Das ist ein Artikel vom Top-Thema:

Tierhaltung

Neues Tierarzneimittelgesetz: Viel Papier, viele Fragen

Mehr Papierkram für den Tierarzt: Auch Milchvieh fällt seit Jahresbeginn unter die Dokumentationspflicht in der Antibiotika-Datenbank.
Dr. Andrea Hammerl
am Donnerstag, 26.01.2023 - 09:53

Seit 1. Januar ist die Änderung des Tierarzneimittelgesetzes in Kraft und bereitet Tierhaltern schlaflose Nächte. Der BBV Oberbayern brachte mit einem Vortrag Licht ins Dunkel. Fazit: Es wird heller, aber nicht ganz...

Was kommt auf die Tierhalter mit der Änderung des Tierarzneimittelgesetzes zu (TAMG) zu? Dazu sind in den vergangenen Wochen so viele Anfragen bei der Hauptgeschäftsstelle des BBV-Bezirksverbands Oberbayern eingegangen, dass der Entschluss für eine eigene Veranstaltung zu diesem komplexen Thema fiel. Eingeladen waren alle Kreisobmänner und Kreisbäuerinnen, deren Stellvertretungen und die Geschäftsstellenleiter, die ihr Wissen anschließend weiter in die Kreisverbände tragen können.

Wie groß der Informationsbedarf ist, zeigte am Vortag, am Dienstag vergangener Woche, bereits ein Vortrag auf Landesebene sowie ein ebenfalls sehr gut besuchter Infoabend, den der Kreisverband Mühldorf organisiert hatte. Für Mittwochnachmittag angesetzt war dann im Rahmen einer Onlineveranstaltung der Vortrag, zu dem Bezirksdirektor Martin Wunderlich eingeladen hatte. Die große Nachfrage erklärt er sich mit der im Vergleich hohen Zahl der tierhaltenden Betriebe in Oberbayern. „Das Informationsinteresse war bei uns schon sehr hoch“, so Wunderlich.

Daten zur Antibiotikaanwendung

Antwort auf alle Fragen zum Gesamtpaket „Tierarzneimittelgesetz, Antibiotika, Aufzeichnungspflichten“ erhielten die Zuhörer von Natascha Henze, Referentin für Tierhaltung und Tiergesundheit des Bauernverbandes.

Vor drei Jahren hatte die EU ihre Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, Daten zu Verkaufsvolumen und Antibiotikaanwendung bei Tieren zu erheben. Damit die Daten von Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten im Jahr 2024 an die Europäische Arzneimittel Agentur (EMA) gemeldet werden können, müssen sie heuer bereits erhoben werden.

Meldepflicht kommt für sämtliche Tierarten

Weitere lebensmittelliefernde Tiere wie Enten, Gänse, Schafe, Ziegen, Fische, Pferde und Kaninchen folgen im Jahr 2027. Hunde, Katzen und Pelztiere europaweit ab 2030, in Deutschland jedoch national vorgezogen bereits 2026. Das bedeutet, dass die Daten 2026 beziehungsweise 2025 erhoben werden müssen. Masttiere wurden bereits in der staatlichen Antibiotika-Datenbank erfasst, ab heuer betrifft das auch Milchkühe und Kälber, Sauen und Ferkel sowie Jung-und Legehennen.

Neu ist ein Gewichtungsfaktor für sogenannte kritische Antibiotika, worunter Fluorochinolone, Colistin und Cephalosporine der dritten und vierten Generation fallen. Neu ist auch, dass die Meldepflicht vom Landwirt auf den Tierarzt übertragen wird. Veterinärämter werden verpflichtet, Anordnungen und Maßnahmen zu ergreifen, um den Antibiotikaeinsatz zu verringern. Kleinere Betriebe mit bis zu 25 Milchrindern ab der ersten Abkalbung oder 25 Kälbern bis zu einem Alter von zwölf Monaten fallen nicht unter die Antibiotika-Aufzeichnungspflicht.

Den 14. Juli rot im Kalender anstreichen

Für Schweine gelten Bestandsuntergrenzen von 250 Ferkel oder Mastschweinen oder 85 Zuchtsauen und Ebern zur Ferkelerzeugung. Die Bestandsuntergrenzen bei Hühnern liegen bei 10 000 Masthühnern ab Schlupf, 1000 Junghennen ab Schlupf oder 4000 Legehennen ab Einstellung, für Puten bei 1000 Mastputen ab Schlupf. Die Pflicht zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes gilt für Milchkühe, Mastkälber, Saugferkel, abgesetzte Ferkel, Mast- und Zuchtschweine, für Masthühner, Lege- und Junghennen sowie Mastputen.

Deren Halter sind verpflichtet, für jedes Halbjahr bis zum 14. des Folgemonats, also bis 14. Januar bzw. 14. Juli, die Zahl der zu Beginn des Halbjahres gehaltenen Tiere, die Zahl aufgenommener und abgegebener (einschließlich verendeter oder getöteter Tiere) mitzuteilen, sodass die durchschnittlich gehaltene Tierzahl je Nutzungsart berechnet werden kann. Erstmals verpflichtend ist die Bestandsmeldung zum 14. Juli. Wenn keine Antibiotika angewendet wurden, reicht eine (verpflichtend!) Nullmeldung.

Landwirt muss Tierbestand melden

Wurden Antibiotika im Erfassungshalbjahr eingesetzt, muss der Landwirt seinen Tierbestand samt Änderungen melden. Den Antibiotikaeinsatz meldet dagegen der Tierarzt. Aus dessen Daten werden die Behandlungs-Tier-Tage je Nutzungsart berechnet und an die zuständige Behörde gemeldet. Bei einmalig angewendeten Antibiotika mit einem Wirkstoffspiegel, der länger als 24 Stunden anhält, wird jeder Behandlungstag mit dem Faktor 5 multipliziert, bei den erwähnten kritischen Antibiotika mit dem Faktor 3.

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit errechnet für Nutzungsarten im Antibiotikaminimierungskonzept zwei Kennzahlen. Die bundesweite Kennzahl 1 (BZK I) entspricht dem Medianwert, das heißt jeweils 50 % der erfassten betrieblichen Therapiehäufigkeiten liegen unter beziehungsweise über diesem Wert. Die bundesweite Kennzahl 2 (BZK II) entspricht dem Wert, unter dem 75 % liegen.

Antibiotika in Tierhaltung bereits um 65 % reduziert

Betriebe, die zwischen BKZ I und II liegen, müssen einen Tierarzt hinzuziehen, um Ursachen und Reduktionsmöglichkeiten zu prüfen. Für die 25 % Betriebe, die über der BKZ II liegen, ist eine Tierärztliche Beratung verpflichtend, um einen Maßnahmenplan zu erstellen. „Geplant ist eine Weiterleitung über die HI-Tier“, erklärte Hinze, aktuell bestehe jedoch noch keine Verknüpfung.

Der BBV hat sich mit kritischen Stellungnahmen der Forderung, die Daten erst einmal auf Probe zu erheben, und der Forderung nach einer Übergangsfrist in den Prozess eingebracht. Konkret kritisiert der BBV, dass die weitere Verschärfung des TAMG vorgenommen wurde, obwohl bereits große Erfolge in der Nutztierhaltung erzielt und der Antibiotikaeinsatz um 65 % in zehn Jahren reduziert worden ist.

Reserveantibiotika sind beim Geflügel wichtig

Auch mit den Gewichtungsfaktoren für Reserveantibiotika ist der BBV nicht glücklich, zumal sie beim Geflügel eine große Rolle spielen, sodass hier laut Henze mit der Bestrafung von Tierhaltern zu rechnen sei. Einen Großtierpraktiker hinzuziehen zu müssen sei „schwer umsetzbar und nicht zielführend“, so Henze. Auch die Verpflichtung der Veterinärämter zum Erlass von Anordnungen und Maßnahmen sei fraglich. „Die deutsche Gesetzgebung soll EU-Recht eins zu eins umsetzen und nicht darüber hinausgehen“, forderte Henze.

„Wir haben im Vorfeld getan, was wir konnten“, sagt Martin Wunderlich. Nun sei das Gesetz beschlossen. „Jetzt muss eine praktikable Umsetzung gewährleistet werden, bei der natürlich auch die Tierärzte ihren Beitrag leisten müssen.“