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Ortstermin

Landwirte kämpfen um ihre Betriebe

Feld-Wohnbebauung
Ludwig Holly
am Donnerstag, 08.07.2021 - 16:19

Landwirte fürchten aufgrund eines geplanten SEM-Quartieres um ihre Existenz. Nun machten sich mehrere Abgeordnete in Daglfing ein Bild vor Ort.

Seit die Landeshauptstadt München 2011 Überlegungen für die Errichtung eines neuen Stadtviertels im Nordosten der Stadt bekannt gab, herrscht große Verunsicherung bei den Landwirten und Grundstücksbesitzern (Wochenblatt berichtete). Im Bereich von Johanneskirchen und Daglfing sollen auf 600 ha Wohnraum für 30 000 Menschen und 10 000 Arbeitsplätze entstehen – zur Not per Enteignung, so wie es die „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“ (SEM) erlaubt.

„Mit uns hat die Stadtverwaltung nie gesprochen. Wir haben alles aus der Presse erfahren“, sagt Landwirt Johann Oberfranz aus Daglfing. Sein Betrieb wäre von den Plänen der Stadt besonders hart betroffen. Oberfranz bewirtschaftet 90 ha Fläche, 20 ha davon im Planungsgebiet. Für seinen Kotterhof, erstmals erwähnt im Jahr 1305 und seit über 200 Jahren in Familienbesitz, wäre es das Ende.

Rundfahrt führte über fruchtbare Felder

In der Initiative „Heimatboden“, deren Sprecher Oberfranz ist, organisieren sich betroffene Landwirte und Grundstücksbesitzer. Sie reichten schon 2018 eine Petition mit dem Titel „Transparenz und Rechtsstaatlichkeit statt Damoklesschwert der SEM“ beim Landtag ein. Jetzt muss sich der Landtagsausschuss damit befassen und entscheiden. Auf Einladung von Oberfranz trafen sich am Montag die Mitglieder der Landtagsausschüsse „Petitionen“ und „Wohnen, Bau und Verkehr“, um sich auf einer Schlepper-Rundfahrt durch das SEM-Gebiet ein Bild zu machen.

Bebauungsplan

„Wir wollen uns mit diesem Ortstermin informieren, Fragen klären und uns ein Bild machen, ob die betroffenen Grundstücke Bauerwartungs- oder Ackerland sind“, sagte der Ausschuss-Berichterstatter Josef Schmid (CSU) zur Begrüßung der zahlreich erschienenen Petenten. Mit dabei waren die Landtagsabgeordneten Dipl.-Ing. Sebastian Körber (FDP), Natascha Kohnen (SPD) sowie der örtliche Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper (CSU).

Immer wieder hielt das Schleppergespann an, Oberfranz erklärte die Situation und zeigte Probleme. Auf seinen Feldern baut der Landwirt Sommergerste für Münchner Brauereien, Raps, Winterweizen und Sojabohnen zur Tierfütterung an. Oberfranz sagte, er verstehe nicht, dass in unmittelbarer Nähe in Aschheim-Dornach im Lks. München Gewerbeflächen leer stünden, hier aber wertvolle landwirtschaftliche und für die Natur bedeutende Flächen neu versiegelt werden sollen.

Die Initiative Heimatboden wehrt sich vehement auch gegen die zweite SEM der Landeshauptstadt. Im Münchener Norden im Bereich Feldmoching sollen 900 ha überplant werden. Die eingereichte Petition umfasst beide SEM-Projekte der Stadt.

Grundstückspreis ist die Kernfrage

Nach Meinung von Josef Schmid ist der Grundstückspreis jetzt die entscheidende Kernfrage für die Grundstückseigentümer und für die Stadt. Bei der Rundfahrt kam auf, dass es seitens der Stadt schon 1994 erste Überlegungen für eine Bebauung des Gebietes gab. Bereits in den Jahren 2003 und 2006 gab es zahlreiche Gespräche über Wohnungsbau auf diesen Flächen im Stadtrat. Es fanden Untersuchungen und Gespräche statt, Planungen wurden durchgeführt. Das könnte relevant werden für die Frage, ob es sich hier eigentlich um Ackerland handelt, wie die Stadt die Flächen einpreist, oder um Bauerwartungsland.

„Vonseiten der Stadt wird versucht, die Richtwerte für die Grundstücke zu drücken“, erklärte der Rechtsanwalt Benno Ziegler, der die Initiative „Heimatboden“ vertritt. Mit Einleitung der SEM wurden die Grundstückspreise nach den Bodenrichtwerten mit 20 bis 30 €/qm für landwirtschaftliche Flächen eingefroren, um Grundstücksspekulationen zu verhindern. Doch genau das Gegenteil scheint passiert.

Beispielhaft zeigte Ziegler den Ausschussmitgliedern eine Ackerfläche, die mehrmals über Strohmänner verkauft worden war und zuletzt einen Preis von rund 250 €/m2 erzielte. Damit die anderen Landwirte sich nicht an diesem Preis für Ackerland orientieren können, sei die Fläche vom städtischen Gutachterausschuss kurzerhand als Freizeit- und Wochenendfläche in die Bodenrichtwertkarte übernommen worden.Wie sich jeder Rundfahrtteilnehmer überzeugen konnte, steht auf der Fläche immer noch Braugerste. Von Freizeitbetrieb kann keine Rede sein. „Das ist eine Trickserei, um Grundstückspreise zu verschleiern“, wirft der Fachanwalt für Verwaltungsrecht dem Gutachterausschuss vor.

Oberfranz wies auch auf eine Ackerfläche hin, welche die Stadt 1980 zu einem Preis kaufte, der über dem heutigen Bodenrichtwert liegt. „Das zeigt, dass eine Bebauung schon damals in Betracht gezogen wurde“, sagte er. „Ich habe bisher nichts verkauft und ich will auch in Zukunft nichts verkaufen. Wir wollen unsere Betriebe bewirtschaften. Wir haben schon früher große Begehrlichkeiten auf unseren Grund abgewendet. Wir sind keine Spekulanten, wie immer wieder behauptet wird.“
Zu den geplanten 600 ha sieht die Landeshauptstadt 360 ha Ausgleichsfläche vor. Obwohl im Landschaftsschutzgebiet gelegen, sind rund 20 ha davon als Kiesabbaufläche eingeplant. „Wenn das Gebiet so bebaut werden soll, dann ist der Kies auch notwendig“, sagte Oberfranz. „Wenn das alles so kommt, wie die Stadtverwaltung plant, dann wird es mit Sicherheit keinen landwirtschaftlichen Betrieb mehr geben.“ Dass eine Bebauung des Gebietes nicht mehr zu verhindern ist, sehen die Betroffenen.

Pläne sind nicht mehr zu verhindern

Doch sie wollen mit der Stadt auf Augenhöhe verhandeln, mitentscheiden, was mit ihren Flächen geschieht und erreichen, dass die Planungen mit mehr Transparenz durchgeführt und angemessene Preise bezahlt werden. „Die Grundstückseigentümer sind durchaus kooperativ, aber nicht unter dem Damoklesschwert einer SEM. Das macht den Leuten Angst und es blockiert die Entwicklung“, kritisierte Ziegler.
Die Stadtverwaltung hat immer wieder betont, dass sie verhandlungsbereit und eine Enteignung der Grundstücksbesitzer nicht vorgesehen sei. Das können die Petenten nicht glauben. „Warum entwickelt man das Gebiet mit einer SEM, wenn eine Enteignung nicht zur Anwendung kommt? Dann braucht man keine SEM“, sagte Oberfranz.
Klare Stellung bezog auch der Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper: „Die SEM ist das komplett falsche Instrument und völliger Wahnsinn, weil man den Menschen gleich mit Enteignung droht. Würden vernünftige Planungen vorgelegt, die sich an einer Einwohnerzahl von 10 000 bis 12 000 orientieren, wäre die Mitwirkungsbereitschaft der Grundstückseigentümer und Bürger gegeben. Jetzt sehen die Menschen, dass durch die städtischen Planungen der über tausend Jahre geprägte Kulturlandschaftsraum in den nächsten Jahren zerstört wird“, sagte er.

Petitionsausschuss tagt nach der Sommerpause

Inzwischen ist der Siegerentwurf eines ausgeschriebenen Ideenwettbewerbs von der Stadt ausgewählt. Damit sei „ein wichtiger Meilenstein für die Entwicklung des Münchner Nordostens erreicht“, schreibt die Stadtverwaltung im Internet. Der Stadtrat will über das weitere Vorgehen im Oktober entscheiden.
Josef Schmid bedankte sich nach der Tour bei den erschienenen Petenten für ihr Kommen: „Das ist für mich ganz wichtig. Wir werden nur in einzelnen Punkten entscheiden und nicht gegen die SEM als Ganzes.“ Der Ausschuss stimmt über die Petition nach der Sommerpause ab.
Oberfranz appellierte zum Schluss an die Landwirte in ganz Bayern, sich gegen die SEMs zur Wehr zu setzen: „Wenn die SEM in München durchgesetzt werden kann, wird das eine willkommene Blaupause sein, die viele Kommunen in ganz Deutschland aufgreifen, um günstig an Bauland zu kommen.“ Entsprechende Pläne gebe es schon in mehreren Ballungsräumen. Die Landwirtschaft müsse aufwachen, bevor es zu spät ist.

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