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Handel

Coronakrise: Jetzt geht gar nichts mehr

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Michael Ammich
am Montag, 30.03.2020 - 11:34

Zucht- und Schlachtvieh: Branche befürchtet Absatz- und Preiseinbrüche.

Wertingen Vor wenigen Wochen blickten die deutschen Bauern mit Schaudern nach China, wo das Corona-Virus immer mehr wütete. Zugleich grassierte in dem asiatischen Riesenland die Afrikanische Schweinepest, die im exportorientierten Europa für hohe Ferkel- und Schweinepreise sorgte. Jetzt hat zwar die ASP die Bundesrepublik (noch) nicht im Griff, dafür umso mehr die Corona-Pandemie. Mittelfristig zeichnen sich auch in Schwaben Absatz- und Preiseinbrüche in der Zucht- und Schlachtviehvermarktung ab, manche Direktvermarkter leiden schon heute massiv unter den Folgen der Ausgangsbeschränkungen.

Zuchtviehmärkte abgesagt

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„Die Corona-Krise wird beim Zuchtverband für das Schwäbische Fleckvieh finanziell ins Kontor schlagen, wenn die Zuchtviehmärkte länger ausfallen sollten“, prohezeit Zuchtleiter Friedrich Wiedenmann. Die nächsten Zuchtviehmärkte werden bereits auf unbestimmte Zeit abgesagt. Ende März lief nur noch die Kälbervermarktung über die Schwabenhalle, in der sonst die Auktionen stattfinden. Doch selbst die Kälber werden ohne Anwesenheit von Kaufinteressenten und ohne Versteigerung, also zum Festpreis verkauft. Die Anlieferer müssen in ihren Fahrzeugen sitzen bleiben, während das Personal des Zuchtverbands die Kälber ablädt. So dient die Schwabenhalle quasi als Kälbersammelstelle.
„Bei uns gelten strengste Sicherheitsvorkehrungen“, betont Wiedenmann. Besucher dürfen sich auf dem Gelände der Schwabenhalle nicht aufhalten, die Kantine ist geschlossen. Aber der Kälberverkauf müsse irgendwie weitergehen, da die Tiere allein wegen des Corona-Virus nicht mit dem Wachsen aufhören.

Bereits Blauzunge hinterließ Spuren

Bereits vor der Corona-Krise war der Zuchtviehexport durch die Handelsbeschränkungen aufgrund der Blauzungenkrankheit und durch die restriktive Haltung der Amtsveterinäe gegenüber Langstrecken-Tiertransporten nahezu zum Erliegen gekommen. „Aber jetzt geht gar nichts mehr“, sagt Wiedenmann. Die Grenzen sind schwierig zu passieren. Die Fahrer der Transport-Lkw haben Angst, dass nicht mehr aus dem Ausland nach Deutschland zurückkehren können oder zum anderen ewig lange Wartezeiten an den Grenzen in Kauf nehmen müssen.

Viele Bullenmäster halten sich derzeit mit dem Einkauf von Stierkälbern zurück, nachdem der Absatz der Bullen stoppt. Im Jungkuhbereich will der Zuchtverband die Vermittlung von Stall zu Stall forcieren. Insgesamt aber werde es in der Zuchtviehvermarktung zu erheblichen Umsatzeinbrüchen kommen, befürchtet der Zuchtleiter. Sowohl die Mitarbeiter des Zuchtverbands als auch die Mitarbeiter des AELF Wertingen dürfen bei ihrer Arbeit nur noch in absoluten Ausnahmefällen in persönlichen Kontakt mit anderen Personen treten.
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Auch bei der EG Franken-Schwaben in Wertingen macht man sich große Sorgen, wie lange und in welcher Form sich das bisherige Wirtschaften noch aufrecht halten lässt. Unter Exportproblemen leidet die Erzeugergemeinschaft zwar nicht, wie Disponent Mario Flemm erklärt. „Wir führen schon länger kein Großvieh mehr aus, weil wir mit dem inländischen Absatz ausgelastet sind.“ Bis Mitte März wurden die üblichen Mengen vermarktet, obwohl die Gastronomie und die Großküchen als Abnehmer von Fleischprodukten ausgefallen sind. Kompensiert wird dieser Verlust nämlich durch die starke Nachfrage aus dem Lebensmitteleinzelhandel.

Starke Inlandsnachfrage

„Die Hamsterkäufe haben dazu geführt, dass sich die Handeslkonzerne mit Lebensmitteln eindecken, so gut sie nur können“, erklärt Flemm. Dadurch habe sich die Inlandsnachfrage stark erhöht. Die Schlachthöfe in Augsburg und Ulm seien ausgelastet und arbeiteten bislang auf dem üblichen Niveau. Im Rinderbereich verzeichnet die EG Franken-Schwaben sogar gestiegene Stückzahlen. Probleme bereitet dem Disponenten aktuell jedoch die zunehmende Anmeldung von Tieren aus der Landwirtschaft. „Die Bauern haben Angst, dass sie ihr Vieh vielleicht nicht mehr lange verkaufen können.“ Schon jetzt zeichnen sich im Großviehbereich Übermengen von bis zu 20 % ab. Für die schwachen Anmeldungen von Bullen und Kälbern bei der EG in der vorletzten Märzwoche hat Flemm noch keine Erklärung.
Selbst der Einbruch der Schweinefleisch-Exporte nach China, die den Schweinemarkt bislang stützten, wird durch die starke Inlandsnachfrage ausgeglichen. Das könne sich aber bald schon ändern, warnt Flemm. Niemand wisse, wie lange der Handel und die Haushalte von ihren Fleisch- und Wurstvorräten zehren. Es könne schnell zu einem „Durchhänger“ bei der Vermarktung kommen, weil die Abnehmer und Endkunden genug Fleisch- und Wurstprodukte eingelagert haben.

Gastronomie fällt aus

Feststeht jedenfalls, dass der Rindfleischpreis gegenüber der Vorwoche noch einmal um 10% abgestürzt ist, nachdem die Gastronomie als Hauptabnehmer des hochpreisigen Produkts ausgefallen ist. „Wir harren der Dinge, die da kommen“, sagt der EG-Disponent. „Über allem steht die Ungewissheit, was es noch an Auflagen und Einschränkungen geben wird.“
Mit aller Härte bekommt schon jetzt der Gundelfinger Land- und Gastwirt Bernhard Delle die Corona-Krise zu spüren. Auf seinen weitläufigen Weiden im Donauried hält er 130 hochwertige Mutterkühe, samt Nachzucht beläuft sich der Angus-Bestand auf 400 Stück. Einen Teil seiner Tiere vermarktet Delle als Zuchtvieh an andere Angus-Züchter, einen Teil der Fleischprodukte auf zwölf verschiedenen Wochenmärkten, die er mit Verkaufsmobilen beliefert. Eine nicht unerhebliche Menge der Angus-Produkte wurde bislang auch in seiner Gaststätte in Gundelfingen verwertet. Doch diese ist jetzt geschlossen. „Aus unserer Gaststätte kam die Hälfte des Betriebseinkommens“, erklärt Delle. „Sie ist unser Hauptstandbein und ein beliebter Versammlungsort.“
Völlig zum Erliegen kam auch der Verkauf des Angus-Zuchtviehs. Seit dem 23. März darf Delle keine Tiere mehr ins Ausland verbringen. „Das bedeutet für mich eine Riesen-Einbuße.“ Drei Tage zuvor hätte er noch Tiere exportieren können, aber der zuständige Veterinär habe die notwendigen Bescheinigungen verweigert. Ein paar Wochen längeres Wachstum spielt bei den Angus-Kälbern keine große Rolle, sagt Delle. Er baut darauf, dass sich der Absatz seiner Tiere nach der Krise wieder einpegeln wird. „Auch bei der BSE-Krise war es so, dass die Vermarktungsmengen anschließend nach oben gingen.“
Ein Trost bleibt dem Gundelfinger Landwirt auf jeden Fall: Er hofft, dass die krisengeplagte Gesellschaft den Wert der regionalen bäuerlichen Produktion wieder mehr zu schätzen lernt. „Den Menschen ist jetzt bewusst geworden, wie wichtig die heimische Landwirtschaft und Direktvermarktung für uns alle sind.“