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Sanierung

Altes bewahren, Neues wagen

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Anja Kersten
am Donnerstag, 11.03.2021 - 18:25

Eine Familie hat ein altes Bauernhaus in Immenthal, ein Ortsteil der Gemeinde Günzach im Landkreis Ostallgäu saniert. Die Besonderheit: Es ist ein KfW-55-Effizienzhaus. Das war durchaus eine Herausforderung.

Das alte Bauernhaus hätte man auch einfach abreißen können und neu bauen können. In Immenthal gibt es dafür keine Denkmalschutzauflage. Aber Wolfgang Bauer und seine Frau Gabi sowie seine Schwester Anne Schwarz-Gewallig hatten anderes vor – sie haben stattdessen das Haus erhalten und saniert, mit einem bemerkenswerten Energiestandard.

Heute ist es ein KfW-55-Effizienzhaus, das heißt es verbraucht nur 55 Prozent der Energie eines vergleichbaren Neubaus, der den maximal zulässigen Wert nach der Energieeinsparverordnung erreicht. An dem L-förmigen Grundriss des Anwesens wurde nichts verändert, der Stadel in Holzständerbauweise wurde in Wohnraum umgewandelt und der Charakter eines typischen Bauernhauses in dieser Gegend wurde beibehalten. Und obwohl Wolfgang Bauer Energieberater ist, war das eine „echte Herausforderung“, wie er sagt.

Wertschätzung für Baumaterial und Familie

„Mit diesem Haus hatten wir die Chance, ein für den Ort typisches Bauernhaus zu erhalten“, meint Bauer. Für ihn hat das mit Wertschätzung zu tun. Nicht nur für die Baumaterialien, die für das Haus verwendet wurden, sondern auch für die Familie, die hier über Generationen gelebt hat und das Haus, als die Mutter auszog, zum Verkauf anbot.

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Umso mehr freut es ihn, dass auch die Familie, die den „Höbelhof“ einst besaß, von der Sanierung des um 1890 gebauten Hauses begeistert ist. Der Energiestandard, der Erhalt der Bausubstanz sowie die Architektur überzeugte auch die Jury des Wettbewerbs Energiezukunft Altbau, den das Energie- und Umweltzentrum Allgäu (eza!) zusammen mit der Allgäuer Zeitung und der Allgäu GmbH ausgerichtet hatte. Wolfgang Bauer war unter 32 Bewerbern einer der vier Preisträger.

2013 hat die Familie, die schon länger auf der Suche nach einem Bauernhaus war, die Gebäude in Immenthal gekauft. Von vorn herein war klar, dass Heizung, Abwasser, Wasser und Elektrizität komplett neu gemacht werden müssen. Das wurde bereits in die Finanzierung eingeplant. Etwa eine Million Euro haben die Familien für die Sanierung veranschlagt und letztlich auch gebraucht.

Um das Haus auf den Stand eines KfW-55-Hauses zu bringen, war aber noch mehr als nur die Sanierung notwendig. Zusammen mit einem Architekten und örtlichen Handwerkern wagten die Familien diese technische und bauliche Herausforderung.

Technische und bauliche Herausforderung

Das Bauernhaus wurde vollständig entkernt. Geblieben sind nur die Mauern, die mit 24 cm Zellulosefasern und 6 cm Holzweichfaserplatte gedämmt wurden, sodass die Außenwände in der Summe jetzt fast 80 cm dick sind. Alle Fußböden haben eine Fußbodenheizung. Diese ist energetisch effektiver als Heizkörper und die Fußbodenheizung stört auch nicht den Stil des alten Bauernhauses.

Das Dach wurde ebenfalls mit Zelluloseflocken gedämmt und neu gedeckt. Auch Fenster und Türen sind neu. Für ein angenehmes Raumklima sorgt eine Komfortlüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Eigentlich müsse man die Fenster deshalb gar nicht mehr öffnen, erklärt Bauer, fügt aber hinzu, dass sich die mehr als 50 Sprossenfenster in dem Haus selbstverständlich alle öffnen lassen. Der Wärmebedarf wird über eine 42 m2 große Solarthermieanlage mit 16 000 l Pufferspeicher gedeckt. Reicht die Energie der Sonne nicht mehr aus, kommt ein Holzpelletkessel zum Einsatz.

Antrieb für die Sanierung war der Klimaschutz

Ob sich der finanzielle Mehraufwand für die Energieeinsparung lohnt, ist nach Aussage von Bauer nicht unbedingt gesagt, trotz Zuschüssen von Bund und Land. Das sei auch gar nicht ihr Antrieb gewesen. Ihnen sei viel wichtiger gewesen, auch im Hinblick auf den Klimaschutz mit Weitblick zu sanieren und nicht nach 20 Jahren nachbessern zu müssen. Wer wissen will, ob und wo er welche Zuschüsse bekommt, sollte sich vorher mit einem Architekten zusammensetzen oder einen Energieberater zu Rate ziehen, rät Bauer.

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Soweit es möglich war, hat die Familie beim Bau mitgearbeitet. Angefangen vom Ausräumen des Hauses, Putz abschlagen, bis hin zum Holzinnenausbau, der Verlegung der Heizung sowie des Abwassers. Die Arbeiten am Dach, am Mauerwerk und an der Fassade wurden vergeben. „Im Grund haben wir all das gemacht, was man heute nicht mehr sieht“, sagen Wolfgang und seine Frau Gabi mit Augenzwinkern. Ganz stimmt das allerdings nicht, denn auch die Holzbalken in den Decken wurden von ihnen bearbeitet. Auch bei den Solnhofer Platten, die im Hausgang verlegt sind, erkennen die beiden sofort die aus dem alten Bauernhaus wieder. Diese wurden Platte für Platte ausgegraben, die Fußbodenheizung darunter verlegt und mit neuen Solnhofer Platten ergänzt.

Nicht alles, was alt ist, ist automatisch weniger gut als das Neue, sagt Bauer. Deshalb haben sowohl er als auch seine Schwester und ihr Mann so viel wie möglich aus dem alten Haus wiederverwendet. In der Wohnung seiner Schwester, die den einstigen Stadel in Holzständerbauweise umgebaut hat, befinden sich als Trennung von Küche und Wohneingang alte aufgearbeitete Fenster, die sie im Dachboden des alten Bauernhauses gefunden haben. Man merkt eben: Das Haus hat Geschichte, in ihm haben Leute gelebt und gearbeitet und diese Geschichte darf man sehen.

Im Hauseingang und in der Küche haben Gabi und Wolfgang Bauer deshalb eine Fläche mit freigelegten Steinen nicht verputzt. Beim Bau des Hauses um 1890 wurden aus Kostengründen die Wände nicht durchgängig aus Ziegeln errichtet, sondern Feldsteine miteingebaut.

Behutsame Renovierung ohne Zeitdruck möglich

Aus dem ehemaligen Bauernhaus mit Stall und Scheune sind vier Wohnungen entstanden. Die zwei großen Wohnungen mit über 200 m2 bewohnen die Eigentümer. In dem ehemaligen Bauernhaus befinden sich im Erdgeschoss die Wohnküche, im ersten Stock Schlafzimmer, Arbeitszimmer und Bad. Im zweiten Stock, dem ehemaligen Dachboden, befindet sich ein sechs Meter hoher Wohnraum mit etwa 95 m2 Grundfläche. Zwei weitere Wohnungen mit 90 und 70 m2 sollen vermietet werden.

Die Schwester von Wolfang Bauer, Anne Schwarz-Gewallig, hat mit ihrem Mann die ehemalige Scheune umgebaut, wo sich im Erdgeschoss Räume für die Imkerei von Gabi Bauer und eine Werkstatt befinden. In allen Räumen dominieren Baustoffe aus Holz und die Holzbalken, die im Original erhalten geblieben sind. Fünf Jahre hat die Familie vom Kauf bis zum Einzug gebraucht und das, obwohl sie fast jedes freie Wochenende und Urlaube mit der Sanierung des Hauses verbracht haben. Da sie keinen Druck hatten, möglichst schnell umzuziehen, konnten sie das Haus behutsam renovieren.