Die Aufgabe, die sich die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Karen Hendrix selbst gestellt hat, ist ebenso groß wie ungewöhnlich: „Ich kann nicht zusehen, wie es zu immer mehr psychischen Erkrankungen bei Bäuerinnen und Bauern kommt, denn diese Erkrankungen werden nicht nur häufiger, sondern auch schlimmer – und immer wieder enden sie leider auch in einem Suizidversuch, der dann im schlimmsten Fall auch gelingen kann“, sagt die ebenso freundlich wie resolut wirkende Medizinerin im Gespräch mit dem Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt.
In ihrer Tätigkeit in der Fachklinik für Psychosomatik behandelt sie eine steigende Zahl von Betroffenen, aber jetzt will sie ein niedrigschwelliges Angebot machen: „Ich werde in absehbarer Zeit eine Gruppe starten für Menschen aus der Landwirtschaft, die unter Symptomen einer Depression leiden. In dieser Gesprächsgruppe kann man sich austauschen, man kann sich gegenseitig zuhören und miteinander reden und wenn nötig, können auch weitere medizinische Schritte eingeleitet werden“, erklärt Karen Hendrix.
Das Angebot muss niederschwellig sein
Karen Hendrix bringt für die Gespräche mit Bäuerinnen und Bauern eine besondere, nicht alltägliche Voraussetzung mit: sie ist selbst Landwirtin, betreibt mit ihren Mann einen Milchviehbetrieb im Vollerwerb, setzt dabei auf eigene Nachzucht, auch 12 Bullen stehen im Maststall. Das, was sie als Bäuerin können muss, hat sie sich über die BiLa-Kurse angeeignet. „Ich beherrsche alles bis hin zur Klauenpflege und ich habe auch den Jagdschein erworben und gehe selbstverständlich auf die Jagd“, berichtet sie. Und sie erwähnt auch, dass sie sich um die Pflege ihrer alten Mutter kümmert, „auch das ist ja etwas, was bei vielen Bäuerinnen auch noch funktionieren muss“, das weiß sie aus vielen Gesprächen.
Dass sie jetzt eine Gesprächsgruppe anbieten wird, ist eine Idee, die auf Tatsachen beruht, die sie in der Klinik immer wieder hört: „Es ist leider immer noch so, dass Burn-out oder Depression gerade in der Landwirtschaft keine Themen sind, über die man gerne spricht. Es herrscht großes Schweigen, das aus der Scham herauskommt und aus der Angst, man könnte für nicht ganz normal gehalten werden“, weiß Karen Hendrix.
Und dann gibt es noch andere Faktoren: „Die Arbeit in der Landwirtschaft ist durchaus anspruchsvoll, es ist viel zu tun, gerade in so herausfordernden Zeiten, wie sie der Bauernstand derzeit bewältigen muss, da kommt die Zeit für sich selbst meist zu kurz und auch Ehepartner haben nicht immer den zeitlichen Spielraum, einmal in Ruhe auch über ganz persönliche Probleme zu reden.“
Gesellschaft macht es den Bauern nicht leicht
Und auch die Gesellschaft mache es der Landwirtschaft nicht immer leicht, das Selbstbewusstsein zu behalten: „Es ist nicht leicht, seine Arbeit selbst wertzuschätzen, wenn man ständig nur zu hören bekommt, dass man vor allem von Subventionen lebt, für die man keine Gegenleistung erbringen muss“, meint Karen Hendrix. Dabei wisse sie aus vielen Gesprächen mit Bäuerinnen und Bauern, dass auf so manchem Hof die blanke Existenzangst herrsche: „Die Kosten steigen ständig, die Erlöse aber nicht. Manchmal kommt dann schon die Angst vor den Banken, und leider passiert es dann, wenn alles zusammenkommt, dass man keinen Ausweg mehr sieht – und wenn das ganz schlimm wird und sich alles auftürmt, dann passiert leider manchmal auch das Allerschlimmste“, sagt die Medizinerin.
Sie spricht auch dabei aus trauriger Erfahrung: seit vielen Jahren wird sie auch von der Polizei gerufen, wenn ein Mensch sich selbst getötet hat, dann geht es um die Feststellung des Todes und die erste Einschätzung der Todesumstände.
„Meiner Überzeugung nach müssen wir alles tun, um zu verhindern, dass es überhaupt so weit kommt, und diese Hilfe muss früh einsetzen“, betont Karen Hendrix. Die Gesprächsgruppe, die im Spätsommer starten soll, könnte hier eine erste Anlaufstelle sein. Sie könne sich dabei vor allem gut vorstellen, dass Bäuerinnen und Bauern eher bereit sind, ihre Probleme mit jemandem zu besprechen, der selbst weiß, was in der Landwirtschaft geleistet wird. „Ich bin ebenso Bäuerin wie Ärztin, vielleicht kann ich daher etwas erreichen, zusammen mit dieser Gruppe“, ist sie überzeugt.