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Ökomodellregion

Hecken: Hindernisse oder Hotspots?

Naturschutz
Alois Albrecht
am Montag, 13.01.2020 - 10:43

Öko-Modellregion Waginger See-Rupertiwinkel und Landwirte suchen gemeinsame Wege nach mehr Biodiversität.

Teisendorf/Lks. Berchtesgadener Land - Es war ein einfaches Beispiel, aber sehr effektiv, die Besichtigung einer vielfältigen naturnahen Wildstrauchhecke, die in drei Abschnitten zwei weit auseinander gelegene Waldstücke wie ein Wanderkorridor für Wildtiere verbindet. Sie zeigte, wie mit einfachen Methoden die Biodiversität stark gefördert werden kann. Etwa 45 Teilnehmer waren der Einladung der Projektleiterin der Öko-Modellregion Waginger See-Rupertiwinkel Marlene Berger-Stöckl, zum Thema „Biodiversität – gemeinsame Wege mit der Landwirtschaft“ gefolgt. Neben einigenLandwirten waren auch Vertreter von Behörden und Verbänden mit unterwegs.

Bei der Besichtigung der seit 30 Jahren bestehenden Hecke in der Nähe des Hofes erläuterte Matthias Spiegelsperger den Nutzen und die Wirksamkeit solcher Hecken für die Biodiversität: nämlich beugen sie Bodenerosionen vor und bieten zahlreichen Tierarten Unterschlupf.Sie würden nicht nur Verbindungen zwischen Wildtierlebensräumen schaffen, sondern einen Beitrag zur Regulierung des Wasserhaushalts leisten. 

Da Minderertrag, dort Mehrertrag

Mindererträge direkt neben der Hecke würden durch Mehrerträge ein paar Meter entfernt oft ausgeglichen, ergänzte Naturlandberaterin Vroni Wolf. Leider seien solche Hecken weitgehend abhandengekommen, sagte Luise Antwerpen von der Unteren Naturschutzbehörde – durch den Zwang zur Bewirtschaftung größerer Flächen und durch ungünstige Förderbedingungen würden sie oft nur noch als Hindernisse wahrgenommen anstatt als ökologische „Hot spots“. „Schon wenige Jahre nach der Pflanzung seine die Vogelarten Goldammer und Neuntöter zurückgekehrt, jeetzt wo sie wieder Brut-und Nahrungsmöglichkeiten haben, betonte Spiegelsperger. „Viel Arbeit macht es allerdings, wenn ich die dornige Hecke abschnittsweise alle zehn Jahre mit der Hand auf den Stock setzen muss“, berichtete er weiter. Das anfallende Schnittgut wird Hackschnitzel genutzt.

Nach dieser Besichtigung trafen sich die Interessenten im Gasthof Helminger in Rückstetten, um sich dort über bestehende Programme zur Förderung der Biodiversität zu informieren. Georg Linner stellte neue Maßnahmen im bayerischen Kulturlandschaftsprogramm (KuLaP) vor. 

Martin Dandl aus Waging sagte, er praktiziere seit langem den Anbau von Zwischenfrüchten als eine der Maßnahmen aus dem KuLaP, denn diese schützten vor Erosion, förderten Humusaufbau und Bodenstruktur und brächten Abwechslung in seine Fruchtfolge aus Getreide und Mais. Auf geeignete Mischungen und Anbaumethoden für Zwischenfrüchte ging Alois Lohwieser ein.

Bewirtschaftung trägt zur Artenvielfalt bei

Luise Antwerpen von der Naturschutzbehörde warb für Maßnahmen des Vertragsnaturschutzes, mit denen der Mehraufwand für besonders wertvolle, häufig nasse Flächen wie z. B. Iriswiesen oder auch Maßnahmen zum Kiebitzschutz gefördert würden. Allerdings seien diese an eine Gebietskulisse gebunden. „Die Förderung für die Pflege von Streuwiesen hat sich zum Glück verbessert“, beteuerte Hans Abstreiter, Landwirt aus Rückstetten, der selbst mehrere Streuwiesen pflegt. Die Pflege sei zwar mühsam, denn das Mähgut müsse auf anderen Flächen getrocknet werden. „Ich mache das aber aus Überzeugung“ beteuerte er. 

In Bezug auf Stallsysteme meinte Berger-Stöckl, es gebe auch einige moderne, in denen noch Einstreu verwendet werden könne und diese wären ein wichtiger Beitrag um Streuwiesen auch künftig zu erhalten. 

„Als Waldbesitzer plädiere ich auch für das Vertragsnaturschutzprogramm Wald“, warf Leonhard Straßer aus Wonneberg ein. Sogar mit Nichtstun könne hier Geld verdient werden, durch Stehenlassen und Fördern von Totholz und Biotopbäumen, so der Sprecher des Agrarbündnisses BGL/TS. „Wir brauchen Landwirte, die sich mit Landschaftspflege ein Standbein aufbauen wollen“, appellierte Jürgen Sandner vom Landschaftspflegeverband Traunstein. Vorbildliches Beispiel dafür sei eine große Streuwiese südöstlich des Waginger Sees, die heuer gemeinsam mit Nebenerwerbslandwirt Matthias Junger und der Zustimmung weiterer Grundstücksbesitzer von Büschen und Schilf befreit und aufgewertet worden sei. 

Anhand zweier aneinandergrenzender Wiesen mit gleichem Boden auf seinem Betrieb erklärte Alois Lohwieser, wie eine intensive (11 Arten), oder extensive Bewirtschaftung (49 Arten) sowohl zum Artenschwund, aber auch Artenmehrung im Grünland beitragen. „Wir brauchen intensive gräserreiche Wiesen, um heimisches Eiweißfutter zu erzeugen“, so Lohwieser. Jeder Betrieb könne kräuterreiches Futter von Extensivwiesen sinnvoll nutzen. Inzwischen würden auch von Amtswegen 5 bis 15 % extensive Wiesen als Ziel einer „standortgerechten Grünlandnutzung“ propagiert, um die akut gefährdeten, heimischen Blühwiesen nicht ganz verloren gehen zu lassen, ergänzte Alfons Leitenbacher.

Jeder Kuhfladen ist ein Insektenbiotop

„Von mir aus kann ich mich als Landwirt auch gern dem Naturschutz widmen, statt Lebensmittel zu erzeugen“, meinte Anderl Seehuber, der in Waging mit seinem Sohn einen Milchviehbetrieb bewirtschaftet. Allerdings müsse das jedenfalls gut genug bezahlt werden, um davon leben zu können. Für ihn sei sein System mit extensiverer Standweide und Koppelwirtschaft ideal. „Da ist jeder Kuhfladen ein Insektenbiotop und es fällt weniger Gülle an“.

Beate Rutkowski vom Bund Naturschutz sprach über die Dringlichkeit der Vernetzung von Lebensräumen zum Nutzen der Artenvielfalt. Insellösungen hätten nicht die dieselbe Wirkung. Geeignet zu dieser Vernetzung seien neben Hecken auch Baumgruppen, Altgrasstreifen, Totholzinseln, Waldsäume u. a. m. Um das zu erzielen seien aber nicht nur Landwirte in der Pflicht, sondern auch Kommunen und Besitzer von nicht landwirtschaftlich genutzten Grundstücken.

AELF-Chef Alfons Leitenbacher forderte dazu auf, sich nicht von Vorurteilen für oder gegen die Maßnahmen zum Volksbegehren Artenvielfalt leiten zu lassen. Viel besser sei es, gemeinsam die Fakten zu begutachten und danach mit effizienten und durchführbaren Maßnahmen effektiv zu handeln. Berger-Stöckl hofft, die Erkenntnisse dieses Treffens mögen in der Praxis Früchte tragen.