München Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) hat sich in der Debatte um einen Wolf in Oberbayern für eine Entnahme ausgesprochen – und damit eine Diskussion ausgelöst. Ein einzelner männlicher Wolf hatte im Dezember mehrere Tiere in den oberbayerischen Landkreisen Berchtesgadener Land, Rosenheim und Traunstein gerissen. Das ergaben Genanalysen des Landesamtes für Umwelt (LfU).
Kaniber sagte dem Wochenblatt, dass ihrer Meinung nach bei dem übergriffigen Wolf „die Voraussetzungen für eine Entnahme erfüllt“ seien. Es müsse auch „die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Blick behalten werden. Zuvor hatte sich auch BBV-Umweltpräsident Stefan Köhler für eine schnelle Entscheidung über den vom Traunsteiner Landrat Siegfried Walch (CSU) gestellten Entnahmeantrag ausgesprochen.
Die Aussagen von Kaniber lösten eine Debatte über den Umgang mit dem Problemwolf aus. Der Landesbund für Vogelschutz (LBV) nahm am Donnerstag die Ministerin unter Beschuss. Der bayerische Aktionsplan Wolf müsse bei der Entscheidungsfindung über den Problemwolf „unter allen Umständen eingehalten werden“, teilte der LBV mit - und übte Kritik an der Landwirtschaftsministerin. Zwar schließe der Bayerische Aktionsplan Wolf den Abschuss eines Tieres nicht ausdrücklich aus, doch im vorliegenden Fall seien die Kriterien nicht erfüllt, sagte der LBV-Vorsitzende Dr. Norbert Schäffer.
Nach den bisher bekannten Informationen seien laut LBV in allen Fällen weder Menschen gefährdet, noch waren die gerissenen Tiere konsequent mit einem wolfsabweisenden Zaun geschützt. Die Expertenkommission Wolf am Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) sei demnach, wie der LBV schreibt, in mindestens drei Fällen zum Ergebnis gelangt, dass die Tiere zumutbar gezäunt hätten werden können und die mangelnde Ausführung der Zäunung ein leichtes Eindringen des Wolfes ermöglich habe. „Gegen eine politische Aufweichung des Aktionsplan Wolf wehren wir uns vehement“, teilte Schäffer in einer Pressemitteilung mit. Der LBV forderte von der Landwirtschaftsministerin zudem eine sofortige Verstärkung geeigneter Beratungsangebote für Weidetierhalter und ein deutlich intensiveres Wolfsmonitoring in den betroffenen Gebieten.
Landwirtschaftsministerin Kaniber hatte gefordert, dass es es eine „klare Entscheidung“ über den vom Traunsteiner Landrat Siegfried Walch (CSU) gestellten Entnahmeantrag brauche. Von dem Wolf, der bereits für eine Vielzahl an Rissen verantwortlich sei, gehe ein Gefahrenpotenzial aus. Es müsse vor allem aber auch „die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Blick behalten werden, so die Ministerin.
Vorwürfe gegen die Ministerin
Bund Naturschutz und WWF kritisierten Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber ebenfalls. Moritz Klose, Programmleiter Wildtiere von WWF, sprach von einem „höchst fragwürdigen“ Vorstoß der Ministerin. „Weder die rechtlichen noch die fachlichen Grundlagen für einen Abschuss sind erfüllt. Hier soll ein Wolf zum Bauernopfer gemacht werden, weil Bayern es versäumt hat, Landwirte frühzeitig und umfassend beim Schutz ihrer Weidetiere zu unterstützen.“ Ministerin Kaniber schüre Ängste, sagte Klose, „um von den Versäumnissen ihrer eigenen Arbeit abzulenken“. Sollte der Problemwolf in Oberbayern tatsächlich zum Abschuss freigegeben werden, müssten vermutlich Gerichte überprüfen, ob ein Abschuss dieses Wolfes im Einklang mit europäischem Recht und Bundesrecht sei.
Selbst der Koalitionspartner der CSU, die Freien Wählern, übten leise Kritik. Ein Wolf müsse entnommen werden dürfen, wenn er massive Probleme verursacht, forderte FW-Fraktionschef Florian Streibl in einer Pressemitteilung. Gescheitert seien die Freien Wähler hierbei allerdings bisher am Widerstand des Koalitionspartners, heißt es dazu von Streibl. „Und jetzt macht man es sich leicht und fordert den schnellen Abschuss des Wolfes. Den Worten hätten schon lange Taten folgen müssen.“ Für eine Entnahme eines Wolfes gebe es strenge Voraussetzungen, stellt auch Streibl fest.
Der BBV fordert indes, dass der Aktionsplan Wolf evaluiert werden muss, „um im Frühjahr 2022 noch vor der neuen Weidesaison ganz klare Vorgehensweisen und Leitpläne zu erarbeiten“. BBV-Umweltpräsident Stefan Köhler sagte kurz nach Bekanntwerden der Ergebnisse der Genanalyse gegenüber dem Wochenblatt: „Wenn man einen Problemwolf hat, muss auch entschieden gehandelt werden. Diskutiert wurde bisher ja genug.“ Es brauche nun eine Vergrämung oder notfalls eine Entnahme des Problemtieres.
Sorge um die Zukunft der Weidewirtschaft
Eine Entnahme fordert auch der Almwirtschaftliche Verein Oberbayern (AVO). In einer Mitteilung sorgte sich der Verein um „die generelle Zukunft der Alm- und Weidewirtschaft, wenn weiterhin so wenig von Behörden und Politik unternommen wird, um auffälligen Wölfen etwas entgegenzusetzen“. Es sei Zeit zu handeln, wenn es die Staatsregierung mit dem Bayerischen Aktionsplan Wolf tatsächlich ernst meine, teilte der Verein mit. In dem Aktionsplan heißt es auf Seite 16: „Das Auftreten von Wölfen darf nicht dazu führen, dass ausgeübte und nachhaltige traditionelle Haltungsformen regional aufgegeben werden müssen.“ Hierauf beruft sich der AVO und hat nach eigenen Angaben, als die genetischen Nachweise des LfU einen einzelnen Wolf als Verursacher bestätigt haben, am 11. Januar 2022 einen Antrag auf Entnahme des Wolfsrüden GW 2425m gestellt.
Es würden genügend rechtliche Grundlagen für die Entnahme dieses Wolfen vorliegen. Unter anderem argumentiert der AVO, dass es sich um einen Wolf mit atypischem Verhalten handeln würde, denn sämtliche Übergriffe und Sichtungen hätten sich in Siedlungsnähe ereignet. Um die Scheu vor dem Menschen aufrecht zu erhalten, müssten solche Tiere baldmöglichst entnommen werden, damit dieses Verhalten nicht weitervererbt werden kann, fordert der AVO. Da für die Schafe die bevorstehende Weidesaison im Tal bereits im März beginnt, drängt der Verein auf eine zügige Entscheidung. Es gehe auch darum, „den Tierhaltern eine Perspektive aufzuzeigen, damit sie auch weiterhin Tierhalter bleiben können, um unsere schützenswerte Kulturlandschaft im oberbayerischen Alpenvorland zu erhalten“, wie es in einer Mitteilung des Vereins heißt.
Wann über den Entnahmeantrag entschieden wird, ist aber weiterhin offen. Die Regierung von Oberbayern teilte lediglich mit, dass „zügig“ an einer Entscheidung gearbeitet werde.