Bei der Entstehung manch einer Geschäftsidee sind Leidenschaft und Überzeugung, aber manchmal auch der Zufall Pate gestanden. So war es bei den Jörgs im Duracher Weiler Bechen. Der Milchviehhalter Hubert Jörg (51) und seine Frau Barbara (46) waren schon immer der Meinung: „Ein Bauernhof ist eigentlich zu schade, um nur Milch zu produzieren“. Die Oberallgäuer Biobauern hatten deshalb schon seit Jahren nach einem zweiten beruflichen Standbein gesucht. Nicht wegen der schwankenden Milchpreise, die sie als Bioerzeuger gar nicht so sehr tangierten. Die Jörgs sind vielmehr der Überzeugung: „Ein Bauernhof ist ein Ort, wo Nachhaltigkeit gelebt wird. Er bietet Arbeitsplätze, an welchen der Bezug zur Natur allgegenwärtig ist. Ein Ort, der eine Strahlwirkung auf die Gesellschaft haben kann.“
Zunächst hatte die Familie deshalb vor wenigen Jahren die Idee, Menschen mit Handicap auf dem Milchviehbetrieb miteinzubinden. „Das gestaltete sich leider schwieriger als wir dachten“, berichtet Hubert Jörg heute. Deshalb gaben sie das Projekt wieder auf. Vor drei Jahren dann haben sich die Jörgs mit 13 befreundeten Familien zusammengesetzt und zusätzlich zu ihrer Biomilchproduktion eine „Solidarische Landwirtschaft“ (SoLaWi) gegründet. Heute können die Jörgs von der SoLaWi und dem Ertrag ihrer neuen Mutterkuhherde leben. Die Milchviehhaltung haben sie aufgegeben. Und wer heute „Ernteteiler“ (so heißen die Beteiligten an der SoLaWi) werden möchte, muss sich derzeit mit einem Platz auf der Warteliste begnügen. Rund hundert Familien sind aktuell mit von der Partie und holen insgesamt 63 Gemüsekisten pro Woche ab.
Rund 50 interessierte Landwirte und Grundstücksbesitzer stehen an diesem sonnigen Septembertag 2018 auf dem 6000 Quadratmeter großen Gemüseacker südlich der Oberallgäuer Gemeinde Durach. Sie sind Teilnehmer eines vom Bioland-Verband, dem Bioring Allgäu e.V. und der Ökomodellregion Allgäu in Kempten veranstalteten Seminars und kommen aus dem gesamten süddeutschen Raum, Südtirol und Italien. Sie wollen sich informieren, wie man eine solidarische Landwirtschaft aufbaut. Und wie diese funktionieren kann.
Gemüsekisten für
etwa 100 Familien


Alle tragen Risiko und Verantwortung
Soziale Landwirtschaft mit steigender Tendenz
Unser Allgäu hat mit Stefan Rettner gesprochen, Coach für Beratung für Direktvermarktung und Betriebsentwicklung beim Biolandverband
Unser Allgäu: Wieviel SoLaWi-Höfe gibt es in Deutschland? Ist ein Trend zu erkennen?
Rettner: Seit 2012 ist Zahl der SoLaWi richtig in die Höhe geschossen. 2018 waren 192 Betriebe im Netzwerk SoLaWi organisiert. Weitere 105 Betriebe sind in Gründung. Im Allgäu gibt es derzeit meines Wissens fünf Betriebe und weitere Initiativen in der Gründungsphase. Tendenz steigend.
Unser Allgäu: Welchen Nutzen für den Landwirt bringt das Modell SoLaWi?
Rettner: Eine bedarfsgerechte Erzeugung, Produkte für Menschen und nicht für einen anonymen Markt, ein planbares Einkommen, Kostendeckung während der Herstellung und nicht erst nach dem Verkauf der Ware. Letztendlich sichert das Modell SoLaWi kleinbäuerliche, vielfältige Betriebsstrukturen.
Unser Allgäu: Welche Voraussetzungen sollte ein Betrieb mitbringen?
Rettner: Interesse an der Zusammenarbeit mit Menschen, die gemeinsam ein landwirtschaftliches Konzept entwickeln und umsetzen wollen. Und natürlich die notwendige Fläche. In Deutschland kann eine Person von 0,25 ha Fläche vollständig ökologisch ernährt werden, für reinen Gemüseanbau werden etwa 0,01 ha pro Person benötigt
Unser Allgäu: Welche Organisationsform bietet sich an?
Rettner: Viele SoLaWi haben keine feste Organisationsform. Der landwirtschaftliche Betrieb und das Eigentum sind meist Einzelunternehmen, eine GbR oder eine GmbH. Wenn eine höhere Mitverpflichtung der Ernteteiler erwünscht ist, können auch ein Verein oder eine Genossenschaft gegründet werden.
Unser Allgäu: Wie würde eine Gründungs-Checkliste aussehen?
Rettner: Die wichtigsten Fragen lauten: Welche Ziele haben wir? Was können wir anbieten und erzeugen? Wie viele Menschen kann der Hof versorgen? Was sind die Kosten des Betriebes? Gibt es Interessierte in meiner Nähe?
Unser Allgäu: Welche Faktoren sind wichtig für einen Erfolg?
Rettner: Eine passende Organisationsform, regelmäßige Kommunikation und transparente Kostenauflistung.
Unser Allgäu: Wo kann man sich informieren?
Rettner: Zum Beispiel auf der Website: www.solidarische-landwirtschaft.org, Beratung: Kirsten Grover Beratungskoordinatorin, Telefon: 0151-56304318 (Mi 9 – 12 und 14 – 16 Uhr).