Der Bayerische Energieplan sieht vor, bis 2030, d. h. in 7,5 Jahren, die Stromerzeugung aus PV-Anlagen von heute 13 Terawattstunden (TWh) auf 40 TWh zu erhöhen. Das bedeutet eine Verdreifachung der derzeit mit PV-Anlagen erzeugten Strommenge. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, gehen auch die Lechwerke (LEW) aus Augsburg neue Wege. Am Westrand von Biessenhofen betreibt LEW bereits eine kleine Freiflächenanlage. Daneben steht nun eine neuartige PV-Versuchsanlage. Bei einem Ortstermin stellten Mitarbeitende von LEW die Anlage Vertretern des Bauernverbands vor.
Die neue Versuchsanlage unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von Freiflächenanlagen:
- Die Anlage ist nicht nach Süden ausgerichtet, sondern nach Ost-West. Dadurch kann sie bereits am Morgen Strom ernten und dann wieder spät am Nachmittag. „In diesen Zeiten ist der Strom im wahrsten Sinn besonders wertvoll, weil dann herkömmliche PV-Anlagen wenig oder keinen Strom erzeugen“, bringt Sigrid del Rio, die Projektverantwortliche von LEW, die Vorteile der Anordnung auf den Punkt. Ein weiterer Vorteil: Im Winter bleibt kein Schnee liegen.
- Der besseren Erlösseite stehen aber im Vergleich zu den bisher gängigen Freiflächenanlagen höhere Investitionskosten gegenüber. Um Erfahrungen zu sammeln, planen die Lechwerke bereits eine größere Anlage mit senkrechten Modulen. Erste Vergleiche mit Freiflächenanlagen können die LEW bereits mit der danebenliegenden Freiflächenanlage in Biessenhofen machen.
Doppelseitiger Nutzen: Module sind bifacial
- Die üblichen Module haben auf der Rückseite eine Folie und auf der Vorderseite eine Glasschicht. Die Module hier mit einer Leistung von 380 W sind jedoch „bifacial“. Das heißt: Sowohl auf der Vorder- als auch der Rückseite sind die Module mit Glas bedeckt. Je nach Modulbauart liefert die Rückseite 75 – 90 % des Ertrages der Vorderseite.
Die Anlage in Biessenhofen wurde im Juni 2021 errichtet. Sie ist 9 m lang und 3 m hoch. Die acht Module haben eine Kapazität von 3 kWp und zapfen auf einer Fläche von 10 m² die Sonnenenergie an. Die überbaute Fläche beträgt weniger als 1,8 m². Aus Sorge um Probleme mit Winddruck wurden die Pfosten bis zu 3 m tief in den Boden gerammt.
„Die Dächer werden nicht ausreichen, um die Ziele der Staatsregierung zu erreichen“, ist Walter Albrecht, der Leiter des Kommunalmanagements bei LEW, überzeugt. „Ohne zusätzliche Flächen geht es nicht“. Werden hierfür wertvolle landwirtschaftliche Flächen in Anspruch genommen, entstehe die bereits bei der Herstellung von Biogas oder Biotreibstoffen geführte Diskussion zwischen „Teller oder Tank“ von Neuem. Nach der DIN SPEC 91434 ist Agri-PV die primäre landwirtschaftliche Nutzung und die sekundäre solare Stromerzeugung auf derselben Fläche.
Es gibt Agri-PV in zwei Systemen:
- Hochaufgestellte Systeme: Hier findet Landwirtschaft unter den Modulreihen statt. Denkbar sind feststehende oder nachgeführte Systeme.
- Bodennahe Systeme: Hier findet Landwirtschaft zwischen den Modulen statt. Sie können ebenfalls feststehend gebaut oder nachgeführt werden.
Kein Entweder-Oder, sondern ein Kompromiss
Agri-PV mit senkrecht installierten Modulen löst den Konflikt Produktion von Nahrungsmitteln oder Energie, in dem sich die für die Stromerzeugung benötigte Fläche auf deutlich weniger als 10 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche beschränkt. Zwischen den Reihen mit den PV-Elementen sind vielfältige landwirtschaftliche Nutzungen denkbar. Eine Ausnahme ist Mais, der die PV-Module ob seiner Wuchshöhe beschatten würde. Hühner-, Schaf- und Milchviehhaltung sollte möglich sein, wenn die Module eingezäunt sind. Die senkrechten Module von Agri-PV-Anlagen können auch übliche Zäune ersetzen. Bei Bauhöhen bis 2 m gelten die senkrechten Module als genehmigungsfreier Zaun.
Waagrechte Module in Obstanlagen
Wirtschaftlich besonders interessant sind dagegen waagrechte Agri-PV-Module in Obstanlagen, wenn sie Hagelnetze ersetzen. Agri-PV ist auch auf Dauerkulturen möglich. In Deutschland ist eine Förderung für Agri-PV auf Grünland noch nicht vorgesehen. Hier werden derzeit die Debatten für den Einbezug des Grünlandes in Agri-PV-Flächen geführt.
Im Raum Donaueschingen gibt es eine Versuchsanlage mit senkrechter Agri-PV auf extensiv genutztem Grünland. Auf 14 ha sind dort 4 MWp installiert. Es konnten 1150 – 1200 kWh/kWp geerntet werden. Eine weitere Anlage steht in einem Obstbaubetrieb in Kressbronn auf einer 0,4 ha großen Apfelanlage. In Althegnenberg in Bayern testet das TFZ auf 2,4 ha Ackerland eine nachgeführte Anlage. Der Abstand zwischen den Reihen beträgt dort 14 m, die installierte Leistung 0,75 MWp. Der Stromertrag schwankt zwischen 1150 und 1300 kWh/kWp. Die Bewirtschaftung des Ackerlandes zwischen den Reihen erfolgt im Rahmen einer siebengliedrigen Fruchtfolge.
Die Flächenprämien der EU bleiben bei den Agri-PV-Flächen zu 85 % erhalten. Auch dadurch kommt zum Ausdruck, dass keine Konkurrenz zwischen Nahrungsmittel- und Stromerzeugung besteht.
Für die aus ganz Schwaben anwesenden Vertreter des Bauernverbandes war der LEW-Termin ein wichtiger Wegpunkt zur Beurteilung von Agri-PV generell. Einerseits entstehen neue Einkommenschancen in dem riesigen Wachstumsmarkt regenerativer Strom. Andererseits werden dadurch die Pachtpreise weiter steigen.
Einigkeit besteht aber darin, dass Agri-PV nicht ein neues Investitionsobjekt für außerlandwirtschaftliche Investoren werden dürfe. Die Wertschöpfung müsse in bäuerlicher Hand in der Region bleiben.
Informationen zu Agri-PV bietet das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme im Internet unter www.agri-pv.org, Beispiele für Agri-PV bietet www.next2sun.de. Zu den Vorhaben von LEW gibt es Informationen unter www.lew.de/ueber-lew/zukunftsprojekte/agri-pv.
Noch viele Fragen offen
Agri-PV bietet vielversprechende Chancen für neue Einkommenschancen für die Landwirtschaft. Momentan befindet sie sich aber noch in einem Versuchsstadium. Zur wissenschaftlichen Begleitung und Klärung offener Fragen nahm das LEW das Technologieförderzentrum (TFZ) in Straubing mit ins Boot.
Malte Stöppler vom TFZ begleitet die Feldforschung für Agri-PV. Er untersucht den optimalen Reihenabstand. Er muss mit den auf der Fläche eingesetzten landwirtschaftlichen Maschinen abgestimmt sein. Untersucht wird auch der Einfluss der Reihen auf den landwirtschaftlichen Ertrag, die Beschattung, die Artenvielfalt. Ergeben sich Änderungen im Erntezeitpunkt? Welche Sorten eignen sich speziell? Schützen die Module vor Austrocknung? Welche Maßnahmen sind gegen Beschädigungen durch die landwirtschaftlichen Geräte notwendig?
Letzte Klarheit fehlt auch noch im Baurecht. Ist eine Agri-PV- Anlage nach § 35/1 ein privilegiertes Vorhaben? Dient es dem landwirtschaftlichen Betrieb? Wird es vom Hauptbetrieb mitgezogen? Ist dies nicht der Fall, müssen Flächennutzungs- und Bebauungspläne erstellt oder geändert werden. Steuerrechtlich muss noch geklärt werden, ob durch Agri-PV ein Gewerbe entsteht.
Auswirkungen ergeben sich auch im Erbschafts- und Schenkungsrecht bei der Bewertung. Die LEW wollen zu deren Klärung mit seinem Engagement für den Bau von Pilotanlagen einen aktiven Beitrag leisten. JH