Das ist ein Artikel vom Top-Thema:

Wolfsmanagement

Wolf-Debatte mit Söder: Landwirte beklagen pure Existenzangst

In Bayern wieder heimisch: In Oberbayern leben nach Angaben des Landesamtes für Umwelt drei Wölfe. Im gesamten Freistaat sind mindestens 23 standorttreue Tiere dokumentiert. Die Zahl steigt seit Jahren an.
Philipp Seitz
Philipp Seitz
am Mittwoch, 19.04.2023 - 16:39

Beim Landfrauentag in Mittenwald wird Ministerpräsident Söder mit Bildern von gerissenen Tieren konfrontiert. Eine Bäuerin lässt ihren Gefühlen freien Lauf.

Mittenwald/Lks. Garmisch-Partenkirchen - Alle haben Angst. Mit drastischen Worten beschreibt Klaus Solleder die Situation im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Solleder engagiert sich als BBV-Kreisobmann – und spricht von einer „katastrophalen Situation“. Beinahe täglich gebe es im Landkreis Garmisch-Partenkirchen Wolfsrisse. Nicht nur die Landwirte sind besorgt. In Unterammergau lassen Eltern ihre Kinder nicht mehr allein in den Wald gehen, erzählt Solleder. Wie es weitergeht? Solleder seufzt und zuckt mit den Schultern. „Wir sind an einem Scheidepunkt. Es muss etwas passieren.“

Das Landesamt für Umwelt hat vor Ort drei Wölfe gezählt. Inzwischen habe sich die Situation so zugespitzt, dass viele Landwirte ihre Tiere nicht mehr austreiben. Einige Schafhalter spielen mit dem Gedanken, wegen des Wolfes aufzugeben. Seit sieben Jahren engagiert sich Solleder als Kreisobmann. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt er. „Im Vergleich zu dem, was bei uns aktuell los ist, war Bär Bruno harmlos.“

Wolf: Markus Söder mit Rissen konfrontiert

Beim Landfrauentag in Mittenwald (Lks. Garmisch-Partenkirchen) steht das Thema Wolf wieder einmal auf der Tagesordnung. Kurz zuvor gab es im Weiler Scherenau einen Wolfsriss. Die Aufnahme des gerissenen Tieres verbreiten sich in den sozialen Netzwerken. Kreisobmann Klaus Solleder lässt die Bilder auf eine Leinwand projizieren. Die Stimmung im Saal: Elektrisch aufgeladen. So bezeichnet es Landesbäuerin Christine Singer. Die grausamen Aufnahmen sieht auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Er ist als Ehrengast zum Landfrauentag gekommen.

Für Söder sei das sicherlich „ein besonderes Erlebnis gewesen“, sagt Singer. „Das war Emotionalität gepaart mit purer Existenzangst. Das hat er richtig gespürt.“ Bäuerin Maria Holl habe Söder schon beim Betreten des Saals das Leid der örtlichen Landwirte geklagt. Das sei so nicht geplant gewesen, erzählt Holl dem Wochenblatt. Doch kurz zuvor habe sie die Fotoaufnahmen vom gerissenen Rotwild auf ihr Handy bekommen. „Ich habe ihn dann sehr deutlich gemacht, was hier direkt vor unseren Haustüren abläuft.“ Der Ministerpräsident habe ihr versprochen, sich für ihr Anliegen einzusetzen.

Der Wolf verbreitet Angst und Schrecken

Holl reicht das aber nicht. Der Wolf verunsichere ganze Ortschaften. „Es gibt Leute, die sich am Abend nicht mehr trauen, spazieren zu gehen. Sie haben Angst vor dem Wolf“, klagt Holl. Die Bäuerin kümmert sich in Unterammergauer Weiler Scherenau um einen Bauernhof. Zudem betreibt sie ein Ferienhaus neben dem Bauernhof.

Nehmen den Wolf ins Visier: Ministerpräsident Markus Söder und dessen Stellvertreter Hubert Aiwanger.

Die Wolfsproblematik in Unterammergau wirke sich auch negativ auf den Tourismus aus. „Der Wolf sorgt nun mal für Angst.“ Jeden Tag sorge sie sich mit der Familie um ihre Milchkühe und Ziegen. Und auch die Bevölkerung werde immer mehr mit dem Wolfsproblem konfrontiert. „Die Menschen wachen jetzt immer mehr auf.“

Söder hat die Eindrücke mitgenommen. „Ich war letzte Woche erst in Mittenwald bei einem Besuch der Landfrauen“, berichtet er in der Staatskanzlei. „Der Wolf ist mittlerweile quasi auf dem Hofgelände.“ Das alarmiert die Bayernkoalition aus CSU und Freien Wählern. Bis Ende des Monats soll eine Verordnung stehen, um Problemwölfe schneller abschießen zu können.

Verhindert die neue Verordnung juristische Streitigkeiten, wie zuletzt beim oberbayerischen Problemwolf GW2425m? Das ist noch unklar. Der stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger spricht selbst davon, dass sich der Freistaat mit seiner Wolf-Verordnung auf „juristisch dünnem Eis“ bewege. Die Regierung von Oberbayern hatte im Januar vergangenen Jahres den Wolf zum Abschuss freigegeben, das Bayerische Verwaltungsgericht setzte allerdings die entsprechende Allgemeinverfügung außer Kraft. Zuvor legte unter anderem der Bund Naturschutz einen Eilantrag gegen die Allgemeinverfügung ein.

Dem Bundesumweltministerium liegt die geplante bayerische Wolf-Verordnung noch nicht vor, teilte eine Sprecherin dem Wochenblatt mit. Der Entwurf könne deshalb noch nicht bewertet werden. Das Wolfsmanagement über Länder-Verordnungen stelle aber keinen außergewöhnlichen Schritt dar. Dies sei auch bereits in anderen Bundesländern auf diesem Weg geregelt worden. Entscheidend sei, dass die Regelungen EU-konform sind, heißt es aus dem Umweltministerium. Söder erklärte, dass die Staatsregierung den Erhaltungsstatus des Wolfes als günstig ansehe. Das bedeutet, dass der Wolf nach Ansicht der Staatsregierung im Freistaat nicht mehr vom Aussterben bedroht ist.

Wolf: Bauernverband fordert von Söder einen Masterplan

Der Bayerische Bauernverband begrüßte den Schritt der Staatsregierung. Die Politik greife endlich die Forderungen der Bäuerinnen und Bauern auf, betont Umweltpräsident Stefan Köhler. Schon bei der Mahnwache im Oktober vergangenen Jahres habe der Verband unbürokratische und pragmatische Entscheidungsprozesse sowie einen Masterplan im Umgang mit Problemwölfen gefordert. „Obwohl uns der genaue Wortlaut der Verordnung nicht bekannt ist, werden wir alle Maßnahmen unterstützen, die unseren Weidetierhaltern helfen.“

Der Garmischer Landrat Anton Speer war schon Anfang des Jahres in die Offensive gegangen: Er beantragte, wie im Wochenblatt berichtet, die Entnahme von Wölfen in seinem Landkreis. „Wir müssen jetzt handeln, bevor etwas passiert“, begründete er im Kreistag seinen Schritt. Die Entscheidung der Staatsregierung, eine eigene Wolf-Verordnung bis zum Monatsende auf dem Weg zu bringen, begrüßt Speer: „Es ist in der Tat so, dass der Wolf gerade im nördlichen Teil des Landkreises Garmisch-Partenkirchen die Scheu verloren hat und durch die Dörfer streift“, sagte der Landrat unserer Zeitung. „Es muss jetzt schnellstmöglich gehandelt werden, denn sonst geht unsere Alm- und Weidewirtschaft zugrunde.“

Das sieht auch Kreisobmann Solleder so: Der Bestand der kleinstrukturierten Landwirtschaft im Landkreis Garmisch-Partenkirchen sei durch den Wolf in Gefahr. „Wenn der Wolf sich weiter so ausbreitet und ansiedelt, dann gibt es keine Alm- und Weidewirtschaft mehr. Wegen einer Art werden dann hunderte Arten aussterben.“ Das müsse auch den Umweltschützern klar werden.

Bayerische Landwirten setzen auf die Wolf-Verordnung

In dieselbe Kerbe schlägt BBV-Umweltpräsident Köhler: Er erwarte von den Umweltverbänden, dass sie anerkennen, „dass es in Bayern Gebiete gibt, in denen ein Herdenschutz nicht umsetzbar ist“. Solleder setzt auf die Kraft der Bilder von Wolfsrissen: „Mir tun diese Tiere unendlich leid. Der Wolf frisst seine Beute bei lebendigem Leib. Das ist ein unerträgliches Leid, dass die Tiere aushalten müssen. Wo bleibt denn da der Tierschutz?“ Die Aufnahmen hätten sicherlich auch dem Ministerpräsidenten bewegt, ist Solleder überzeugt. „Da wurde ihm richtig bewusst, was wir hier fast jeden Tag mitmachen.“

Maria Holl hofft, dass die Verordnung schnell die Probleme vor Ort löst. „Besser spät als nie. Der Wolf lässt sich zumindest nicht mehr so schnell eindämmen.“ Für sie steht fest: Die Angst vor dem Wolf wird noch lange bleiben.

* Pflichtfeld. Mit der Anmeldung für den Newsletter haben Sie den Hinweis auf die Datenschutzhinweise zur Kenntnis genommen. Sie erhalten den forstpraxis-Newsletter bis auf Widerruf. Sie können den Newsletter jederzeit über einen Link im Newsletter abbestellen.