer Gemeinde Durach. Sie sind Teilnehmer eines vom Bioland-Verband, dem Bioring Allgäu e.V. und der Ökomodellregion Allgäu in Kempten veranstalteten Seminars und kommen aus dem gesamten süddeutschen Raum, Südtirol und Italien. Sie wollen sich informieren, wie man eine solidarische Landwirtschaft aufbaut. Und wie diese funktionieren kann.

Gemüsekisten für
etwa 100 Familien

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Jonas Jörg (20), der derzeit in Triesdorf Landwirtschaft studiert und der älteste von sechs Kindern der Jörgs ist, erklärt den Zuhörern, wie sich in Bechen alles entwickelt hat. Vor drei Jahren habe man sich entschlossen, zusätzlich zur Biomilchproduktion mit einigen befreundeten Familien eine solidarische Landwirtschaft zu gründen. Man habe klein angefangen und dabei nie Werbung gemacht. Heute, drei Jahre später, seien es – allein durch Mund-zu-Mund-Propaganda – rund hundert Familien aus dem Umkreis von Kempten, die einmal wöchentlich ihre Kiste mit saisonalem Biogemüse abholen.
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Die ehemals 45 Milchkühe sind inzwischen verkauft. Die Jörgs haben die Milchviehhaltung aufgegeben. An deren Stelle weiden heute 17 Mutterkühe (die „alten“ Braunvieh-Milchkühe) und 35 Kälber und Jungrinder auf den insgesamt 38 ha Weiden des Bauernhofes. Das Fleisch wird zum Teil ebenfalls unter den Mitgliedern der SoLaWi verkauft. Darüber hinaus konzentrieren sich die Biobauern jetzt komplett auf den Gemüseanbau. Rund 25 Gemüsesorten, dazu unzählige Salate und Gewürzkräuter, bauen sie heute auf einem 6000 m2 großen hofnahen Acker und in einem 20 mal 40 m großen Folientunnel an.
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„Woher habt Ihr als Milchviehhalter das Knowhow?“, fragt einer der Seminarteilnehmer. Seine Mutter habe sich schon immer intensiv mit dem Garten beschäftigt, antwortet Jonas. Und drei bis viermal im Jahr komme der Bioland-Gemüseberater Michael Stumpenhausen zu Besuch, ohne den es eigentlich nicht ginge, ergänzt Hubert Jörg: „Die Beratung ist toll. Angefangen von der Bodenanalyse, dem detaillierten Anbau- und Ernteplan, bis hin zur Sorten-Auswahl und Schädlingsbekämpfung. Michael ist da Profi und immer für uns da, wenn wir ihn brauchen“.
Jede von den teilnehmenden Familien, zahlt einen Jahresanteil von 900 €. Fest kalkulierbares Geld für die Landwirtsfamilie. Das sind 75 € im Monat. Dafür bekommt jede Familie einmal wöchentlich eine mit tagfrischem, regionalem Biogemüse gefüllte Gemüsekiste für vier Personen. Manche Familien teilen sich auch eine Kiste. So stehen jeden Freitag ab 15 Uhr 63 Gemüsekisten in einer Garage zur Abholung bereit. Von März bis Februar.

Alle tragen Risiko und Verantwortung

Die Mitglieder tragen das Risiko mit, wenn die Ernte mal geringer ausfällt. Denn schließlich sind sie keine Kunden, sondern Ernteteiler. Und sind zur Abnahme verpflichtet, wenn die Ernte so üppig ausfällt, wie in diesem Jahr. „Solidarische Landwirtschaft zu betreiben, bedeutet gemeinsam Land bewirtschaften, Teilung von Risiko und Verantwortung, solidarische Gestaltung des Wirtschaftsprozesses auf der Basis des gegenseitigen Vertrauens und Einigung in allen Herstellungsabläufen“, betont Seminarleiter Stefan Rettner, Bioland-Berater für Direktvermarkter.
Das A und O in der solidarischen Landwirtschaft sei Transparenz und Kommunikation, sagt Hubert Jörg. Die Abrechnung müsse für alle Mitglieder offengelegt und nachvollziehbar sein, ebenso Arbeitsstunden, Maschinen, Einsatz, Kauf von Saatgut oder Dünger. „Wir haben einen Gemüsebeirat mit acht Mitgliedern, die sich regelmäßig treffen. Da werden dann gemeinsam Fragen diskutiert und entschieden. Die Entscheidungen werden dann von der gesammelten Mitgliedschaft getragen oder von dieser diskutiert. Zum Beispiel hatten wir im vergangenen Jahr den kleinen Kohlweißling, dessen Raupen am Weißkohl, Blumenkohl, Rosenkohl und an den Rüben einen riesigen Schaden anrichten können. Als Bioland-Betrieb hatten wir zwei Alternativen: die Raupen absammeln oder spritzen. Die Mitglieder entschieden sich für Absammeln. Als das und auch andere Maßnahmen nichts halfen, entschieden wir uns für den Einsatz eines biologischen Präparats auf Basis des parasitischen Bakteriums Bacillus thuringiensis.“ Das war ein echt demokratischer Prozess. Konflikte habe es bisher noch nie gegeben. „Die Mitglieder vertrauen der Kompetenz der Kerngruppe , der Landwirte und des Bioland-Beraters“ freut sich Jörg.
„Und wie sieht es mit der Mitarbeit der Ernteteiler auf dem Acker aus?“ will ein anderer Seminarteilnehmer wissen. Hubert Jörg: „Einmal im Monat informieren wir unsere Mitglieder, was auf dem Acker los ist und laden, je nach Bedarf, die SoLaWi-Mitglieder zur Mitarbeit ein. So bildet sich für jeden Monat eine Arbeitsgruppe, für die dann bei Bedarf wöchentlich konkret ein Termin für den jeweiligen Arbeitseinsatz angesetzt wird. „Das klappt gut“ freut sich Barbara Jörg. „Wer Zeit hat, hilft gerne. Wenn jemand keine Zeit hat ist das auch in Ordnung.“
Und wie rechnet sich das Ganze für die achtköpfige Landwirtsfamilie? „Mit einer SoLaWi wird man sicher nicht reich. Aber wir können im Moment zusammen mit der Mutterkuhhaltung gut von der SoLaWi leben“, sagt Hubert Jörg. Für ihn sei aber vor allem Eines wichtig: „Ich arbeite als Bauer für und mit Menschen, die sich Gedanken über unsere Zukunft machen“.

Soziale Landwirtschaft mit steigender Tendenz

Unser Allgäu hat mit Stefan Rettner gesprochen, Coach für Beratung für Direktvermarktung und Betriebsentwicklung beim Biolandverband

Unser Allgäu: Wieviel SoLaWi-Höfe gibt es in Deutschland? Ist ein Trend zu erkennen?

Rettner: Seit 2012 ist Zahl der SoLaWi richtig in die Höhe geschossen. 2018 waren 192 Betriebe im Netzwerk SoLaWi organisiert. Weitere 105 Betriebe sind in Gründung. Im Allgäu gibt es derzeit meines Wissens fünf Betriebe und weitere Initiativen in der Gründungsphase. Tendenz steigend.

Unser Allgäu: Welchen Nutzen für den Landwirt bringt das Modell SoLaWi?

Rettner: Eine bedarfsgerechte Erzeugung, Produkte für Menschen und nicht für einen anonymen Markt, ein planbares Einkommen, Kostendeckung während der Herstellung und nicht erst nach dem Verkauf der Ware. Letztendlich sichert das Modell SoLaWi kleinbäuerliche, vielfältige Betriebsstrukturen.

Unser Allgäu: Welche Voraussetzungen sollte ein Betrieb mitbringen?

Rettner: Interesse an der Zusammenarbeit mit Menschen, die gemeinsam ein landwirtschaftliches Konzept entwickeln und umsetzen wollen. Und natürlich die notwendige Fläche. In Deutschland kann eine Person von 0,25 ha Fläche vollständig ökologisch ernährt werden, für reinen Gemüseanbau werden etwa 0,01 ha pro Person benötigt

Unser Allgäu: Welche Organisationsform bietet sich an?

Rettner: Viele SoLaWi haben keine feste Organisationsform. Der landwirtschaftliche Betrieb und das Eigentum sind meist Einzelunternehmen, eine GbR oder eine GmbH. Wenn eine höhere Mitverpflichtung der Ernteteiler erwünscht ist, können auch ein Verein oder eine Genossenschaft gegründet werden.

Unser Allgäu: Wie würde eine Gründungs-Checkliste aussehen?

Rettner: Die wichtigsten Fragen lauten: Welche Ziele haben wir? Was können wir anbieten und erzeugen? Wie viele Menschen kann der Hof versorgen? Was sind die Kosten des Betriebes? Gibt es Interessierte in meiner Nähe?

Unser Allgäu: Welche Faktoren sind wichtig für einen Erfolg?

Rettner: Eine passende Organisationsform, regelmäßige Kommunikation und transparente Kostenauflistung.

Unser Allgäu: Wo kann man sich informieren?

Rettner: Zum Beispiel auf der Website: www.solidarische-landwirtschaft.org, Beratung: Kirsten Grover Beratungskoordinatorin, Telefon: 0151-56304318 (Mi 9 – 12 und 14 – 16 Uhr).

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