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Filmpremiere

Bauer und Bobo: Zwischen Hamsterrad und Schuldenberg

Stadt trifft Land: Falter-Chefredakteur Florian Klenk (r.) unterstützt den Landwirt Christian Bachler bei der Arbeit auf dem in 1450 Meter Höhe gelegenen Bergbauernhof. Die beiden komplett unterschiedlichen Charaktere haben nach der gemeinsamen Zeit eine innige Freundschaft geschlossen.
Philipp Seitz
Philipp Seitz
am Freitag, 16.09.2022 - 16:07

Die Herausforderungen, mit denen Landwirte täglich konfrontiert sind, ist nur ein Aspekt des Films „Der Bauer und der Bobo“. Filmemacher Kurt Langbein zeigt auch, wie zwei Welten zueinander finden. Das Wochenblatt hatte zur exklusiven Preview nach Augsburg geladen.

Augsburg Es ist wie in einem Hamsterrad: So beschreibt Bergbauer Christian Bachler die Situation der kleinstrukturierten bäuerlichen Landwirtschaft. Der 39-jährige Bergbauer muss es wissen: Er bewirtschaftet auf 1450 m Höhe den höchstgelegenen Bergbauernhof in der Steiermark. Zwischenzeitlich drohte ihm die Zwangsversteigerung seines Hofes. Der Bauer hatte mehr als 400.000 Euro Schulden angehäuft. Von einem „Teufelskreis“, aus dem es fast kein Entkommen gebe, spricht Bachler. Es sei eine Spirale aus Investition, Massenproduktion und Überschuldung, die sich immer schneller drehe, eine „gruselige Zukunft“.

Bachler selbst ist dem Hamsterrad entkommen. Gerade steht er auf Einladung des Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblattes im ausverkauften Saal des Thalia-Kinos in Augsburg. 120 Zuschauerinnen und Zuschauer sind gekommen, um mit ihm über die Zukunft der Landwirtschaft zu diskutieren. Immer wieder geht Bachler, der selbst noch vor wenigen Monaten vor dem Abgrund stand, über den roten Teppich. Sektempfang und Blitzlicht in den Kinos statt Schweinestall und Yaks auf der Weide. Bachler trägt keinen Anzug, sondern einen schwarzen Pullover. „Ackerdemiker“ steht darauf geschrieben. Anfreunden mit der „großen Stadt“ kann er sich nicht. So zwei, drei Tage könne er das schon aushalten, dann ziehe es ihn aber wieder auf den Betrieb zurück. Während Bachler spricht, flimmert sein Portrait überdimensional über die Kinoleinwand.

Zwei unterschiedliche Welten vereint

Die Geschichte von Bergbauer Christian Bachler ist eine außergewöhnliche Geschichte, die zeigt, wie Social Media, Mut und Glück das eigene Leben komplett verändern können. Neben Bachler steht „der Bobo“. Damit ist Florian Klenk gemeint, der Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung „Falter“. Wie im Wochenblatt berichtet, haben die beiden nach einem Streit eine innige Freundschaft aufgebaut. Und Falter-Chefredakteur Klenk hat Bergbauer Bachler unterstützt, als der den angehäuften Schuldenberg über ihn zusammenstürzen sah. Klenk startete eine Spendenaktion, 420.000 Euro kamen innerhalb von nur 48 Stunden zusammen.

Eine Geschichte mit zwei komplett gegensätzlichen Protagonisten, die wie ein Märchen klingt – und die Filmemacher Kurt Langbein auf die Leinwand zauberte. Auf der einen Seite der gelernte Jurist und vielfach prämierte Journalist Klenk, dessen Arbeit sich überwiegend im Büro abspielt und der wie ein Politiker jedes Wort sorgfältig abwägt, auf der anderen Seite Bergbauer Christian Bachler, der hart auf der Weide schuftet und die Missstände offen und ehrlich so benennt, wie er sie empfindet. Das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt lud nun als offizieller Filmpartner zur exklusiven Kinopremiere in Augsburg mit anschließender Diskussion.

Der Bauer und der Bobo auf Kinotour

Filmempfang im Thalia Kino Augsburg
Der Bauer und Bobo
Der Bauer und Bobo
Preview im Thalia-Kino in Augsburg
Preview im Thalia-Kino in Augsburg
Bergbauer Christian Bachler in Augsburg
Wochenblatt-Redakteurin Carmen Knorr
Kino-Preview in Augsburg
Florian Klenk
Benedikt Jall

In sehr vielen Szenen des Films habe er sich wiedererkannt, räumt Jungbauer Benedikt Jall aus dem 600-Einwohner-Ort Deisenhofen (Lks. Dillingen an der Donau) ein. Jall ist Vorsitzender im Ring junger Landwirte und Landfrauen in Dillingen und aktiv in der Bayerischen Jungbauernschaft. „Der Film zeigt sehr realistisch die aktuelle Situation.“ Wohin die Reise für die Landwirtschaft, egal ob in Bayern oder in Österreich, sei komplett offen. Es würden da klare Ansagen der Politik fehlen. Der Verbraucher fordere Produktionsstandards von den Landwirten ein, die er dann aber an der Ladentheke nicht bezahlen wolle.

Florian Klenk

Von einer „unsichtbaren Mauer zwischen Konsumenten und Produzenten“ spricht auch Filmemacher Langbein. Genau diese Mauer müsse durchbrochen werden. Doch wie soll das gelingen? Falter-Chefredakteur Klenk setzt auf Öffentlichkeitsarbeit: „Eigentlich sollte sich der Bauer freiwillig eine Kamera in den Stall hängen, um zu zeigen, wie es den Tieren geht. Das ist direktes Marketing.“ Grundsätzlich eine überlegenswerte Idee, findet Benedikt Jall. Doch es seien Fragen offen: Was sieht dann der Verbraucher? Könnten alle Betriebsabläufe unkommentiert und ohne weitere Erklärungen gezeigt werden?

Der 49-jährige Journalist sieht auch die Politik in der Pflicht, wie er auf Nachfrage von Moderatorin und Wochenblatt-Redakteurin Carmen Knorr erklärt: Die Politik müsste seiner Meinung nach Rahmenbedingungen für einen „fairen Wettbewerb“ schaffen. Helfen könnten, wie Klenk sagt, Kennzeichen, woher Fleisch und landwirtschaftliche Produkte stammen und wie sie produziert wurden. Und außerdem müsse die harte, naturnahe Arbeit in angemessener Weise gefördert werden. Durch Christian Bacher habe er gelernt, was das aktuelle Agrarsubventionssystem und der Klimawandel für das kleinste Teil der Wertschöpfungskette, den Bergbauern auf 1400 Metern Höhe, bedeute – und welche Mühen es brauche, um eine Utopie weiterhin leidenschaftlich zu verfolgen.

Bergbauer Christian Bachler stellt das gesamte Fördersystem an sich in Frage: Das Hamsterrad höre nicht auf, sich zu drehen, weil das Fördersystem von Grund auf falsch aufgestellt sei. „Die Großen“ würden bevorzugt, weil die Förderung an die Fläche gebunden sei. So komme es zwangsweise zu einem Korsett: Der Betrieb müsse immer weiterwachsen. Und auch die aktuelle Situation, mit dem Krieg in der Ukraine, beschleunige das Hamsterrad zusätzlich: „Die Preissteigerungen, vor allem im konventionellen Bereich durch Dünger, aber auch die Belastungen durch die Energiepreise, kennen derzeit nur eine Richtung: nach oben.“ Das sei eine Zerreißprobe für viele Landwirte, sagt Bachler und wählt drastische Worte: Die Politik müsse handeln und „den freien Markt an die Ketten legen, sonst werden wir eine endgültige Havarie der Landwirtschaft erleben“. Und auch die Gesellschaft müsse sich darüber klar werden, welche Rahmenbedingungen sie will. Der Verbraucher sei auch Zwängen unterworfen, müsse aber auch eine gewisse Verantwortung übernehmen.

Kurt Langbein

So stellt der Film, mit dem modernen Stadtbürger auf der einen, und dem Landwirt, der darum ringt, die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten, auf der anderen Seite, die grundsätzliche Frage: Wie soll die Landwirtschaft in Zukunft aussehen? Und wie soll das finanziert werden? Er habe schon Hoffnung, dass der Film etwas bewegt, sagt Filmemacher Kurt Langbein. Es müssten Fehlentwicklungen korrigiert werden, etwa, dass für den Bauer bei der Wertschöpfung nur ein Bruchteil übrigbleibe. Die Lieferketten müssten komplett überdacht werden. Es brauche andere Vermarktungswege in die Stadt, und eine neue, direkte Form, die Produkte veredelt an den Kunden zu bringen. „Damit hätte die bäuerliche Landwirtschaft eine Zukunft“, sagt Langbein.

Und Bergbauer Christian Bachler nickt. Er ist schuldenfrei, vermarktet sich über soziale Medien und betreibt einen Online-Shop. Da gibt es nicht nur das Buch „Bauer und Bobo“ von Klenk zu kaufen, sondern auch Liköre, Schnaps und regionale Spezialitäten. Die Produkte verschickt er dann in Schafwolle verpackt – ein nachhaltiger Weg, wie Produkte direkt den Weg zum Verbraucher in der Stadt finden.

Mehr zur Preview-Vorführung in Augsburg lesen Sie in der Wochenblatt-Ausgabe 38, die am 23. September 2022 erscheint.