Wien Österreich setzte die EU-Richtlinie gegen unfaire Handelspraktiken mit Verspätung Ende 2021 um. So konnte das geplante Fairnessbüro seine Arbeit auch erst vor rund einem Jahr aufnehmen. Doch nun präsentierte Agrarminister Norbert Totschnig den ersten Tätigkeitsbericht. Und der deckt einige Verstöße gegen die neue Rechtsgrundlage auf. Die Ergebnisse bestätigen den schon lang bestehenden Verdacht, dass der Lebensmitteleinzelhandel seine Marktmacht ausnutzt, und bäuerliche Familienbetriebe sowie Lieferanten unter Druck setzt. Auch wirkt sich das Ungleichgewicht negativ auf die Konsumentinnen und Konsumenten aus. Betroffen waren nicht nur Milch, Eier, Geflügel- oder Rindfleisch. Auch bei Lieferungen von Gemüse, Obst, Getreide oder Kräutern kam es zu Beschwerden.
Wöchentlich vier Meldungen
Nach Auffassung von Totschnig herrscht entlang der Lebensmittelkette „ein Kampf mit ungleichen Waffen.“ 107.000 Bäuerinnen und Bauern und eine Vielzahl von Lieferanten stehen drei großen Handelskonzernen gegenüber, die fast 90% des heimischen Marktes kontrollieren.
So konnte sich Dr. Johannes Abentung, Leiter des Fairness-Büros, über Arbeit im vergangenen Jahr nicht beklagen: „Jede Woche beschweren sich im Schnitt vier Lieferanten wegen unfairer Handelspraktiken beim Fairness-Büro“. Trotz zahlreicher rechtlicher Verstöße wollen die Beschwerdeführer ihre Fälle nicht an das Kartellamt melden. Die Angst war zu groß, die Geschäftsbeziehung zu verlieren, da sie dazu die Identität offenlegen hätten müssen. Das Fairnessbüro behandelt die Beschwerdefälle indes anonym.
Und da gab es einige Verstöße.
Rabattaktionen auf Lieferant abgewälzt
Große Käufer nutzten die wirtschaftlichen Herausforderungen im vergangenen Jahr um mit ihrer Verhandlungsmacht Preisdruck auf schwächere Lieferanten auszuüben. So haben Handelsketten etwa die Kosten von (-25 %)-Wochenend-Aktionen, -25 %-Rabattpickerln sowie zusätzliche Umsatzrabatte oft auf die Lieferanten und Produzenten abgewälzt. Diese tragen zwar die Kosten, haben aber kein Mitbestimmungs- oder Widerspruchsrecht, da andernfalls Konsequenzen drohen. In Wirklichkeit hat der Lieferant aber keine Wahl. Verweigert den Nachlass, droht ihm ein Teilnahmeverbot an künftigen Aktionen oder gar die Auslistung seiner Artikel.
Vertragsbedingungen aufgezwungen
Das starke Ungleichgewicht zwischen kleinen Lieferanten und großen Käufern wird nicht nur in Beratungsgesprächen mit dem Fairness-Büro erläutert, sondern spiegelt sich auch in Verträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen wider. Dies wird auch dann offensichtlich, wenn der Lieferant nach vertraglich vereinbarten Preisanpassungen fragt und diese regelmäßig verweigert werden. So forderte zum Beispiel ein Landwirt wegen massiv gestiegenen Energie- und Betriebskosten die vertraglich vereinbarte Preisanpassung von seinem Käufer. Doch keine Chance. Alle Anfragen zu Gesprächsterminen hatte der Käufer verweigert. Er teilte ihm mit, ausschließlich zum ursprünglich vereinbarten Preis gelieferte Ware zu akzeptieren.
Immer wieder aufgetreten sind auch ungerechtfertigte Forderungen nach Vertragsstrafen (Pönalen) für unverhältnismäßig kurze und teils unverschuldete Verspätungen bei der Anlieferung.
Mehr Eigenmarken machen Lieferanten austauschbarer
Ein weiteres Problem sind die Eigenmarken der Handelsketten. Ihr Anteil nimmt immer mehr zu. Damit steigt nicht nur die Verhandlungsmacht der Handelskonzerne, sondern auch die Austauschbarkeit von heimischen Lebensmitteln und Produzenten. Tendenzen zeigen, dass internationale Handelskonzerne ihre bisherigen Lieferanten aus der Lebensmittelproduktion übernehmen. So berichtet das Fairness-Büro folgendes: Ein Handelskonzern verlangt von einem Produktionsbetrieb einen gewissen Produktionsanteil für seine Eigenmarke in gleicher Qualität, aber mit deutlich geringerem Preis. Verweigert der Lieferant dies, droht die Auslistung des Markenproduktes.
Das Fairness-Büro hat das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft als unabhängige und weisungsfreie Stelle eingerichtet. Seit 1. März 2022 können sich Betroffene anonym und kostenlos Hilfe holen wenn sie beim Verkauf von Agrar- oder Lebensmittelerzeugnissen von größeren Käufern unter Druck gesetzt werden und denen verbotene oder unlautere Handelspraktiken widerfahren. Die Rechtsexperten des Fairness-Büros beraten, analysieren Beschwerdefälle und prüfen sinnvolle weitere Vorgehensweisen, wie etwa eine Anzeige bei der Bundeswettbewerbsbehörde.