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Österreich

Rücktritt Köstinger: Überfällig, rückwärtsgewandt, bedauerlich

Josef Koch
Josef Koch
am Dienstag, 10.05.2022 - 08:17

Opposition und Umweltverbände fordern Kehrtwende in der österreichischen Agrarpolitik oder gar Neuwahlen, Bauernbund hoffen auf ein Weiter so.

Die Meinungen zum Rücktritt der früheren Bundesagrarministerin Elisabeth Köstinger fallen unterschiedlich aus. Während es aus Bauernbundreihen Bedauern gibt, ist Köstingers Rücktritt für die Opposition schon längst überfällig.

„In der Zeit von Landwirtschaftsministerin Köstinger mussten tausende bäuerliche Betriebe zusperren“, sagte FPÖ-Landwirtschaftssprecher Peter Schmiedlechner in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch.

FPÖ: Köstinger war Landverwirtschaftungsministerin

Diese „Landverwirtschaftungsministerin“ habe den bäuerlichen Betrieben geschadet. Den Rest habe dann die Krise, die durch den Ukraine-Krieg angefeuert wurde, erledigt. „Die sieben Cent Erleichterung für Agrardiesel sind einfach nur lächerlich. Dies bedeutet bei unterstelltem Verbrauch von 5.000 Litern lediglich 350 Euro Ersparnis im Jahr - das hilft keinem einzigen Bauern“, betonte Schmiedlechner.

„Anstatt unsere eigene Produktion anzukurbeln, verlässt sich die ÖVP auf Importe, wie unlängst die Getreidelieferungen mit den ÖBB aus der Ukraine zeigten. Die Unwahrheit vom Getreideüberschuss ist nach FPÖ-Auffassung längst Geschichte.

Schmiedlechner fordert ein Entlastungspaket für die heimische Landwirtschaft und ein Überarbeiten der Agrarreform ab 2023. Die Sozialversicherungsbeiträge müssen laut Schmiedlechner bis zum Ende der Krise erlassen werden. Die AMA-Marketing-Beiträge gehören abgeschafft. So zahlten Landwirte knapp 20 Mio. € für die Werbung für Handel und Industrie. Die Mehrwertsteuer und die Mineralölsteuer für alle landwirtschaftlichen Betriebe gehörten ausgesetzt.

SPÖ: Rücktritt längst überfällig

Als „längst überfällig“ bezeichnete SPÖ-Tourismussprecherin Melanie Erasim den Rücktritt von Elisabeth Köstinger. Sie habe als Tourismusministerin völlig versagt. Die Corona-Hilfen waren derart schlecht aufgestellt, dass unzählige kleinere Tourismus- und Gastronomiebetriebe während der Lockdowns und danach am Rande ihrer Existenzen standen. Vor allem im Städtetourismus kam es zu einer wahrlichen Insolvenzwelle, aber Konzepte seitens der Ministerin dagegen suchte man vergebens, so die SPÖ-Kritik. „Insofern ist es gut, dass sie nun einen Schlussstrich unter ihre schlechte Politik zieht“, so Erasim.

„Doch so instabil und chaotisch diese Regierung derzeit agiert, wäre es das Beste, Nehammer und Co. machten den Weg für Neuwahlen frei“, fordert die SPÖ-Tourismussprecherin.

Umweltorganisation hofft auf Neuausrichtung

Nach Auffassung der Umweltorganisation Global 2000 stand Köstinger für eine rückwärtsgewandte Agrarpolitik. Zuletzt sei die ÖVP-Ministerin noch durch die Umverteilung der EU-Agrarförderungen zugunsten von Großgrundbesitz und dem Vorstoß Brachflächen für den intensiven Anbau von Getreide und Eiweißfuttermitteln einzuackern, negativ aufgefallen.

Die Umweltorganisation erwartet von der Nachfolge Köstingers, sich konstruktiv an der Umsetzung des Europäischen Green Deal mit der Farm to Fork-Strategie zu beteiligen. Der Nachfolger müsse diese Chance jetzt nutzen und einen echten Richtungswechsel für die Landwirtschaft der Zukunft einleiten.

In die gleiche Kerbe schlägt die Bürgerinitiative oekoreich. Sie sieht nun den Weg frei für eine "echte Agrarwende".Es habe nie am Willen der Bäuerinnen und Bauern gemangelt, es sei schlicht politisch nicht gewünscht gewesen.

Allerdings werde erneut ein Bauernbundvertreter als Köstingers Nachfolge gehandelt, heißt es. Ein Richtungswechsel gilt dann als unwahrscheinlich.

 

Offenes Ohr für Jungbauernschaft und Bauernanliegen

Ganz anders die Österreichs Jungbauern. Nach Meinung von Jungbauern-Bundesobfrau Carina Reiter, hat Köstinger hervorragende Arbeit für die Jugend im ländlichen Raum geleistet. In ihrer Laufbahn als Bundesobfrau der Österreichischen Jungbauernschaft, als Abgeordnete im Europäischen Parlament und als Landwirtschaftsministerin habe sie immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Jungbäuerinnen und -bauern gehabt.

Österreichs Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger schätzte an Köstinger, dass sie trotz ihres Bemühens um Konsens nicht davor zurückgeschreckt sei, Positionen für die bäuerlichen Anliegen auch gegen Widerstände zu vertreten. „Sie hat stets ein offenes Ohr für die bäuerlichen Herausforderungen und Handschlagqualität bewiesen", lobt Moosbrugger. Für ihre weiteren, beruflichen Pläne wünscht er ihr das Allerbeste. 

Österreichs Kammerpräsident dementierte gegenüber dem Wochenblatt Spekulationen, wonach er Köstinger nachfolgen könnte. Er stehe für das Amt des Bundeslandwirtschaftsministeriums nicht zur Verfügung.

Neues Hilfspaket von 110 Mio. € unterwegs

Bauernbund-Präsident Georg Strasser begrüßte Köstingers Einsatz für zahlreiche Projekte wie den Waldfonds, umfassende Covid-Hilfspakete sowie die Herkunftskennzeichnung, das GAP-Gesetzespaket ab 2023. Er hebt auch das jüngste Entlastungspaket für die Bäuerinnen und Bauern von 110 Mio. € als Ausgleich der Teuerung hervor. Details dazu sind aber noch bekannt.

Felix Montecuccoli, Präsident der Land & Forst Betriebe Österreich, hob Köstingers beherztes Auftreten gegen eine fehlgeleitete EU-Forststrategie, ihr Einsatz für mehr Fairness im Lebensmittelhandel und ihre praxisnahe Unterstützung der gesamten Branche in der Pandemie hervor. Damit habe die ehemalige Ministerin für die notwendige Sicherheit gesorgt, die die österreichischen Land- und Forstwirte so dringend benötigten, um auch in Zukunft nachhaltig wirtschaften zu können.

 

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