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Rudel mit sieben Welpen

Wolfsrisse im Altmühltal: Jetzt reißt auch die Wölfin Nutztiere

Sechs Schafe wurden bei Meilenhofen gerissen. Bürgermeister Tobias Gensberger, sein Stellvertreter Thomas Bauer und Schafhalter Helmut Ettenreich (v. l.) gingen von Anfang an davon aus, dass es sich um einen Wolf handelte. Das LfU hat dies inzwischen bestätigt.
Andrea Hammerl
am Montag, 18.09.2023 - 14:44

Landwirte und Jäger um Eichstätt sind besorgt: Jetzt reißt auch die Wölfin Schafe. Die Welpen könnten bald mit auf die Jagd gehen.

Immer mehr Nutztierrisse, bei denen der Wolf als Verursacher nachgewiesen wurde, treiben Landwirte, insbesondere Schäfer, aber auch Spaziergänger und Anwohner im Altmühltal (Landkreis Eichstätt) um. Sieben Welpen gehören zu dem als standorttreu bestätigten Rudel. Die dazugehörige Wölfin, die aus dem Veldensteiner Forst stammt und seit Oktober 2020 hier lebt, war bis vor Kurzem nur bei Rehrissen nachgewiesen worden. Kürzlich hat allerdings die genetische Untersuchung eines Risses vom 9. August ergeben, dass GW1613f – so die Bezeichnung des LfU (Landesamt für Umwelt) für die Altmühltal-Wölfin – für den Tod von sechs Schafen bei Meilenhofen verantwortlich oder zumindest daran beteiligt war.

Fünf der sieben Wolfswelpen aus dem standorttreuen Wolfsrudel im Altmühltal, das auch im angrenzenden Landkreis Neuburg-Schrobenhausen und auf Ingolstädter Gebiet auf Nutztierjagd geht.

„Das ist neu, die Fähe riss bisher nur Rehe“, sagt Karl-Heinz Fink vom Netzwerk Große Beutegreifer, „wenn deren sieben Welpen groß sind, werden sie auch angelernt, das ist alles anerzogen.“ Fink ist aktuell sehr oft unterwegs, um Proben für die genetische Untersuchung aus den Risswunden tot aufgefundener Nutztiere zu nehmen.

Wolfsrisse in unmittelbarer Ortsnähe

Bei Altstetten (Landkreis Neuburg-Schrobenhausen) wurde am 18. August ein Rottier in unmittelbarer Ortsnähe gerissen, am 14. August ein Mutterschaf bei Irgertsheim (Nähe Ingolstadt). Beide Risse konnte das LfU Anfang September dem männlichen Wolf GW2977m zuordnen, ebenso zwei tote und vier vermisste Damhirsche vom 8. August, ein weiteres totes Schaf und ein vermisstes Lamm am 21. Juli im westlichen Landkreis Eichstätt, einen Schafbock am 30. Januar bei Irgertsheim und sieben Lämmer und Schafe bei Haunsfeld am 25. Oktober vergangenen Jahres. Noch in Bearbeitung ist der Riss eines Schafs und einer Ziege bei Hitzhofen vom 22. August.

GW2977m stammt aus einem Rudel bei Bad Belzig in Brandenburg, das für Nutztierrisse bekannt ist. Der so sozialisierte Wolfsrüde hat nun offenbar seine Partnerin angelernt. Dass es sich bei ihm um den Vater der sieben Welpen handelt, davon gehen ortsansässige Jäger und Landwirte aus, bewiesen ist es allerdings noch nicht. Fink rechnet damit, dass die im Mai geborenen Jungtiere demnächst mit auf die Jagd gehen werden. Dann könnte auch ihre DNA nachgewiesen und die Herkunft gesichert werden. Nachgewiesen wurden die sieben Jungwölfe mehrfach über Wildkameras und Videoaufnahmen.

Wölfe auf vielbegangenen Spazierwegen

„Naturschützer erweisen dem Wolf einen Bärendienst“, meint Fink, der sich auch Personenschäden vorstellen kann, da die Tiere keinerlei Scheu mehr vor Menschen zeigen. Eines Tages werde gar nichts anderes mehr übrig bleiben, als den Wolf wieder intensiv zu bejagen, prophezeit er. Denn nur solange er bejagt werde, bleibe er scheu und zeige das so oft von Naturschützern beschworene wolfstypische Verhalten. Tiere seien lernfähig. Dass sie in Deutschland nicht bejagt werden, führe dazu, dass sich die Beutegreifer nun auch auf vielbegangene Spazierwege wie an der etwa 100 Meter von Meilenhofen entfernten Schafweide oder in das Wildgehege bei Altstetten trauen. Dabei rieche es hier wie da mit Sicherheit nach Menschen.

Auch Wirtschaftsstaatssekretär Roland Weigert, selbst Jäger, Vizepräsident des Bayerischen Jagdverbandes und wohnhaft im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen, fordert von der Bundesregierung, den sogenannten günstigen Erhaltungszustand festzustellen, die Jäger ins Boot zu holen und den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen. Das sichere auch die Wolfspopulation nachhaltig. Denn geregelte Bejagung gehe mit professioneller Hege mit dem Ziel einher, „einen gesunden, artenreichen Wildtierbestand sicherzustellen“.

Regionales Bestandsmanagement gefordert

Umweltminister Thorsten Glauber, der sich gemeinsam mit Weigert in Irgertsheim ein Bild vom Riss des Mutterschafs gemacht hatte, postete auf Instagram ein Foto des Ortstermins und kommentierte: „Vor Ort in den Landkreisen Eichstätt und Neuburg-Schrobenhausen. Wir stehen an der Seite der Nutztierhalter und der Weidewirtschaft! Wir brauchen Lösungen im Umgang mit dem Wolf, dazu gehört auch ein regionales Bestandsmanagement“.

Norwegen und Schweden praktizieren die Wolfsjagd schon seit 2010. 2019 und 2020 war sie ausgesetzt worden, da die skandinavische Population, die überwiegend in Schweden lebt, unter 300 gesunken war. 300 Tiere gelten dort als Richtwert für den günstigen Erhaltungszustand. In Deutschland, rechnet Weigert vor, sind 160 Rudel gesichert bekannt, mit geschätzt 1600 Tieren.

Kontrolle des Wolfsbestands notwendig

Auch im Interesse des Naturparks Altmühltal und der mühsam geschaffenen Marke „Altmühltaler Lamm“, die Landschaftspflege und Biodiversität garantiere, sei die Kontrolle des Wolfsbestandes zwingend notwendig.

Schafhalter Josef Heindl hat der Verlust des Mutterschafs weit mehr getroffen als der erste Riss eines Schafbocks im Januar. „Aufgeben oder mit den Tieren sterben“, steht für ihn nun im Raum, denn „meist stirbt das wichtigste Tier“. Getroffen hat es das Leittier, das sich, wie er vermutet, vor die anderen Schafe stellte, um sie zu schützen. „Es war so gestrickt: Lieber gehe ich, bevor den anderen was passiert“, erzählt er mit belegter Stimme. Heindl hatte den Zaun nach dem Riss im Januar um eine Litze erhöht, trotzdem wurde er wohl übersprungen. Oder der Beutegreifer schlüpfte unter der untersten Litze durch. „30 bis 35 Zentimeter ist zu hoch, es müssten 20 Zentimeter sein“, sagt Fink. Ab 1. Januar 2024 werde die Vorschrift umgesetzt, sodass dann in Schadensausgleichgebieten kein Schadenersatz mehr gezahlt werde, wenn die Zaunhöhen nicht passen. „Die wollen nur nicht zahlen“, setzt Heindl dagegen, der schon bei der aktuellen Höhe kaum noch mit Mähen nachkommt, um den Elektrozaun von Gras freizuhalten.

Ein Drittel der Schafherde verloren

In Meilenhofen hat Schafhalter Helmut Ettenreich durch den Riss der sechs Schafe ein Drittel seiner Herde eingebüßt. Auch er muss damit rechnen, keine Entschädigung zu bekommen, weil seine Schafweide nur an drei Seiten von einem Elektrozaun umgeben war. Die vierte wurde von einem Graben begrenzt, der von den Schafen 30 Jahre lang nicht überquert wurde, für die Wölfin aber natürlich kein Hindernis war. Circa 35 Kilogramm Fleisch wurden gleich auf der Wiese verspeist, von zwei Schafen war kaum mehr als Gerippe, Fell, Kopf, Hals und Magen-Darm-Trakt übrig. Für Tobias Gensberger, Jäger und Bürgermeister von Bergheim, ist das ein Hinweis auf den wachsenden Appetit des Rudels. „Jetzt ist genau das eingetroffen, was wir zu Jahresbeginn schon vorhergesagt haben“, sagt er, „die Vegetation geht zurück, die Rehkitze sind schon größer und keine einfache leichte Beute mehr – jetzt braucht der Wolf Masse für seine Welpen“. Er fordert, die dicht besiedelte Region 10 müsse wolfsfrei werden, zumindest von solchen, die Nutztiere töten.

Waldkindergarten nur 400 Meter entfernt

Jagdvorsteher Josef Pfaffel, Attenfeld, macht auf den geplanten, nur 400 Meter Luftlinie entfernten Waldkindergarten aufmerksam – somit seien auch Nichtlandwirte betroffen. Wie ein Lauffeuer hatte sich der Vorfall in Meilenhofen herumgesprochen. Drei junge Mädchen kamen am frühen Abend an die Schafweide. Die 16-jährige Laura erzählte, ihre Mutter jogge regelmäßig und habe schon öfter Wölfe gesehen. Sie selbst werde sich wohl nicht mehr zu Fuß allein in den Wald trauen. „Es ist schon gruselig, wenn es so nah bei einem selbst ist“, ergänzte die 15-jährige Luisa.

„Armes Deutschland, dass wir uns von der EU sagen lassen, dass wir hier bei uns Wölfe haben müssen“, meinte Jagdvorsteher Ludwig Stark aus Meilenhofen, „aber wenn es die öffentliche Meinung ist, dann können wir nichts tun.“ Wahrscheinlich müsse erst noch mehr passieren, vielleicht ein Kind betroffen sein, fügte er bitter hinzu.

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