Ein ganzer Thementag, überschrieben mit dem Titel „Soziale Landwirtschaft als Chance!“ – es war durchaus ein Statement, das der Maschinenring Oberland damit im Gasthof zur Post in Eberfing (Lks. Weilheim-Schongau) gesetzt hat. Wie man es auch nennen wollte – Workshop, Seminar oder Tagung- – war zweitrangig. Es ging um den Inhalt, um Zukunftsperspektiven für landwirtschaftliche Betriebe, die ihre Höfe diversifizieren und ihre Ressourcen um eine Facette um ein Standbein erweitern wollen. Dabei entpuppte sich die Soziale Landwirtschaft nicht nur als weiteres Standbein für landwirtschaftliche Betriebe, das zu deren langfristigen Erhalt beitragen kann, sondern auch als eine Bereicherung des Alltags auf den Höfen.
Großes Interesse an Sozialer Landwirtschaft
„Anscheinend ist das Thema wirklich spannend und interessant“, konstatierte der MR-Oberland-Vorsitzende Stephan Palkowitsch mit Blick ins Publikum. Über fünfzig Zuhörerinnen und Zuhörer waren gekommen. Allen Beteiligten attestierte er „unglaublich viel Herzblut“, auch denen, die hinter den Kulissen wirkten, um diesen Tag zu organisieren.
Dann wandte Palkowitsch seinen Blick auf die landwirtschaftlichen Betriebe. Auf Höfen, sagte er, gehöre etwas zurück, was immer da war, etwas, „das mehr als nur produzieren“ ist. Was dieses Etwas ist, offenbarte sich bei einem einstündigen Podiumsgesprächs mit Landwirtinnen und Landwirten, die bereits Projekte der Sozialen Landwirtschaft umgesetzt haben.
Bäuerinnen und Bauern geben Einblick in ihre Arbeit
Die Moderation übernahm Angela Braun vom Bayerischen Rundfunk. „Ich habe noch nie so viele Frauen auf dem Podium gehabt“, freute sie sich. „Eine sehr, sehr spannende Runde.“ Mit dabei war Anni Hindelang, laut Braun eine „Pionierin“ in der Sozialen Landwirtschaft. Ihren Hoimahof in Schöffau (Lks. Garmisch-Partenkirchen) können Menschen mit und ohne Demenz seit 2020 tageweise erleben – samt sechzig Kühen und „fast drei aktiven Bewirtschafter-Generationen“. Anna Bogner ist auf einem Biobetrieb aufgewachsen und ermöglicht auf einer Alm am Tegernsee Kindern, die „alle ihr Päckchen zu tragen haben“, heilsame Freizeit, Kontakt mit Tieren und der Natur. „Das belebt auch die Almwirtschaft belebe, sagte sie.
Sigrid von Schroetter von der Nachbarschaftshilfe Seeshaupt war auch dabei und berichtete, wie man die Tagespflege „Tiefental“ vor zwölf Jahren aus dem Boden stampfte, die seither auch Gäste aus den umliegenden Gemeinden und Städten gewinnen konnte. Julia Freisl hat auf ihrem Hof, der Jaudenmühle in Habach, einen Waldkindergarten realisiert. Mit Freundinnen hat sie einst einen Verein gegründet, heute Träger des Kindergartens mit 18 Plätzen, die „ratzfatz voll“ gewesen seien. Auch Doris Kettner von der Alzheimer Gesellschaft Lechrain war mit auf der Bühne und der Umstellungsbegleiter Nikolaus Teixeira, der Landwirte berät, die in die Soziale Landwirtschaft einsteigen möchten.
Strukturiertes Konzept nötig
Die erste Frage, die die Moderatorin dem Podium stellte: Warum holt man sich mit Sozialer Landwirtschaft eigentlich eine weitere große Aufgabe auf den Hof? So groß scheint diese Aufgabe aber nicht unbedingt zu sein. Es brauche ein strukturiertes Konzept, aber „da braucht man sich jetzt keine Sorgen machen, dass man auch noch Pfleger wird“, erklärte Taxeira. Kooperationspartner seien wichtig, betonte Annie Hindelang, und von Hofseite einfach „die Bereitschaft“. Sie selbst sei dann in alles Weitere reingewachsen.
Die Finanzen im Blick
Das Finanzielle stellt für Anna Bogners Almfreizeit „fast keine Herausforderung“ dar, meinte sie. Sie kann feste Tagessätze verlangen und sie gibt auch offen zu, dass die Angebote sich für sie auch finanziell lohnen müssen. „Früher hat man gesagt: Was nichts kostet ist nichts wert“, zitierte die Hauswirtschaftsmeisterin ein altes Sprichwort. Abgesehen davon: Wenn man wisse, dass der Tag sich lohne, gehe man schon ganz anders an die Sache ran. Auch Förderungen gibt es, insbesondere für Pflegebauernhöfe. Darauf ging Umstellungsberater Teixeira ein. Zugleich gestand er, dass es „ein Dschungel von Fördermaßnahmen“ sei. „Da muss man sich schon auskennen oder man braucht Glück. Ich glaube, man braucht Glück.“
Mit Demenz umgehen
Demenz und Landwirtschaft, das sind keineswegs zwei getrennte Welten. Schließlich können auch Landwirte und deren Angehörige an Demenz erkranken. „Auch sie müssen mit dem Thema fertig werden“, sagte Doris Kettner von der Alzheimer Gesellschaft Lechrain.
Einer, der damit fertig werden musste, ist Johann Engel. Auf dem Podium erzählte er aus der Zeit, als er seinen Vater zuhause pflegte. Er habe ihn nicht „verpflanzen“ wollen, teilte sich sogar ein Doppelbett mit seinem Vater. In der Zeit nach der Pflege sei die Belastung aber nicht verschwunden. Engel erzählte, er sei r in ein Loch gefallen. Soziale Landwirtschaft, das sei „a ganz gute Idee“, schloss er.
Natürlich gehören auch Landwirte zur Klientel Sozialer Landwirtschaft, betonte Sigrid von Schroetter. Sie gab Einblicke in den Alltag der Tagespflege „Tiefental“. Zur Weihnachtszeit hätten sie künstliche Christbaumkerzen eingeschaltet. Eine Bäuerin habe nicht schlafen können. Irgendwann kam man der Ursache auf die Spur: Eine Landwirtin schlafe nicht, wenn Kerzen brennen.
Hürden überwinden und am Ball bleiben
Die Moderatorin Eva Braun holte ein paar Stimmen aus dem Publikum ein. Eine davon war Ursula Fiechtner, Kreisbäuerin von Bad Tölz-Wolfratshausen. Sie setzt auf ihrem Hof in Rothenrain ein Angebot für Demenzkranke und deren Angehörige in Kooperation mit der Kontaktstelle „Alt und Selbstständig“ sowie dem Seniorenbeirat um (s. Wochenblatt Nr 51/2022). So ein Projekt müsse langsam wachsen, sagte sie. Im Kreisverband werde sie von den traditionell eingestellten Landwirten manchmal belächelt für ihr Demenzprojekt. Aber das müsse man durchstehen, so Fiechtner.
Von „ganz großen Hürden, finanziell und bürokratisch“ berichtete Georg Rudolf von Erfahrungen, die er mit der Sozialen Landwirtschaft gemacht hat. Inzwischen gibt es Anlaufstellen, berichtete Teixeira. Schließlich solle bei Landwirtinnen und Landwirten das Gefühl aufkommen, „dass ich was richtig mache, nicht, dass ich was komisch mache“.
Nachfrage von beiden Seiten wächst
„Soziale Landwirtschaft gibt es schon länger“, sagte Theresia Nüßlein von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Doch immer noch stechen nur „einzelne Pioniere“ heraus, Es wäre schön, „wenn man aus dem Einzelprojekt-Status ein bisschen rauskommt“, wünschte sie sich. Dass die Nachfrage von beiden Seiten – von Landwirtschaft und Gesellschaft – wächst, weiß Nüßlein, die am LfL zur Sozialen Landwirtschaft berät.
Tipps von den Profis
Vom Podium ging es anschließend herunter – auf Augenhöhe mit dem Publikum. In einzelnen Gruppen wurden die Projekte nun vertieft vorgestellt. Es gab Gelegenheit, sich über einzelne Aspekte zu informieren und Tipps einzuholen, etwa über den Umgang mit Behören. So erzählte Julia Freisl, ihren Waldkindergarten auf dem Areal der Jaudenmühle habe man ohne „Riesenaufwand“ umsetzen können. Der bürokratische Aufwand aber, der sei groß gewesen. Nikolaus Teixeira sprach über Pflegebauernhöfe und seine Unterstützung bei deren Realisierung. Drei davon sind ihm bisher in Bayern bekannt. Jede Gruppe bekam eine Flipchart, auf der die wichtigsten Punkte notiert werden konnten, was es braucht, um solche Projekte auf den Weg zu bringen – und raus aus dem Soloprojekt-Status zu kommen.