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Kontroverse

Nach Wolfsrissen: Streit um Umgang mit Problemtier

Canis Lupus
Philipp Seitz und Barbara Höfler
am Mittwoch, 12.01.2022 - 14:54

Ein Wolf riss im Dezember die Tiere im östlichen Alpenraum. Kaniber sieht die Voraussetzungen für eine Entnahme erfüllt. Doch der Bund Naturschutz widerspricht ihr.

Lks. Traunstein/Rosenheim/Berchtesgadener Land Seit vergangenen Freitag ist es amtlich: Ein einzelner Wolf ist für eine ganze Reihe von Rissen im Gebiet zwischen Traunstein, Rosenheim und dem Berchtesgadener Land im Dezember verantwortlich. Das ergaben DNA-Analysen des Landesamtes für Umwelt (LfU).

Michaela Kaniber

Für Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) sind damit „die Voraussetzungen für eine Entnahme des übergriffigen Wolfes erfüllt“. Gegenüber dem Wochenblatt forderte Kaniber „eine klare Entscheidung der Umweltverwaltung, konkret der Regierung von Oberbayern, über den vorliegenden Entnahmeantrag. Bei uns im Alpenraum sind zahlreiche Höfe, Almen und Weiden nicht schützbar. Vor allem aber müssen wir die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Blick haben.“ Dieser Wolf habe „jede Scheuverloren“.

Vom Umweltministerium ist indes zu hören, dass die Entscheidung über den Entnahmeantrag, den die Forstberichtigten im Chiemgau im November gestellt hatten, noch länger dauern wird. Auf Wochenblatt-Nachfrage antwortete ein Sprecher: „Alle rechtlichen Möglichkeiten werden derzeit intensiv geprüft.“

Das LfU bat die Nutztierhalter in einer Mitteilung am vergangenen Freitag, ihre Tiere wolfssicher unterzubringen, beispielsweise durch Einstallung oder wolfsabweisende Zäunung. Innerhalb der Förderkulisse würden Material- und Montagekosten für die Einrichtung wolfsabweisender Zäune zu 100 % gefördert.

Das Aus für die Offenstallhaltung?

Für Weidetierhalter wie Josef Harbeck, den Vorsitzenden der Schafhaltervereinigung Traunstein, klingt diese Aussage „wie Hohn“. Zahlreiche Landwirte hielten ihre Schafe und Ziegen im Winter in Offenställen mit Weidezugang, wie es für viele Rassen artgerecht und gesellschaftlich gewollt sei. „Jetzt machen alle ihre Offenställe dicht“, sagte Harbeck. Er ärgert sich auch darüber, dass die Kosten für Herdenschutz nur übernommen werden, wenn der entsprechende Betrieb innerhalb eines Radius von 10 km um eine Riss-Stelle herum liegt. „Insgesamt haben wir im Landkreis Traunstein bis jetzt um die 17 bis 19 Risse gehabt und noch nicht mal der ganze Landkreis ist in der Förderkulisse“, so Harbeck.

Steht ein solcher Zaun, ist der Schutz besonders im Winter trotzdem nicht gewährleistet. Beispiel Bergen: Dort überwand der Wolf den vierlitzigen Zaun, weil die unterste Litze im Schnee hing und so keinen Strom führte. „Mit dem Schnee ist es aktuell unmöglich, die Zäune wolfssicher zu halten“, sagt Oberbayerns BBV-Bezirkspräsident Ralf Huber, der mehrere Betriebe direkt nach den Riss-Ereignissen besucht hatte. „Jetzt müsse hunderte Tiere wegen eines Wolfes in Stallhaltung eingesperrt werden“, klagt Huber.

Für BBV-Umweltpräsident Stefan Köhler ist das eine Bankrott-Erklärung: Der Staat sei völlig unvorbereitet, sagte er gegenüber dem Wochenblatt. „Während ein Wolf beinahe täglich Nutztiere reißt und sich somit immer mehr auf Nutztiere in der Nähe von häuslicher Behausungen spezialisiert, redet das LfU gebetsmühlenartig von Einstallung oder wolfsabweisenden Zäunungen“, so Köhler. Dabei werde „völlig vergessen beziehungsweise ignoriert, dass eine Zäunung im Winter mit höheren Schneemengen überhaupt nicht möglich, so kurzfristig im Winter auch nicht umsetzbar ist“. Tatsächlich hatte der Wolf beim Angriff auf die Ziege in Bergen einen Herdenschutzzaun überwunden, die unterste Litze führte aufgrund der Schneeverhältnisse schlicht keinen Strom.

Für Köhler ist „eine rote Linie überschritten“: „Jetzt muss endlich gehandelt werden, ob mit Vergrämung oder notfalls der Entnahme des Problemtieres.“ Der Bund Naturschutz dagegen sieht den Fall noch lange nicht geklärt. Laut dem Wolfsbeauftragten Uwe Friedel gäbe es nur zwei rechtlich tragfähige Gründe für eine Entnahme – eine Gefahr für den Menschen und eine Spezialisierung des Wolfes auf Nutztiere als Beute. Eine Gefahr für den Menschen stelle dieser Wolf „nach allem, was wir aus seinem Verhalten sehen“ nicht dar, sagt Friedel. Kaniber sei in der Hinsicht „falsch informiert“. Sein bisheriges Verhalten lasse nicht auf Aggressionen gegenüber Menschen schließen.

Unzumutbar zäunbar heißt nicht unschützbar

Was die Nutztierrisse betrifft, will Friedel sich noch kein abschließendes Urteil bilden. Bei drei der Risse sei kein Herdenschutzzaun vorhanden gewesen, obwohl die Flächen als zäunbar eingestuft worden seien. „Hier wäre vor einer Entnahme erst einmal ein Grundschutz zu installieren.“ Zwei der Risse hätten sich auf als unzumutbar zäunbar eingestuften Flächen ereignet. „Aber unzumutbar zäunbarlaut Weideschutzkomission heißt nicht automatisch nicht schützbar“, so Friedel. „Wir sind der Meinung, dass es dort eventuell, nach entsprechender Prüfung, durchaus möglich gewesen sein könnte, einen Grundschutz zu errichten. Wenn das der Fall ist, dann wäre eine Entnahme nicht gerechtfertigt.“ Das würde man auch in eine Klage gegen einen Entnahmebescheid einbringen.
Ob Herdenschutzzäune im Schnee – und generell im Alpenraum – praktikabel sind, ob Aufstallung die Alternative zur Freilandhaltung sein kann, wie es für die Nutztierhalter und ihre Tiere vor Ort jetzt weitergehen soll? Auch Uwe Friedel hat dafür keine Lösung, verweist aber auf die Möglichkeit der Herdenschutzberatung für die Landwirte durch das „Livestock Protect“. „Es werden definitiv mehr Wölfe kommen, die Risse werden mehr und man wird nicht jeden der Wölfe schießen können“, sagt Friedel.

„Wenn das Problem in drei Monaten zum Beginn der Weidesaison nicht geregelt ist, können wir Schafhalter nicht austreiben“, sagt Josef Harbeck, der in der Schafhaltervereinigung Traunstein 140 Mitglieder mit rund 5000 Schafen vertritt.

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