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Kleinbetrieb

Betriebsphilosophie: Jeder Handgriff eine Freude

Sie wollte nie Landwirtin werden: Julia Galloth ist es aber doch geworden, mit Leib und Seele. Das händische Ausmisten im alten Anbindestall nennt sie trotzdem klar beim Namen: eine Plackerei.
Barbara Höfler
am Freitag, 28.10.2022 - 07:50

Auch ein kleiner Hof kann wirtschaftlich sein. Biobäurin Julia Galloth machts vor.

Der Pflegerhof in Farchach: Links Wohnen, rechts Kuhstall. So ist das seit 1868.

Wenn eine aber so was von keine Zeit hat, dann ist es Julia Galloth. Zwischen Melken, Austreiben, erstem Ausmisten und Silieren hockt sie sich trotzdem in der Küche hin, klemmt sich die Kaffeemühle zwischen die Knie und mahlt den Kaffee nach alter Väter Sitte zeitaufwendigst von Hand. „Man muss auch mal was tun, was einfach nur schön ist“, sagt sie und schiebt die Milch über den Tisch, die sie heute früh um sechs schon gemolken hat. Schön und richtig schmeckt der Kaffee in der niedrigen Küche auf dem Pflegerhof in Farchach. Es riecht nach Troat und Kuh und jeder Menge Arbeit. Und Julia Galloth ist eine, die die Arbeit leidenschaftlich macht.

Ein kleiner Betrieb, aber stark wie ein Kraftwerk

Kuhstall unter Denkmalschutz: Julia Galloth will seit 3 Jahren einen Laufstall bei sich auf dem Grund bauen. Die behördlichen Hürden sind überwunden. Es scheitert am Widerstand einzelner Anwohner.

Seit 2018 führt die 32-Jährige den denkmalgeschützten Hof ihrer Eltern im Landkreis Starnberg samt 27 ha Acker- und Grünland, 12 ha Wald und 15 Milchkühen plus Nachzucht. Vor dreißig Jahren waren Anton Galloth und Ulrike Obereisenbuchner-Galloth Pioniere, die ersten im Landkreis im Demeter-Verband. Ihrer Tochter Julia, einer von fünf, haben sie einen funktionierenden Betrieb übergeben, als sie ins Austraglerhaus gezogen sind. Einen kleinen Betrieb, „auf der Winterschule waren wir die kleinsten“, sagt Julia Galloth. „Aber wirtschaftlich stehen wir nicht schlechter da als die anderen.“ Dafür haben die Galloths das Rad nicht neu erfunden, sie haben es aber ins Laufen gebracht und es läuft noch immer. Nach der Devise: möglichst viel vom Eigenen selber vermarkten, die Wertschöpfung so lang es geht am Hof halten.

Übergabe mit leichtem Herzen: Anton und Ulrike Galloth ließen Tochter Julia 2018 ans Steuer.

Julia Galloth baut Dinkel, Roggen, Hafer, Buchweizen, Linsen, Sonnenblumen und Lein an. Aus letzteren beiden presst sie mit eigener Presse Öl. Aus dem Dinkel malt sie mit eigener Mühle Mehl, aus dem Mehl macht sie Nudeln, ihre Mutter backt daraus noch 36 Laib Brot pro Woche, vor dem Tennisarm durchaus noch ohne Knetmaschine. Und alles miteinander verkaufen sie im Hofladen ein paar hundert Meter die Straße rauf. Den Hofladen führen die Mairs vom Assenhauserhof, aber alle vier Farchacher Demeterbauern – so viele zählt der kleine Ort in der Gemeinde Berg tatsächlich – liefern Waren zu. Zusammenhalten, noch so eine Devise. „Vorher hat jeder aus seiner Küche rausverkauft“, sagt Julia Gallot. Gemeinsam kann man jetzt ein breites Sortiment anbieten, Milch, Käse, Eier, Gemüse, Fleisch, sogar Bienenwachskerzen. Ein halber Supermarkt und genauso kaufen die Kunden ein.

Zusammenhalten und Nischen finden

Hofansicht

Unter den Landwirten macht keiner dem anderen Konkurrenz. Jeder bedient seine Nische. Beeren hat keiner gehabt. So legten die Galloths vor ein paar Jahren 600 Sträucher roter und schwarzer Johannisbeeren, Aronia und Felsenbirne an. Zum Streuobst von ihren Wiesen gibt es im Hofladen seither auch Sirup und Marmelade. Selbstverständlich selbst gemacht. Wenn das Wetter mitspielt. Vom Hagel 2021 hat sich die Plantage 2022 noch nicht erholt. Zum Glück nur ein Standbein von vielen.

Kaffeepause vorbei, Julia Galloth muss Grünfutter schneiden, Saatgut bestellen, Kleinkram im Büro erledigen. Nie habe sie Landwirtin werden wollen, sagt sie. „Du siehst es bei den Eltern, die Arbeit, der Stress.“ Nach dem Abitur an der örtlichen Montessori-Schule lernte sie daher Baumschulgärtnerin, war dann noch zwei Jahre im Gartenlandschaftsbau festangestellt – um dann zu merken: so wollte sie nicht leben. „Wertvollen Kompost“ für Kunden zum Wertstoffhof fahren, für wenig Geld abends körperlich fertig im Bett liegen. „Ich bin auch nicht so die tolle Angestellte“, gibt sie zu. „Wo ist der größere Sinn?“, fragte sie damals und lacht heute. „Mei, dahoam!“

Wo jeder Handgriff Sinn macht

Einzige Bedingung der Eltern zum Einstieg in den Hof: Julia sollte den Meister machen. Die Fachschule für Ökolandbau in Weilheim schloss sie 2017 als Jahrgangsbeste ab. Für die Meisterarbeit kartierte sie 100 elterliche Beerensträucher nach Größe, Blattmaß und Triebanzahl. In zwei Vergleichsgruppen untersuchte sie wissenschaftlich Sinn oder Unsinn von Demeter-Fladenpräparaten, die mit hohem Aufwand angesetzt und ausgebracht werden müssen. Ergebnis: es macht Sinn.

Im selben Jahr pachtete Julia den Betrieb der Eltern. Bereut hat sie es bisher nicht. Körperlich anstrengend sei die Arbeit in der Landwirtschaft auch. „Aber du weißt, du machst es für dich.“ In jedem Handgriff stecke ein weil. „Und wenn ich heut eine blöde Arbeit machen muss, dann mach ich morgen was Schönes.“

Zum Beispiel Sonnenblumen. Weil die Erntemaschine fehlt, mache deren Anbau kaum Sinn, sagt sie. „Wenn der Mähdrescher durchfährt, ist ein Drittel dahin.“ Sie machts trotzdem. Fürs Auge und die Artenvielfalt und weil sie kürzlich jemanden fand, der die Kerne schält, gibts bald auch welche im Hofladen.

Mit am Schönsten auf dem Pflegerhof ist das Vieh. „Ihr habt das schönste Jungvieh“, sagen die Leute, wenn sie Julias Tiere auf der Weide sehen. Die Schwarz-Bunten hat Mutter Ulrike auf den Hof gebracht. Die Leidenschaft der Tochter ist die geschickte Einkreuzung auch farblich interessanter Rassen, mit denen sie die für ihren Betrieb idealen Kühe züchtet: Genetik alter Zweinutzungsrassen sorgt für Nachzucht, die getreu Demeter-Richtlinien ohne Silomais und vorgefertigtes Kraftfutter, nur mit dem Futterangebot am Hof zurechtkommt.

Schwarz-Bunte, Sprinzen und rote Angler

Der Mix mit Rotvieh alter Angler Zuchtrichtung bringt in der Milch die Beta-Casein-Zusammensetzung, die den Traum vom späteren Käsen vereinfacht. Auf der Demeterwaren-Börse in Holzkirchen musste ein Exemplar der Pustertaler Sprinzen mit. Die gefährdete Nutztierrasse 2021 hilft beim Plan, die perfekten Fleischmarmorierung zu finden. Gefunden hat Julia bereits einen Metzger, der Spaß an Grill- und Steakzerteilung hat. Zwei Ochsen pro Jahr schlachtet sie, einige Kälber, die gegerbten Felle werden verkauft, der Rest zu Hundefutter – im Landkreis Starnberg, dem reichsten Deutschlands, ein „ganz großes Thema“. Hier zu leben hat Nachteile. Baugrundpreise von 1926 €/m² können sich nur Zugezogene leisten. Dass die Bauern Tierwohlställe bauen, wünschen sich viele. Aber nicht vor der eigenen Haustür.

Seit drei Jahren liegt Julia Galloths Bauplan für einen Laufstall hinterm Hof auf Eis. Nicht wegen der Gemeinde, einzelne Anwohner sind das Problem. Der alte, denkmalgeschützte Anbindestall platzt aus allen Nähten, zwei Mal am Tag muss sie ihn händisch ausmisten. Solang die Eltern helfen, geht‘s. Aber wie lang?

Die Kluft zwischen der Erwartungshaltung der Verbraucher und der Realität zeigte sich Julia Galloth auch beim Bienenvolksbegehren. Sie stieg damals als Gemeinderätin bei den Grünen aus. Seit Frühjahr vertritt sie die insgesamt neun Farchacher Landwirte als BBV-Ortsvorsitzende. Zusammenhalten, auf dem Pflegerhof ist das ein erprobtes Erfolgsrezept. Babara Höfler