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Forschung

Die Risiken von Rückständen objektiv betrachtet

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Fritz Arnold
am Donnerstag, 27.05.2021 - 11:35

Beim „Forum Triesdorf“ beschäftigte sich Dr. Mark Lohmann mit dem Spagat zwischen gefühlten und tatsächlichen Risiken.

Triesdorf/Lks. Ansbach Sind Lebensmittel aus der modernen Landwirtschaft gesund oder sind mit ihrem Genuss aufgrund heutiger Bewirtschaftungsmethoden Risiken verbunden? Auf diese Fragen versuchte Dr. Mark Lohmann vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin im Rahmen der Vortragsreihe „forum triesdorf“ Antworten zu geben. Der aus Berlin online zugeschaltete Referent erläuterte, dass nach Medienberichten über Rückstände das „Bauchgefühl“ der Bevölkerung die Risiken zum Teil hoch einschätze, wie sie einer „objektiven“ Risikoeinschätzung aus Expertensicht nicht standhalten. Als klassisches Beispiel dafür nannte er die Diskussion um Glyphosat. Während in der Öffentlichkeit und im politischen Bereich das Herbizid als verantwortlich für Gesundheitsschäden gemacht wird und deshalb Anwendungsverbote im Raum stehen, halte dies einer wissenschaftlichen Nachprüfung nicht stand.

Letztlich sei vor allem die Dosis entscheidend. Zur Besorgnis in der Bevölkerung trügen die immer weiter verfeinerten Analyse-Methoden bei. Derzeit sei es möglich, ein Stück Würfelzucker, das am Ostufer in den Starnberger See geworfen werde, am Westufer nachzuweisen. Generell herrsche seiner Ansicht nach in der Bevölkerung mehr Angst vor schädlichen Einflüssen von synthetischen Stoffen, wie beispielsweise Pflanzenschutzmitteln, als vor natürlichen Stoffen, wie Bakterien. So treten gesundheitliche Schäden nach dem Genuss von Speisen in Privathaushalten deutlich häufiger auf, als in der Gastronomie.

Lohmann leitet beim BfR die Abteilung Risikokommunikation im Bereich Risikosoziologie und Risiko-Nutzen-Beurteilung, ihm zufolge werden mehr als 90 Prozent aller in Deutschland verzehrten Lebensmittel untersucht. Die Untersuchungen beziehen sich auf 300 Substanzen in rund 60 000 Lebensmittel, sowohl auf erwünschte wie unerwünschte Stoffe.

Früherkennungssystem bei Ernährungstrends

Aktiv werde das BfR auch im Rahmen eines Früherkennungssystems bei neuen Ernährungstrends. So bei der Empfehlung für „Bierdosenhähnchen“, in dem Brathähnchen auf Bierdosen in der Backröhre erhitzt werden. Diese Methode sei wieder verschwunden, als festgestellt wurde, dass Risiken nicht vom Hähnchen, sondern von Druckfarben und dem Aluminium der Dosen ausgehen.

Ein Problem liege darin, dass heute stets rasche Auskünfte verlangt werden. „Sollen wir schnell warnen und Unsicherheiten bis zur Panik schüren, oder warten bis eindeutige Erkenntnisse vorliegen?“ Besonders deutlich sei es in der BSE-Krise und bei Ehec geworden. Der Markt für anfangs als Ehec-Ursache verdächtigte Tomaten und Gurken sei eingebrochen, bis die Spur hin zu Sprossenerzeugern gefunden wurde, die Bockshornkleesamen aus Ägypten eingeführt hatten.
Dr. Lohmann sprach von einem „Mythos der gütigen Natur“. In der Wahrnehmung werde „natürlich“ als sicherer bezeichnet, während Abweichungen von der Natur und zusammenhängende Gesundheitsrisiken als besonders problematisch empfunden würden. Als Konsequenz daraus werde das Krebsrisiko von Pestiziden überschätzt, während die krebserregende Wirkung natürlicher Stoffe unterschätzt werde.

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stufe die karzinogene Wirkung von Sonneneinstrahlung, verarbeitetes Fleisch, Asbest, Tabakrauch sowie Alkohol/Ethanol und alkoholische Getränke in Stufe 1 ein. In der Gruppe 2A als wahrscheinlich karzinogen seien rotes Fleisch, Glyphosat, Mate-Tee heiß, Friseur und Nachtschichten eingestuft. Als möglicherweise karzinogen gelten Kaffee, Methyleugenol, in Essig eingelegtes Gemüse, Kava-Extrakt und Mobiltelefonie.

Die eigene Meinung hinterfragen

Seinen Zuhörern gab Dr. Mark Lohmann den Rat, auch die eigene Meinung kritisch zu hinterfragen. Auf Einwände aus der Zuhörerschaft, dass das Bundesinstitut sich häufig auf Studien der Industrie für die Zulassung der Mittel stütze, sagte Lohmann, dass die sehr aufwendigen und umfangreichen Studien sehr wohl auf deren Plausibilität hin überprüft würden. Müssten all diese Studien vom Staat noch einmal gemacht werden, würde dies dem Steuerzahler viel Geld kosten.

„Als Anwender von Pflanzenschutzmitteln gehe ich davon aus, dass die Produkte, die zur Anwendung kommen, nach derzeitigem Stand der Wissenschaft überprüft und getestet wurden“, sagte dazu Tobias Niklas aus Frickendorf. „Mir als Landwirt/Anwender ist es ja auch gar nicht möglich, eine solche Einschätzung zu tätigen. Wenn ein Produkt oder ein Wirkstoff zur Anwendung die entsprechenden wissenschaftlichen Prüfungen durchlaufen hat und eine Zulassung bekommt, muss ich mich darauf verlassen können, dass zum einen die Sicherheit der Produkte, sei es für die menschliche oder die tierische Ernährung, unbedenklich sind und zum anderen auch gesundheitliche Risiken für den Anwender ausgeschlossen werden können.“
Für emotionale Entscheidungen sei die Landwirtschaft viel zu komplex. Wissenschaftlich gut aufgearbeitete Grundlagen, faire Kommunikation zwischen Wissenschaft, Landwirtschaft, Politik und Bevölkerung sind seiner Meinung nach die probaten Mittel um Entscheidungen zu fällen, nicht nur wenn es um Pflanzenschutz geht.

Erträge und Qualitäten absichern

Pflanzenschutzmittel sind ein Teil von vielen Möglichkeiten des integrierten Pflanzenbaus, den wir Landwirte nutzen. Wir benötigen aber ein gewisses Portfolio an wirksamen und sicheren Pflanzenschutzmitteln“, sagt Martin Waldmann aus Ansbach-Strüth. Angesichts von Wetterextremen gelte es, Erträge und Qualitäten abzusichern, Wasser zu sparen und den Boden zu schützen.

Gefühlte Risiken, Halbwahrheiten und emotional geführte Debatten führen in die Sackgasse. Stattdessen müssten wissenschaftliche Erkenntnisse die Richtschnur sein, wie in seinem Vortrag Dr. Mark Lohmann erläuterte. Für die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels sind immerhin vier Bundesbehörden zuständig: Das ist das Bundesamt für Risikobewertung, das Bundesumweltamt, das Julius-Kühn-Institut und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Diesen Stellen gilt es zu vertrauen. „Bei korrekter Anwendung sind Pflanzenschutzmittel sicher. Das muss die Botschaft sein.“

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