Seit die Landeshauptstadt München 2011 Überlegungen für die Errichtung eines neuen Stadtviertels im Nordosten der Stadt bekannt gab, herrscht große Verunsicherung bei den Landwirten und Grundstücksbesitzern (Wochenblatt berichtete). Im Bereich von Johanneskirchen und Daglfing sollen auf 600 ha Wohnraum für 30 000 Menschen und 10 000 Arbeitsplätze entstehen – zur Not per Enteignung, so wie es die „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“ (SEM) erlaubt.
„Mit uns hat die Stadtverwaltung nie gesprochen. Wir haben alles aus der Presse erfahren“, sagt Landwirt Johann Oberfranz aus Daglfing. Sein Betrieb wäre von den Plänen der Stadt besonders hart betroffen. Oberfranz bewirtschaftet 90 ha Fläche, 20 ha davon im Planungsgebiet. Für seinen Kotterhof, erstmals erwähnt im Jahr 1305 und seit über 200 Jahren in Familienbesitz, wäre es das Ende.
Rundfahrt führte über fruchtbare Felder
In der Initiative „Heimatboden“, deren Sprecher Oberfranz ist, organisieren sich betroffene Landwirte und Grundstücksbesitzer. Sie reichten schon 2018 eine Petition mit dem Titel „Transparenz und Rechtsstaatlichkeit statt Damoklesschwert der SEM“ beim Landtag ein. Jetzt muss sich der Landtagsausschuss damit befassen und entscheiden. Auf Einladung von Oberfranz trafen sich am Montag die Mitglieder der Landtagsausschüsse „Petitionen“ und „Wohnen, Bau und Verkehr“, um sich auf einer Schlepper-Rundfahrt durch das SEM-Gebiet ein Bild zu machen.

„Wir wollen uns mit diesem Ortstermin informieren, Fragen klären und uns ein Bild machen, ob die betroffenen Grundstücke Bauerwartungs- oder Ackerland sind“, sagte der Ausschuss-Berichterstatter Josef Schmid (CSU) zur Begrüßung der zahlreich erschienenen Petenten. Mit dabei waren die Landtagsabgeordneten Dipl.-Ing. Sebastian Körber (FDP), Natascha Kohnen (SPD) sowie der örtliche Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper (CSU).
Immer wieder hielt das Schleppergespann an, Oberfranz erklärte die Situation und zeigte Probleme. Auf seinen Feldern baut der Landwirt Sommergerste für Münchner Brauereien, Raps, Winterweizen und Sojabohnen zur Tierfütterung an. Oberfranz sagte, er verstehe nicht, dass in unmittelbarer Nähe in Aschheim-Dornach im Lks. München Gewerbeflächen leer stünden, hier aber wertvolle landwirtschaftliche und für die Natur bedeutende Flächen neu versiegelt werden sollen.
Die Initiative Heimatboden wehrt sich vehement auch gegen die zweite SEM der Landeshauptstadt. Im Münchener Norden im Bereich Feldmoching sollen 900 ha überplant werden. Die eingereichte Petition umfasst beide SEM-Projekte der Stadt.
Grundstückspreis ist die Kernfrage
Nach Meinung von Josef Schmid ist der Grundstückspreis jetzt die entscheidende Kernfrage für die Grundstückseigentümer und für die Stadt. Bei der Rundfahrt kam auf, dass es seitens der Stadt schon 1994 erste Überlegungen für eine Bebauung des Gebietes gab. Bereits in den Jahren 2003 und 2006 gab es zahlreiche Gespräche über Wohnungsbau auf diesen Flächen im Stadtrat. Es fanden Untersuchungen und Gespräche statt, Planungen wurden durchgeführt. Das könnte relevant werden für die Frage, ob es sich hier eigentlich um Ackerland handelt, wie die Stadt die Flächen einpreist, oder um Bauerwartungsland.
„Vonseiten der Stadt wird versucht, die Richtwerte für die Grundstücke zu drücken“, erklärte der Rechtsanwalt Benno Ziegler, der die Initiative „Heimatboden“ vertritt. Mit Einleitung der SEM wurden die Grundstückspreise nach den Bodenrichtwerten mit 20 bis 30 €/qm für landwirtschaftliche Flächen eingefroren, um Grundstücksspekulationen zu verhindern. Doch genau das Gegenteil scheint passiert.
Beispielhaft zeigte Ziegler den Ausschussmitgliedern eine Ackerfläche, die mehrmals über Strohmänner verkauft worden war und zuletzt einen Preis von rund 250 €/m2 erzielte. Damit die anderen Landwirte sich nicht an diesem Preis für Ackerland orientieren können, sei die Fläche vom städtischen Gutachterausschuss kurzerhand als Freizeit- und Wochenendfläche in die Bodenrichtwertkarte übernommen worden.Wie sich jeder Rundfahrtteilnehmer überzeugen konnte, steht auf der Fläche immer noch Braugerste. Von Freizeitbetrieb kann keine Rede sein. „Das ist eine Trickserei, um Grundstückspreise zu verschleiern“, wirft der Fachanwalt für Verwaltungsrecht dem Gutachterausschuss vor.