Klingsmoos - Ludwig Rieß war der Zeit voraus, er hat schon 1992 einen Laufstall anstelle des früheren Anbindestalls für seine Milchkühe gebaut. Als letzte Milchviehhalter in Klingsmoos im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen haben Ehefrau Roswitha und er bis vor Kurzem durchgehalten. Doch jetzt ist Schluss auf dem Rieß-Hof – nach 96 Jahren, in denen es nach seiner Recherche, wie Ludwig Rieß sagt, ununterbrochen Milchkühe auf dem Hof gegeben hat.
Eigentlich hätte das Ehepaar Rieß die Familientradition gerne 100 Jahre aufrechterhalten. „Aber was nützt es, wenn wir noch vier Jahre Kühe haben und ich körperlich kaputt bin?“, erklärt Ludwig Rieß die Entscheidung für Kreuz und Knie – und gegen die Kühe.

Eine Entscheidung, die den beiden keineswegs leichtgefallen ist, was sie mit dem sprichwörtlichen „lachenden und weinenden Auge“ umschreiben. Lachend, da sie an Freiheit gewonnen haben, weil Urlaub nun leichter ist und sie nicht täglich pünktlich zur Melkzeit daheim sein müssen. Und weinend, weil so ein Schritt natürlich nie leichtfällt.
Seit Jahresbeginn hat die Familie Kühe, die abgekalbt haben, nicht mehr besamen lassen und die Anzahl der Kühe sukzessive reduziert. Ende Januar gaben sie die letzten zehn Kühe dann zum Schlachter. „Tränen sind noch keine geflossen“, sagt Roswitha Rieß. „Aber ich schaue immer wieder auf die Uhr, wenn es Zeit zum Futtermachen wäre.“ Und natürlich wird sie wehmütig beim Blick in den leeren Stall. „Jetzt werde ich mal damit anfangen, ihn auszuräumen“, sagt sie. Mit dem Ausmisten, dem letzten Mal, ließ sich die Bäuerin Zeit.
Die Milchkammer wird zur Werkstatt
Jetzt steht Neues an: Fürs Daheimbleiben ohne Kühe fühlt sich Roswitha Rieß mit 54 Jahren zu jung, sie wird sich eine Teilzeitstelle suchen. Angebote hat die gelernte Industrieschneiderin schon mehrere. Zusammen mit dem Einkommen von Ludwig Rieß, hauptberuflich schon seit 1992 Polier und Baggerfahrer, wird es reichen. Der leere Stall wird nächstens zur Maschinenhalle umfunktioniert, die Milchkammer zur Werkstatt. Das Leben geht weiter.

Klingsmoos ist mit aktuell 1421 Einwohnern der größte Ortsteil der ländlich geprägten Gemeinde Königsmoos. Mitte der 60er Jahre, so hat Ludwig Rieß recherchiert, gab es hier circa 85 Milchviehbetriebe, Mitte der 80er Jahre immerhin noch 45. Nachdem mit ihnen nun die letzten aufgehört hat, gibt es nur noch zwei, drei Betriebe in Klingsmoos, die Kühe haben, alle mit Mutterkuhhaltung.
Ludwig und Roswitha Rieß sind die dritte Generation Milchviehhalter auf dem Hof. Was in anderen Regionen eine eher kurze Zeitspanne ist, bedeutet im erst 1828 besiedelten Klingsmoos immerhin die halbe Ortsgeschichte. Das Donaumoos wurde erst Ende des 18. Jahrhunderts trockengelegt. Gegründet wurde der Hof von Ludwig Rieß’ Großeltern. Er war der nachgeborene Sohn des Ludwigsmooser Landwirts Valentin Rieß und der Lehrerstochter Juliana Zeller. Sie brachte als Heiratsgut ein Grundstück mit in die Ehe.
Die beiden wohnten in Klingsmoos zunächst zur Miete. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie mit Torfeisen und Nähmaschine. Er handelte mit Torf, den er nach Norddeutschland verkaufte, sie arbeitete als Störnäherin. Trotzdem gelang es ihnen, ein erstes Feld zu kaufen. Ihr Heiratsgut tauschten sie gegen den an jenes Feld angrenzenden Bauplatz und bauten dort den Hof, wo er heute noch steht.
Die ersten Tiere waren eine Ziege und eine Kuh. „Meine Großmutter musste die Kuh überlisten, denn die trank das Moorwasser anfangs nicht, sondern brüllte vor Durst“, plaudert Ludwig Rieß aus der Familiengeschichte. Sie mischte dem Tier Leinmehl ins Wasser, um den Geschmack des brackigen Moorwassers zu übertünchen. Mit der Zeit reduzierte sie das Leinmehl dann sukzessive, bis sich die Kuh an das Wasser gewöhnt hatte und es auch pur trank.
Ludwig Rieß‘ Vater Friedrich und seine Ehefrau Rosalia übernahmen den Hof anno 1953 und erbauten zunächst ein neues Wohnhaus, dann 1961 einen Anbindestall für zehn Milchkühe und fünf Nachzuchttiere. „Damals fragten sie meinen Vater in der Wirtschaft, ob er jetzt größenwahnsinnig geworden ist“, erinnert sich Ludwig Rieß lachend. Wie die Großeltern kauften auch die Eltern Land zu.
Kartoffeln nur einige Jahre angebaut
Als sie 1986 den Hof an Sohn Ludwig übergaben, bewirtschafteten sie 24 Tagwerk eigenes Land und hatten 25 Tagwerk zugepachtet. Neben 16 Kühen und ihrer Nachzucht gab es damals zwei Mastschweine und eine Schar Hühner auf dem Hof. Die Hälfte der Flächen waren Wiesen, auf dem Rest wurden Roggen, Mais und Kartoffeln angebaut. Kartoffeln allerdings nur einige Jahre, Ludwig sei kein Kartoffelbauer gewesen, merkt Roswitha lächelnd an.

Sie stammt ebenfalls aus einer Landwirtschaft. „Ich hab immer gesagt, einen Bauern heirate ich nie, so blöd wie meine Mutter bin ich nicht“, erzählt sie und lacht. Mit 17 Jahren besuchte sie dann das damalige Trendlokal „Octagon“ in Karlshuld mit einer Freundin und sah ihren Ludwig zum ersten Mal. „Da war es um mich geschehen“, verrät sie. Am 16. Mai 1987 heirateten die beiden kirchlich und am 17. Mai lag ein neugeborenes Kalb im Stall. Ein gutes Omen, das sich im Mai 2014 wiederholte, als Tochter Anita (32) standesamtlich heiratete, wie die mittlerweile zweifache Großmutter erzählt.
Vom Tag ihrer Hochzeit an war das Melken ihre Aufgabe, weil ihre Schwiegermutter mit der modernen Absaugmelkanlage nicht zurechtkam und der frischgebackene Ehemann froh war, die Arbeit abgeben zu können. Erfahrung im Melken hatte Roswitha Rieß nicht mitgebracht, sie wurde einfach eingewiesen und auch Bulldogfahren lernte sie erst nach der Heirat.
Sechs Jahre lang betrieb Ludwig Rieß den Hof im Haupterwerb, arbeitete nebenbei beim Maschinenring. 1992 begann der Trend zum Laufstall und der Klingsmooser sprang auf den Zug auf. „Ludwig war schon immer moderner eingestellt“, sagt Roswitha Rieß, „er war auch einer der ersten mit Rundballenpresse“. 29 Kühe und 6 bis 7 Jungtiere fanden im neuen Laufstall mit Doppeldreier-Melkstand Platz – das war der Höchststand. Bis im Jahr 2000 ein herber Rückschlag folgte, als eine Schlachtkuh BSE-positiv getestet worden war und alle Tiere im Stall gekeult werden mussten. „Am schlimmsten war es, als das kleine, erst fünf Wochen alte Kalb abgeholt wurde“, erinnert sich der 60-Jährige.
Schon Wetten abgeschlossen
Beinahe wäre damals schon Schluss mit dem Milchvieh gewesen. Roswitha Rieß ging sechs Wochen lang arbeiten. „Im Landwirtschaftsamt wurden schon Wetten abgeschlossen, ob ich weiterarbeite oder doch bei den Kühen bleibe“, erzählt sie. Die Arbeit außer Haus habe ihr schon gefallen, aber die Kinder waren noch jung und alle miteinander waren es gewöhnt, dass die Mutter zu Hause war.

„Und plötzlich war sie weg. Für Kinder in der sechsten oder siebten Klasse ist es nicht gut, wenn die Regierung nicht da ist“, meint Ludwig Rieß schmunzelnd. Also rief er beim Zuchtverband an und so kamen über den Zuchtviehmarkt wieder Jungkühe auf den Hof. Mehr als 18 Kühe gleichzeitig wurden es von nun an nicht mehr, stattdessen legte die Familie bei den Tieren mehr Wert auf Leistung als auf Masse. Mit der Zeit wurde das Land um weitere 9 Tagwerk auf nun 11 ha plus 6 ha Pacht aufgestockt. 4 ha davon bewirtschaftet Hoferbe Matthias bereits in Eigenregie nach einer Betriebsteilung. Den größeren Teil bewirtschaften die Eltern bis zum Ruhestand – im Ackerbau.
Wie Ludwig Rieß die Zukunft der Landwirtschaft im Donaumoos sieht? „Eher düster“, meint er. Er könne sich nur vorstellen, dass die konventionelle Landwirtschaft immer weiter zurückgefahren und Landschaftspflege an Gewicht zunehmen wird. Vollerwerb werde so extrem schwierig, ein weiteres Problem seien die steigenden Pachtpreise. Immer mehr Landwirte nehmen von der Viehhaltung ganz Abschied. Im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen gab es 2007 noch 612 Betriebe mit Kühen. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 219. „Mit den Kindern haben wir einen neuen Stall gebaut, mit den Enkeln hören wir auf“, sinniert Roswitha Reiß, leicht wehmütig.