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Berglandwirtschaft

Inneralpiner Ackerbau: Roggen in über 1200 Meter

Roggenanbau-Inneralpin-Berge-Platzer-Ackerfräse
Elisabeth Jahrstorfer Porttait 2019
Elisabeth Jahrstorfer
am Donnerstag, 02.02.2023 - 14:46

Biobauer Emil Platzer setzt auf seinem österreichischen Bergbauernhof im Pongau auf Ackerbau. Im ÖKL-Seminar „Inneralpiner Ackerbau“ informierte er, wie man Getreide im Berggebiet anbauen und damit ein Einkommen erzielen kann.

Bischofshofen/Sbg. Landwirtschaft wurde jahrhundertelang so betrieben, dass die Menschen alles hatten, was sie zum Leben brauchten und sich rundherum mit Nahrung selbst versorgen konnten. Getreideanbau mit angepassten Sorten war bis vor wenigen Jahrzehnten auch in den Alpen bis über 1200 m Höhe verbreitet. Je nach Klima bildeten sich bestimmte Hauptgetreidearten, in raueren Gebieten waren dies Gerste, Roggen und Hafer, in niedrigeren Lagen der Weizen. Auf den Handelsrouten wurde Hafer unter anderem auch zur Versorgung der Saumtiere angebaut.

Erst in der Neuzeit, die davon geprägt ist, dass Güter schnell und billig transportiert werden können, haben sich die Bauern spezialisiert. Ackerbau in den Gunstlagen, Grünland und Rinderhaltung dort, wo es viel regnet und die Böden schlechter sind. Pflanzenbauexpertin Waldtraud Hein von der HBLFA Raumberg-Gumpenstein spricht von der Zweiteilung Österreichs in die „Hörndl-Bauern“ im Westen und die „Körndl-Bauern“ im Osten. Im Jahr 1921 wurden im Bundesland Salzburg 38 500 ha Ackerland bewirtschaftet, jetzt sind es 2100 ha.

Ackerbau in den Bergen zur Selbstversorgung und Erhalt alter Sorten

Im Berggebiet ist das Wissen über Anbautechnik und Sorten mit den Jahren verloren gegangen. Lange, schneereiche Winter haben dazu geführt, dass das Wintergetreide oft ausgewintert ist. Das Sommergetreide konnte oft erst spät angebaut werden und hatte kaum Bestockung. Zudem fehlten brauchbare Maschinen, wie Waldtraud Hein betont. Inzwischen sind die guten Ackerlagen in den Tälern in großem Umfang in Gewerbegebiete und Golfplätze umgewandelt.

Doch das Interesse an regionaler Selbstversorgung und der Erhaltung alter Nutzpflanzensorten wächst. Ein Grund für das ÖKL, sich dem Thema „Inneralpiner Ackerbau“ zu widmen. Im Juli und September vergangenen Jahres fanden zwei Seminare dazu statt. Viele junge Landwirte, auch manche ältere, waren gekommen, um zu hören, worauf es in der Praxis ankommt. Einige von ihnen haben zu Hause einen Direktvermarkter- oder Selbstversorgerbetrieb. Getreide würde ihre Produktpalette bereichern. Andere bauen bereits Getreide in kleinem Maßstab an, wollten sich austauschen und ihr Wissen weitergeben.

Versuche mit Getreideanbau in den Bergen - seit fünf Jahren auf Biohof Gschwendt

Emil-Platzer-Getreideanbau-Berge

Ein experimentierfreudiger Pionier ist Jungbauer Emil Platzer, auf dessen Biobetrieb die Seminare auch stattfanden. Er hat auf dem elterlichen Bergbauernhof Gschwendt in Gaintal bei Bischofshofen im Pongau auf 850 m Höhe vor fünf Jahren erste Versuche gestartet, auf 3 ha mit Ackerfrüchten ein Zusatzeinkommen zu erzielen. Weitere 5 ha sind Grünland, wo er Heu zum Verkauf produziert. Zudem gibt es momentan sieben Mutterschafe auf dem Hof, die wertvollen Dünger liefern.

Auf den Wert alter Getreidesorten kam Platzer während seines Landwirtschaftsstudiums an der Boku in Wien durch sein Engagement beim Verein Arche Noah. Seine Diplomarbeit widmete er dem Thema „Alpine Sommerweizen – ein Schatz aus den Alpen“. In diesem Rahmen hat er 2017 angefangen, Grünland umzubrechen und Getreide auszusäen. Er entdeckte das Werk von Erwin Mayr, der um 1920 die Getreidesorten in den westlichen Ländern Österreichs kartiert hat. Damals wurde Wintergetreide in den Tallagen angebaut, Sommergerste dagegen bis in höchste Höhen. Die erfassten 150 Landsorten haben eine immense genetische Vielfalt – größer als alle aktuellen Sorten zusammen – innerhalb der Sorten und untereinander. „Jede Ähre hat anders ausgesehen“, dies zeigen die Bilder in Mayrs Buch.

Alte Sorten auf kleinen Flächen in den Bergen angebaut

Platzer-Bergackerbau-Claas-Mähdrescher

Im Jahr 2022 hat Platzer folgende Ackerfrüchte angebaut: 1 ha Tauernroggen, der über 2 m hoch wird, 0,5 ha Rinner und St. Johanner Winterweizen, 0,3 ha Nackthafer, 0,2 ha Tiroler Sommerroggen, 0,1 ha Wildschönauer Sommerweizen und 0,2 ha Buschbohnen. In den Jahren zuvor hat er außerdem Buchweizen ausprobiert, der aber zu ungleich abgereift ist, Futtererbsen mit der Stützfrucht Winterweizen, Sommergerste, Spelzhafer, Buschbohnen und Dinkel.

Maschinell hat sich Emil Platzer aufgerüstet. Sein Stolz ist der Claas Comet Mähdrescher. Bei den Maschinen zur Bodenbearbeitung und Aussaat arbeitet er mit einem Nachbarn zusammen. Denn beim Maschinenring Salzburg kann man keine Maschinen für den Ackerbau ausleihen. Investieren musste der Direktvermarkter auch in Geräte für die speisefertige Verarbeitung des Getreides. Er besitzt eine Getreidereinigung (Baujahr ca. 1948), eine Entspelzmaschine (aus Japan, wo sie kleine Reisbauern verwenden), eine Poliermaschine sowie einen Farbausleser. Außerdem eine Flockenquetsche und eine Mühle. Das Gerät zum Schleifen von Hafer und Gerste stammt von 1920.

Wichtiges Ziel: Erhalt der genetischen Vielfalt

Platzer-Getreideanbau-Alpen-Produkte

Platzers Ziel ist es, beizutragen, dass der Ackerbau im alpinen Gebiet wieder eingeführt wird. Dabei geht es ihm insbesondere um den Erhalt der alten Sorten und ihrer genetischen Vielfalt. „Man weiß nicht, wofür man das noch brauchen kann“, sagt er. Er will damit die Bodenfruchtbarkeit fördern und hochwertige Lebensmittel produzieren. Den Pflanzenabfall könne man zusätzlich als Futtermittel verwenden. Das Seminar gab ihm Gelegenheit, seine bisherigen Erfahrungen weiterzugeben und sein Netzwerk zu vergrößern.

Jedes zweite Jahr bearbeitet Platzer den Boden mit dem Pflug, 15 cm tief, denn darunter kommen die Steine. So reduziert er die Beikräuter. Probleme verursachen Ampfer, Quecke und Flohknöterich. Vorteil des Pfluges ist außerdem, dass das Stroh komplett untergearbeitet wird, was die Ansaat erleichtert. Allerdings müsse der Boden trocken sein, sagt Platzer, denn sonst sei der Kraftstoffverbrauch sehr hoch und es bestehe neben der Bodenerosion die Gefahr, dass sich eine Pflugsohle bildet, die den Boden nach unten abdichtet. Ansonsten bearbeitet er den Boden mit der Ackerfräse (5 bis 8 cm tief). Dafür müsse der Boden nicht so trocken sein und die Bearbeitung fördere die Aktivität der Mikroorganismen.

Gesät wird mit einer Drillsämaschine, in Kombination mit einer Kreiselegge, Schleppscharen und Striegel, das Wintergetreide im September, Sommergetreide sobald der Boden im Frühjahr abgetrocknet ist. Das Saatgut vermehrt der Landwirt selbst. „Wichtig ist, dass das Saatgut sorgfältig gereinigt ist und die Keimfähigkeit getestet wurde.“ Die Saatmenge berechnet er nach der Tausendkornmasse. Für die hohe Lage ist ein Zuschlag nötig. Gute Erfahrungen hat Platzer mit der Fredoschlitzdrillmaschine für den Zwischenfruchtanbau gemacht.

Vielfältige Fruchtfolgeund Gründüngung

Die Bodenfruchtbarkeit erhält der Biobauer vor allem durch die vielfältige Fruchtfolge: Zwei Jahre Wiese, Winterweizen, Zwischenfrucht, Nackthafer, Zwischenfrucht, Erbsen/Gerste-Gemenge, zwei Jahre Winterroggen, im zweiten Jahr mit einer Wiesenuntersaat. Ergänzt wird die Düngung durch Schafmist und Schafwolle, Stroh und Spelzen, bei Winterweizen durch Gülle im Frühjahr. Platzer überlegt, ob er sich für den Mist mehr Tiere zulegen oder eher auf die Zwischenfrucht zwischen Winter- und Sommergetreide setzen soll. Eine andere Möglichkeit, den nötigen Stickstoff in den Boden zu bekommen, sieht er in der Kleeuntersaat im Getreide. Allerdings vertragen alte Sorten generell wenig Dünger, da sie schnell ins Lager fallen.

In Bezug auf Schädlinge und Krankheiten erwähnte Platzer die Fritfliege bei Hafer und im Roggen das Mutterkorn. Sein Auftreten ist sehr witterungsabhängig. Allerdings lassen sich die befallenen Körner mit dem Farbsortierer gut wegsortieren.

Große Schäden durch Vögel und Rehe möglich

Platzer-Berglandwirtschaft-Getreidemühle

Ein größeres Problem können Vögel, Hasen und Rehe sein. Wie die Diskussion zeigte, können bei kleinen Flächen Vögel in Windeseile die gesamte Getreideernte übernehmen. In diesen Fällen hilft nur ein Vogelschutznetz. Rehe mögen die Ähren ebenso, vor allem unbegrannte Sorten, und fressen auch die Blüten der Bohnen. Durch Rehe gibt es zudem Tritt- und Fraßschäden an jungem Getreide, insbesondere, wenn die Felder am Waldrand liegen. Emil Platzer hat aus diesem Grund schon überlegt, sein Feld einzuzäunen.

Die Ernte erfolgt bis auf die kleinen Flächen mit dem Mähdrescher von 1968. Bei dieser Maschine ist eine zweite Person nötig, die das Getreide in Säcke abfüllt und zubindet. Die Säcke werden auf das Feld geworfen. Bei kleinen Flächen mäht der junge Landwirt das Getreide wie anno dazumal mit der Sense und drückt die Körner anschließend mit Hilfe des Traktors und einer Plane aus den Ähren. Das Erntepotenzial der alten anspruchslosen Sorten liegt bei rund 35 dt/ha. Emil Platzer hat bis jetzt zwischen 15 und 25 dt/ha geerntet. Die Getreide verkauft er direkt als Körner, Mehl und Flocken. Außerdem produziert er Haferreis, der schnell gar ist, und Rollgerste für traditionelle Gerichte. Dafür muss das Getreide poliert werden. Abnehmer für seine Produkte sind die gehobene Gastronomie, Bauern- und Hofläden, eine Brauerei sowie Bäuerinnen und Bauern zum Saatguttausch und nicht zuletzt der eigene Ab-Hof-Verkauf auf Vorbestellung.

Tipps zum Einstieg in den Getreideanbau in den Bergen

Inneralpiner-Ackerbau-Getreideanbau-Diskussion-Berg

Der Neueinstieg in den Getreideanbau im Berggebiet ist nicht einfach. Herausforderungen sind die fehlenden Maschinen, die Hangneigung (nur flache Flächen sind geeignet), die hohen Niederschläge und das Grünlandumbruchsverbot im Öpul. Auch das Fortbildungsangebot ist sehr begrenzt. Umso wichtiger ist die Vernetzung und Zusammenarbeit der Landwirte untereinander. Ganz neu hat Emil Platzer das Leader-Projekt „Pongauer Troad“ ins Leben gerufen. Es geht darum, die Getreidekultur mit den alten Sorten wiederzubeleben, Schautafeln aufzustellen, Workshops mit Landwirtinnen und Landwirten durchzuführen, Maschinen für die Getreideverarbeitung anzuschaffen, Koch- und Backworkshops zu veranstalten und einen Webshop aufzubauen.

Ein wichtiger Aspekt für das Gelingen des Getreideanbaus in den Alpen ist für den jungen Bergbauern die Bewusstseinsbildung der Konsumenten, damit sie den Unterschied zwischen den heimischen alten Getreidesorten und Industrieware bemerken. Denn dann sind sie auch bereit, einen gerechten Preis dafür zu zahlen, hofft der innovative Landwirt.

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