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Diversifikation

Einkommen: Es gibt mehr als Milch und Käse

Einkommensalternativen
Patrizia Schallert
am Montag, 16.12.2019 - 10:13

Die Bodensee Akademie lud zu einer Veranstaltung ein über Diversifikation in der Landwirtschaft und wie Bauern so ihre Existenz sichern können.

Dornbirn/Vorarlberg - Sind Milch und Käse alles, was die Vorarlberger Landwirtschaft zu bieten hat? Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Landwirtschaft verstehen“ stellten fünf Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter im ORF Landesstudio Vorarlberg in Dornbirn innovative Konzepte vor, die ihre Höfe auf der wirtschaftlichen Erfolgsleiter eine Sprosse höher brachten.
Jasmin Ölz, Kulturkoordinatorin des ORF Vorarlberg, freute sich über das große Interesse der Bevölkerung zum Thema „Diversifikation in der Landwirtschaft – Angebot schafft Nachfrage – Nachfrage sichert Angebot“.

Rund 140 Besucher waren der Einladung des Vereins für nachhaltige Entwicklung „Bodensee Akademie“, der Vorarlberger Landwirtschaftskammer und dem ORF gefolgt. „Ist die Erzeugung von Nischenprodukten die Zukunft unserer Landwirtschaft?“, fragte Ölz.
 

Es gibt nicht einen Weg für alle, aber für alle einen Weg

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„Ja“, ist sich DI Daniela Keßler-Kirchmayr, Innovationsberaterin der LK Vorarlberg, sicher. „Aber es gibt nicht einen Weg für alle, sondern für alle einen Weg. Aber nur wer über den Tellerrand blickt und bereit ist, gewohnte Wege zu verlassen, kann zur Sicherung einer vielfältigen und zukunftsfähigen Landwirtschaft beitragen“, betonte Keßler-Kirchmayr. „Die bäuerlichen Urproduzenten setzen immer mehr auf Qualität und Wertschöpfung, die durch einen neuen Betriebszweig deutlich erhöht werden kann.“ Das Interesse an Innovationsberatungen sei besonders bei der jüngeren Generation sehr groß.

Für das Gelingen einer zukunftsfähigen Landwirtschaft nahm Keßler-Kirchmayr auch die Verbraucher in die Pflicht. Sie ermunterte sie, im Supermarktregal zu regional produzierten Lebensmitteln zu greifen und die Dienstleistungen landwirtschaftlicher Betriebe in Anspruch zu nehmen. Außerdem müssten das Bewusstsein der Bevölkerung für die Herausforderungen der Landwirtschaft gestärkt und die Innovationen der bäuerlichen Familien wertgeschätzt werden.

„Diversifikation in der Landwirtschaft bedeutet die Existenzsicherung des Betriebs durch ein zweites Standbein“, erklärte DI Benjamin Mietschnig, Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft an der LK Vorarlberg. Von rund 3200 im Haupt- und Nebenerwerb geführten Betrieben in Vorarlberg haben sich bereits 693 ein zusätzliches Standbein aufgebaut. Neue Wege zu gehen, erfordere Mut, Freude an der Arbeit, die Bereitschaft sich neues Wissen anzueignen, geeignete Infrastrukturen am Betrieb und ein finanzielles Polster.

„Natürlich muss sich der Betriebsleiter fragen, ob für sein neues Produkt ein Markt vorhanden ist“, sagte Mietsch­nig. Vorarlberg liege mit seiner guten Tourismusinfrastruktur und der Nähe zum Kunden in den Ballungsräumen im Vorteil zu anderen Regionen. Klar sei jedoch, dass die Direktvermarktung nicht die Passion eines jeden Landwirts sei. Beratende Unterstützung erhalten die Betriebe von der LK und vom Ländlichen Fortbildungsinstitut (LFI).

Fünf gelungene Beispiele der Diversifikation

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Wie Diversifikation in der Landwirtschaft gelingen kann, erläuterten fünf Vorarlberger Bäuerinnen und Bauern:

  • Regina Metzler hat 2012 die Gärtnerei „Regreena“ in Andelsbuch gegründet und sechs Jahre später ihr zweites Betriebsstandbein „Greenzeug – natürlich anders“ auf den Weg gebracht. Unterstützt von 2,5 Arbeitskräften baut Metzler auf rund 0,4 ha 50 verschiedene saisonale Gemüsesorten an. Zusätzlich gehören mehr als 200 Obst- und Beerensträucher zum Betrieb. Zwei Drittel der Erzeugnisse vermarktet die Bregenzerwälderin an Privatkunden, ein Drittel an die Gastronomie. Überschüsse aus der Produktion werden veredelt.
  • DI Christoph Weißenbach ist Landwirt und Lehrer am Bäuerlichen Schul- und Bildungszentrum für Vorarlberg in Hohenems. Seit 2018 agiert er als Leiter des Projekts „Bio-Braugerste“. Für die Produktion des untergärigen, hellen und naturbelassenen „Braumeister Bio-Hofbiers“ bauen derzeit sieben Vorarlberger Biobetriebe den Rohstoff für die Brauerei Fohrenburg in Bludenz an. Während die Produktion von Futtergerste recht einfach ist, stelle die Braugerste hohe Ansprüche, weil sie für ein gutes Bier nur maximal 12 % Eiweiß enthalten sollte.
  • Bernd Hörfarter produziert am Flötzerhof in Wolfurt „feinste Spezialitäten direkt vom Bauernhof“. Dafür hält er 130 Milchziegen, 250 Kitze, 2000 Stück Mastgeflügel verschiedener Arten und Rassen, 600 bis 700 Pekingenten, Mast- und Legewachteln, Duroc-Schweine und mehrere Bienenvölker. Die Ziegenmilch liefert Hörfarter an die Molkerei Metzler in Egg, das Fleisch wird über den Einzelhandel, die Gastronomie und Privatkunden abgesetzt. Für den 2015 errichteten Schweinestall erhielt die Familie zwei Jahre später den Vorarl­berger Tierschutzpreis.
  • Stefan Lässer vom Schlössle-Hof in Hard und seine Familie haben sich der Direktvermarktung verschrieben. Zum Tierbestand gehören 35 Milchkühe, ein Stier, 500 Legehennen, zehn Schweine, zwei Ziegen und saisonal rund 200 Masthühner. Der Verkauf der Produkte erfolgt ab Hof, über Milch- und sieben Warenautomaten. Als Schule am Bauernhof-Betrieb vermitteln Stefan und Jeannette Lässer landwirtschaftliches Wissen und die Kenntnis natürlicher Kreisläufe in der bäuerlichen Urproduktion an die Verbraucher von morgen.
  • Birgit Gmeiner ist Biobäuerin in Alberschwende. Der kleinstrukturierte Bauernhof mit Mutterkühen, Freilaufhaltung von Schwäbisch-Hällischen Landschweinen, Rassehühnern, Charolais-Schafen und Waldbewirtschaftung wird im Nebenerwerb geführt. Fleischpakete, Speck- und Wurstwaren vermarktet die Familie ab Hof. Betriebsführer Stefan Gmeiner erwirtschaftet mit seiner kleinen Tischlerei das Haupteinkommen. Ein weiteres Betriebsstandbein ist Schule am Bauernhof. Außerdem steht die Zertifizierung zum Green Care-Auszeithof an.

Hanf- und Leinöl sowie Urlaubsgäste

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Im Laufe der Veranstaltung stellten zwei weitere Betriebe ihr Konzept zur Existenzsicherung vor. Jungbauer Christian Dobler berichtete über den Hanf- und Leinanbau auf dem Rotterhof in Satteins. Seine Eltern Christine und Peter führen den Milchviehbetrieb im Vollerwerb und waren 2017 das erste Landwirtepaar Vorarl­bergs, das sich für den Anbau von Hanf und Lein entschieden hat. Die Öle werden aus reifen Samen am Betrieb kalt gepresst. Die Vermarktung der Öle, des Dinkel- und Weizenvollkornmehls erfolgt ab Hof und über „gnuss – Spezialitäten aus der Region“ in Frastanz.

Auf ihrem Milchviehbetrieb in Eichenberg bietet Priska Eller bereits seit vielen Jahren erfolgreich Urlaub am Bauernhof an. Dieser sei ein ideales Zusatzeinkommen für kleinstrukturierte Betriebe in Tourismusregionen, weil er sich gut in den Hof­alltag einbinden lasse. „Wer sich ein neues Betriebsstandbein aufbauen will, muss dafür brennen, sonst funktioniert es nicht“, betonte Eller.
Ernst Schwald, Geschäftsführer des Vereins „Bodensee-Akademie“, war die Freude ins Gesicht geschrieben, dass die landwirtschaftlichen Betriebe in Vorarlberg so vielfältig aufgestellt sind. „Das ist nur möglich, wenn die ganze Familie hinter einem neuen Projekt steht und der Verbraucher heimisch produzierte Lebensmittel wertschätzt.“

Mit der Veranstaltungsreihe „Landwirtschaft verstehen“ wolle man noch mehr mit der Bevölkerung ins Gespräch kommen. „Es ist wichtiger denn je, dass landwirtschaftliche Themen in einer kultivierten Form aufbereitet werden“, betonte Schwald. „Außerdem gilt es den Rahmenbedingungen von regionalen Wertschöpfungsprozessen viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken.“

Wie Leader-Regionen helfen können

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In der Publikumsdiskussion stellte Walter Rauch die Leader-Region Vorderland-Walgau-Bludenz vor. Seit Gründung des Vereins vor fünf Jahren agiert der Dünserberger Bürgermeister als Obmann. Ziel sei, die Kulturlandschaft mit ihren wertvollen bäuerlichen Produkten und die Bevölkerung zu verbinden und die Landwirtschaft nachhaltig zu begleiten. Rauchs Amtskollege aus Doren, Guido Flatz, erläuterte seine Aufgaben als Obmann des Vereins „Regio Bregenzerwald“. Es sei eine große Herausforderung, die heimischen Lebensmittel ihren Weg vom Produzenten zum Konsumenten finden zu lassen. Als gelungenes Beispiel nannte er die „KäseStrasse Bregenzerwald“. 
Hildegard Burtscher, Biobäuerin in Thüringerberg und Mitglied des Vorarlberger Naturschutzrats, wünscht sich von der Politik, dass sie nicht nur über Nachhaltigkeit spricht, sondern Nachhaltigkeit für Grund und Boden auch tatsächlich lebt. 

Wertschätzung muss sich in Wertschöpfung zeigen

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Laut Manuel Kirisits, Geschäftsführer von Bio Austria Vorarlberg, kann ein landwirtschaftlicher Betrieb zwei Dinge selbst gestalten: „Entscheidungen treffen und handeln.“ Die Biolandwirtschaft versuche schon lange, einen gemeinsamen Weg mit Produzenten und Konsumenten zu gehen. Dieser Weg sei bis heute nicht an seinem Ende angelangt. „Die Wertschätzung, die wir der heimischen Landwirtschaft entgegenbringen, sollte sich auch in der Wertschöpfung widerspiegeln. Denn billige Lebensmittel gibt es nicht, den Preis werden wir alle bezahlen.“

Hier seien nicht nur Produzent und Verbraucher gefordert, sondern auch Politik und Handel. Als gelernter Koch will Alexander Kowarc eine Brücke zwischen Landwirtschaft und Gastronomie schlagen. „Probleme müssen gemeinsam bewältigt werden.“ Landwirte müssten mehr auf die Gastronomen zugehen und sich mehr für deren Bedürfnisse öffnen. In Vorarlberg sieht er ein großes Potenzial für Kooperationen von Landwirtschaft und Gastronomie.

Gemüse und Tannenholz für den Markt

Bertram Martin von der Erzeugergemeinschaft Martinshof in Buch weiß: „In vielen Bereichen wie im Gemüseanbau fehlen in Vorarlberg die Strukturen.“ Zielführend wäre die Schaffung von Plattformen, beispielsweise: „Wie kommt der Salat zum Kunden“. Martin mahnte, die Digitalisierung mehr für die Kommunikation mit dem Kunden einzusetzen. „Ohne sie hätten viele Verbraucher nicht in unser kleines Dorf Buch gefunden.“ Von der Politik forderte der Landwirt, in der Gemeinschaftsverpflegung mehr auf regional produzierte Lebensmittel zu setzen.

Für DI Thomas Ölz, Forstreferent der LK Vorarlberg, ist das Inwertsetzen von Produkten wie der Weißtanne ein großes Thema. „Heute können wir mit Fug und Recht behaupten, dass wir mit der Weißtanne in Vorarlberg eine der schönsten Baumarten weltweit etablieren konnten“, betonte Ölz. 

Rege Diskussionen im Publikum gab es rund um das Mercosur-Abkommen, die Abholzung der Regenwälder für die Sojaproduktion, den Klimawandel oder die Proteste deutscher Bauern, weil ihnen Politik und Gesellschaft die gebührende Anerkennung versagten. Letztlich war klar: Landwirtschaft, Nachhaltigkeit, Artenvielfalt und Naturschutz lassen sich nicht auseinanderdividieren.