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Heute gibt’s eine gute Sau

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Biosiegel Bayern
am Mittwoch, 11.12.2019 - 12:21

Biobauer Florian Reiter beliefert Konzernkantinen in Bayern und sorgt für Aufklärungsarbeit vor Ort.

Traunstein - Die Situation ist ungewöhnlich: Der Chiemgauer Landwirt Florian Reiter begrüßt die hungrigen Gäste einer Konzern-Kantine zum Mittagessen allesamt persönlich. Rund 500 Angestellte eines Maschinenbau-Unternehmens erreicht er auf diesem Weg. Viele fragen nach, was er hier mache. Denen erklärt er, dass das Schwein des heutigen Hauptmenüs von seinem Hof komme und was es heißt, Produkte nach den Kriterien des Bayerischen Bio-Siegels zu erzeugen.

Seinen Hof hat er vor 13 Jahren von den Eltern übernommen – als Quereinsteiger. Dabei hat er viel Lehrgeld bezahlt, aber trotzdem von Anfang an auf Bio-Qualität gesetzt: „Schließlich verwalten wir auf dem Hof mit der Tierzucht eine Keimzelle des Lebens“, sagt Reiter. Bis vor zwei Jahren hat er seine Produkte ausschließlich über seinen eigenen kleinen Hofladen direkt vermarktet. Das reichte gerade zum Überleben. Dann standen überraschend Vertreter von BMW vor der Tür – und alles hat sich geändert. Davon sollen jetzt auch andere profitieren: Reiter will ein neues Netzwerk mit Bio-Erzeugern aus ganz Bayern aufbauen. Ein erstes Treffen soll im Januar in München stattfinden. Zudem plädiert er für neue Vermarktungswege in der Biobranche.

Bayern

Es bleibt wenig Zeit für Vermarktung

„Sind wir mal ehrlich: Die meisten Landwirte sind mit sich selbst und ihrem Betrieb ausreichend beschäftigt, da bleibt kaum Zeit für gewinnbringende, persönliche Vermarktung der eigenen Erzeugnisse“, sagt Florian Reiter. Dabei ist gerade das Persönliche für den Chiemgauer Landwirt von größter Bedeutung. „Ohne das direkte Gespräch mit denen, die meine Schweine und Gockel kaufen, zubereiten und essen, werde ich von der hochwertigen Bioqualität der Erzeugnisse kaum überzeugen können“, sagt Reiter.

Und so steht er jetzt in der Betriebskantine des Maschinenbau-Konzerns Brückner in Siegsdorf nahe Traunstein. „Mahlzeit, heute gibt’s ne gute Sau!“, ruft Reiter jedem entgegen, der durch die Tür kommt. Die Mittagsgäste sind erst einmal irritiert, dann interessiert. Zahlreiche kommen nach der Mittagspause zu ihm und fragen genauer nach. „Ich beschäftige mich eigentlich nicht so viel damit, wo das Essen genau herkommt“, sagt eine der Mitarbeiterinnen nach dem Essen. „Genau deswegen finde ich es klasse, dass der Landwirt auf uns zukommt und uns unaufdringlich informiert. Das führt dann doch dazu, selbst auch mal über unser aller Essverhalten nachzudenken.“ So wie hier in Siegsdorf spricht Reiter zwei- bis dreimal im Monat mit den Gästen einer der Kantinen, die er beliefert. In dieser Aufklärungsarbeit sieht Reiter eine große Chance für viele Biohöfe in Bayern.

Erst Heilpraktiker, dann Landwirt

Das Zuhause von Florian Reiter ist der Chiemgauhof Locking in Amerang. Hier ist der 41-Jährige aufgewachsen. Dort stehen Haus, Hof und Ställe frei auf 42 ha Land. Hier gibt es Moor, Wald, Wiesen und Hänge. Es ist einer der ältesten Höfe im Chiemgau, die Geschichte geht bis ins 12. Jahrhundert zurück. Doch sein Weg war lange nicht vorgezeichnet. „Ich wollte nie wieder als Landwirt arbeiten, dafür lieber den Menschen direkt helfen.“ Viele Jahre war Reiter als Heilpraktiker tätig. Als dann die Rente der Eltern anstand, hat er aus Verantwortungsbewusstsein dann doch den Neustart in der Landwirtschaft gewagt und den Hof übernommen. Das war 2006. 

Mittlerweile verkauft er rund 6.000 Gockel und 120 Schweine im Jahr, alle ausgezeichnet mit dem Bayerischen Bio-Siegel. In 2021 hofft er, dann auch endlich komplett in den schwarzen Zahlen angekommen zu sein.

Marktlücke Ganztiervermarktung

Florian Reiter versteht Biolandwirtschaft als Lebenseinstellung und langfristige Zukunftsinvestition. Er hat sich auf das Züchten von Gockeln und Schweinen nach den Kriterien des Bayerischen Biosiegels und des Anbauverbandes Naturland spezialisiert. Seine Abnehmer sind vor allem Privathaushalte aus dem Umland. Und BMW: Mehrfach haben Mitarbeiter des Automobilherstellers die genaue Tierhaltung des Chiemgauhofes begutachtet, Reiter musste aufwändige Fragebögen ausfüllen. 

Zu den Details des ökologischen Wirtschaftens gehört für Reiter auch, dass der Kantinen-Koch künftig ganze Tiere abnimmt und gleich für unterschiedliche Menüs verarbeitet. „Wenn mir beispielsweise ein Kunde lediglich 400 Kilo Schweinenacken abnehmen würde, dann hätte ich ad hoc auch Schwierigkeiten, die Reste zu verwerten“, sagt Reiter. Seine Anspruch war, mehr regionale und saisonale Produkte in öffentliche und betriebliche Kantinen zu bringen. Mittlerweile beliefert er weitere namhafte Firmen und Behörden.

Knowhow der Kantinen-Köche aufbessern

Wem allerdings das Geld zum Marketing fehlt, der wird erfinderisch: Also ging Florian Reiter direkt in die BMW-Kantine und stellte sich den Mittagsgästen als der Bio-Landwirt vor, dessen Schwein und Geflügel heute auf den Tellern liegt. Die Leute wurden neugierig, Reiter gewann neue Kontakte. Jürgen Wiesenhofer, Pächter der Polizeikantine, ist zu einem engen Weggefährten von Reiter geworden. Beide kennen die Bedürfnisse des anderen. „Unsere große Herausforderung bei potenziellen Neukunden ist oft nicht der höhere Preis für die Bio-Produkte, sondern das fehlende Zubereitungs-Knowhow bei den Kantinen-Köchen“, sagt Reiter. „Bei der Ganztierverarbeitung entstehen ganz andere Speisepläne, das Weidefleisch braucht zudem eine längere Garzeit bei geringeren Temperaturen, um nur zwei Beispiele zu nennen“, erklärt er weiter.

„Die Gemeinschaftsverpflegung in Bayern hat ein gut funktionierendes System“, sagt Reiter. Und dieses System will der Chiemgauer nun auch für andere Landwirte nutzbar machen. „Mit einem besseren Netzwerk unter uns Biolandwirten und einer gemeinsamen Vermarktungsinfrastruktur können wir noch viel mehr private wie öffentliche Kantinen in ganz Bayern erreichen“, sagt der Chiemgauer.