Der Verband Demeter propagiert seit längerer Zeit die muttergebundene Kälberhaltung, lässt die Entscheidung jedoch seinen Mitgliedern frei. Eine wichtige Frage ist, wie sich Kälber nach einer 3-4-monatigen Dauerbeziehung zur Mutter stressfrei von ihr trennen lassen. Dazu fand ein Online-Seminar mit Praxisberichten und mit Referentin Silvia Ivemeyer von der Uni Kassel Witzenhausen, Fachgebiet Nutztierethologie und Tierhaltung, statt.
In der Landwirtschaft hat sich über Jahrzehnte die Praxis durchgesetzt, das Kalb unmittelbar nach der Geburt von der Mutter zu trennen. Die Milch soll verkauft und nicht für die Aufzucht der Kälber „vergeudet“ werden. Wirtschaftliche Belange sind jedoch erfahrungsgemäß nicht immer deckungsgleich mit denen der Tiere. So haben einige Betriebe in Deutschland umgedacht und praktizieren ein System der artgemäßen Kälberaufzucht, die mutter- und ammengebundene Kälberhaltung. In Studien wird auf folgende Vorteile verwiesen:
- artgemäßes, natürliches Verhalten von Kuh und Kalb, intensives Spiel- und Sozialverhalten
- weniger Krankheiten als bei der Eimertränke
- höhere Tageszunahmen während der Saugphase, > 50 % der Kälber > 1000 g/Tag
- bessere Entwicklung, bessere Kälbergesundheit, früheres Erstkalbealter und höhere erste Laktation
- kein Besaugen von Artgenossen und Gegenständen
- keine Tierarztkosten.
Zu bedenken ist aber auch, dass der Verkaufserlös der Kälber wesentlich höher sein muss, um den monetären Verkaufsmilchverlust zu kompensieren. Außerdem ist diese Haltung arbeitsintensiver und beim Absetzen entsteht Stress: Kuh und Milch sind weg. Deshalb erfolgt kein abruptes Absetzen.
Es gibt hier drei grundsätzliche Methoden der Kälberaufzucht:
- langzeitiges (3-4 Monate), aber eingeschränktes Saugen mit zusätzlichem Melken: Die Kälber kommen zweimal täglich zum Säugen zu ihren Müttern.
- längere Säugeperiode mit unbefristetem Saugen und mit zusätzlichem Melken: Die Kühe werden neben dem ganztägigen oder mehrstündigen Kälberkontakt ein- bis zweimal am Tag gemolken.
- langzeitige Säugeperiode ohne zusätzliches Melken: Zwei bis vier Kälber teilen sich jeweils eine Ammenkuh. Nach dem Absetzen der Kälber können die Ammen ebenfalls wieder gemolken werden.
21 Betriebe befragt
Wie sieht das System in der Praxis aus?
Mechthild Knösel, Hofgut Rengoldshausen: Mechthild Knösel leitet seit 16 Jahren den Rinderbereich des Demeterbetriebes Hofgut Rengoldshausen am Bodensee. Von 70 ha Grünland und ca. 35 ha Luzerne und Kleegras wird ausschließlich Heu gewonnen. Das ist die Futtergrundlage für 50 Schweizer Original Braunviehkühe mit einer Milchleistung von etwa 5000 kg/Jahr. Im Betrieb wird kein Kraftfutter gefüttert. „Für mich war eigentlich immer schon klar, dass die Aufzucht der Kälber an den Müttern die beste Option darstellt. Meine Kälber sind 24 Stunden bei den Kühen, egal ob im Stall oder auf der Weide“, sagt sie. Der Boxenlaufstall wurde so geplant, dass er alle Voraussetzungen erfüllt. Vier Wochen sind Kühe und Kälber in der Abkalbebox mit uneingeschränkten Kontaktmöglichkeiten. Dem Kalb steht über viele kleine Mahlzeiten Milch ad libitum zur Verfügung. Die Kühe werden ab dem 1. Tag im Melkstand gemolken.
Hörbarer Stress
Nach den ersten vier Wochen unmittelbarer Kuh-Kalb-Beziehung folgt auf dem Betrieb eine 8-wöchige Zeit, wo es nur noch zwei Trinkzeiten gibt. „Das bedeutet hörbaren Stress für beide Seiten, denn ,Mama‘ ist nicht mehr da.“ Deshalb nehmen wir uns auch fünf Tage Zeit zur Umgewöhnung.“ Danach ist der Prozess abgeschlossen. Die Kühe sind wieder Teil der Herde und die Kälber im Tiefstreu-Kälberstall mit ihren Artgenossen. Die Entwöhnung von der Mutter heißt aber nicht absetzen der Milch. Nach einer weiteren 5-tägigen Umgewöhnung kommt das Kalb zu einer Ammenkuh. Es gebe keine Probleme, wenn ihr eigenes Kalb auch trinkt. Übrigens würden sich Kälber schnell umorientieren und „schon einen Strich finden“, sagt Knösel. Die Absetzphase wird zusätzlich attraktiv über das Angebot von Futtermöhren. Die Absetzer haben mit 16 Wochen ein Durchschnittsgewicht von rd. 200 kg. Wichtig sei, dass die Kälber im Durchschnitt über die gesamte Tränkezeit täglich rd. 10,5 l Milch trinken. „Das ist für mich kein Milchverlust, sondern ein Gewinn, denn ich habe gesunde Kälber, die wir mit optimalem Wachstum und hoher Fleischqualität alle direkt vermarkten“, stellte Mechthild Knösel fest.