
Wer Opfer wird, hat Pech gehabt. Wer Opfer bleibt, ist selber schuld.“ Mit diesem Zitat von Sebastian Wächter wurden die rund 200 Teilnehmerinnen zum 32. vlf-Frauentag begrüßt. Der Verband für landwirtschaftliche Fachbildung (vlf) in Unterfranken lädt zu dieser Veranstaltung jedes Jahr Referenten ein zu Themen, die vor allem den Frauen auf den Nägeln brennen.
Heuer begrüßte sie der stellvertretende Bürgermeister Ludwig Weigand und Landrätin Tamara Bischof. „Inklusion gehört zu den enschenrechtskonventionen, bei denen sie in anderen Ländern weiter sind als wir in Deutschland“, sagte sie.
Die Pflege von Angehörigen ist weiblich
Dabei sei das ein wichtiges Thema in einer Gesellschaft, die immer älter werde. „Wir laden jedes Jahr die über 90-jährigen Menschen zum Kaffeetrinken ein, da sind heuer 150 gekommen“, berichtete die Landrätin, die auch von ihren Kindheitserfahrungen auf dem Bauernhof mit einem schwerstbehinderten Cousin sprach, der ganz selbstverständlich dabei war. Erst in älteren Jahren merke man, was alles zu leisten sei in der Familie, damit auch ein behindertes Familienmitglied mittendrin und aktiv dabei sein kann.
„Die Pflege von Angehörigen ist weiblich“, sagte die Landrätin auch, „also wird uns die Verantwortung zugeteilt“. Im landwirtschaftlichen Bereich seien auch die Renten sehr niedrig, „und Pflegeplätze sind teuer“. „Ich habe großen Respekt vor Pflegekräften, egal ob zuhause oder in Altenheimen“, sagte Bischof. „Pflege kostet viel Zeit und Kraft“. Deshalb wünschte sie Gesundheit und Freude auf den Betrieben, sowie einen guten Zusammenhalt in der berufsständischen Organisation.
Durchbreche Barrieren
Durchbreche deine Barrieren im Kopf“ ist der Leitsatz von Sebastian Wächter, der heuer als Hauptreferent sprach. Er sitzt im Rollstuhl und berichtete auch, wie es durch einen Unfall beim Wandern im Steigerwald zum Genickbruch und anschließende Rehabilitation so weit kam.
„Ich habe einen Sport gefunden, den ich machen kann: Rugby im Rollstuhl“, berichtete er und zeigte eine Sequenz aus einem Bundesligaspiel, bei dem es richtig zur Sache ging. Damit war er auch schon mitten im Thema. „Fußgänger fragen. was ist Dir passiert?“, „Die Jungs fragen: was kannst Du?“. Nach dem Unfall sei er darauf konzentriert gewesen, was man nicht mehr kann und 24 Stunden auf Hilfe angewiesen. Doch man werde nie herausfinden, was noch möglich ist, „wenn wir uns nicht darauf konzentrieren, wo der Fokus ist“.
In seinem Freundeskreis beobachte er Leute um die 30, die sich gegenseitig volljammern, wem es schlechter geht. Auch in der Landwirtschaft sei Jammern verbreitet. „Ein Bauer, der nicht jammert, dem geht‘s zu gut“, habe er schon zuhause gehört. Sein Bruder hat inzwischen den elterlichen Betrieb übernommen und er sage „im Moment läuft es richtig sch....“
Um sich auf den Vortrag vorzubereiten, habe er im Landwirtschaftsamt angerufen und dem Leiter Herbert Lang die Frage gestellt, wo es denn noch richtig gut laufe. Eine Minute Schweigen. Schließlich seien doch noch Beispiele gekommen wie Direktvermarkter oder Anbieter von Urlaub auf dem Bauernhof, die es geschafft hätten, aus dem Jammern herauszukommen in problemlösendes Denken. Treibende Kraft auf den Höfen waren die Damen.
Ein wichtiger Impuls beim Sport sei, Fehler hinter sich zu lassen. „Next play“ heiße das beim Rugby, ganz bei der Sache sein. Er machte Mut dazu, gedanklich bei der Sache zu sein. In der Gegenwart zu leben. „Helfen Sie Sich gegenseitig“, rät er auch.
Hinschauen macht eine Veränderung möglich
„Akzeptanz ist die Voraussetzung für Veränderungen“, sagte er. Hinschauen macht eine Veränderung möglich, kostet Kraft und Energie. Zum Beispiel bei einer Hofübergabe in der Landwirtschaft gebe es so viel anzuschauen. Was passiert mit den Eltern, wenn sie Pflege benötigen? Was passiert mit den Geschwistern, die vom Hof weg sind. Welche Rolle soll/will die Frau spielen, die auf den Hof kommt?
Wächter berichtete, dass er morgens zum Anziehen 40 Minuten benötigt, „davor wurde ich angezogen“. Er wollte selbstständig werden, das habe acht Jahre lang gedauert. Er zitierte Nietzsche: „Wenn ich ein warum habe, ertrage ich jedes wie.“
„Das geht nicht“, „das haben wir noch nie so gemacht“ sei das Mantra des lausigen Durchschnitts. Je größer ein Ziel, desto mehr Kritiker träten auf, „Entscheidend ist, was wir daraus machen“, sagte Wächter. „Wir können nur ändern, wie wir mit Widerständen umgehen“. Er selber habe sich daran gewöhnt, Hilfe nachzufragen, musste dazu allerdings über seinen Schatten springen. „Die Leute helfen gern“, hat er dabei gelernt, „jeder ist stolz auf eine gute Tat“.
Der Weg vom Pflegefall zu einem eigenständigen Leben war hart und lang. Die Opferrolle könne auch schön bequem sein. Doch nur wer die Opferrolle verlasse, bleibe handlungsfähig (mehr unter Barrierefrei-im-Kopf.de).
„Trauen Sie sich, um Hilfe nachzufragen“, sagte auch Angelika Haaf von der Familienberatung für Landwirtschaft, Weinbau und Gartenbau (LFB). Bei der LFB gebe es Berater mit Feldkompetenz, egal ob es um Probleme bei der Hofübergabe, in der Partnerschaft oder mit der persönlichen Gesundheit gehe.
Hilfen im Pflegedschungel war das Thema von Kathrin Glaubrecht vom Pflegestützpunkt Haßberge. Hier gibt es zum Beispiel Antwort auf die Frage „welche Heime, Selbsthilfegruppen und Betreuungsangebote gibt es bei uns?“ Glaubrecht informierte auch über die ehrenamtliche Wohnraumberatung, die das Ziel hat, so lange wie möglich ein Bleiben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Bei der Beratung sollen beispielsweise Hindernisse und Stolperfallen erkannt werden und auch bei Umbaumaßnahmen einfache, kostengünstige Lösungen gefunden werden.
Sich trauen,um Hilfe zu fragen
„Bevor der MDK, der Medizinische Dienst der Krankenkassen kommt, sollten Sie im Gespräch mit der pflegebedürftigen Person klären, dass es keine Schande ist, Pflegebedürftigkeit zuzugeben “, sagte Glaubrecht. Bei der Einstufung in den Pflegegrad bekomme man sonst zu wenig Hilfe.
Was der Bürgerdienst in Breitbrunn im Landkreis Haßberge alles leistet, stellte Bürgermeisterin Gertrud Bühl vor. Seit 2012 gibt es hier einen Bürgerbus und ein Generationencafé, in dem sich Jung und Alt alle drei Wochen treffen. Das Dorf mit insgesamt 1070 Einwohnern hat zehn Ortsteile und Weiler. „Wir wollten eine ärztliche Sprechstunde und einen Entlastungsnachmittag für pflegende Angehörige“.
„Gemeinsam statt einsam ist unser Motto“, sagte die Bürgermeisterin, die auch die Koordinatorin Magda Künnell als Glücksgriff lobte. Das Generationencafé sei Anlaufstelle für Hilfesuchende und Bürger, die helfen wollen. Es gebe einen kostenlosen Fahr- und Begleitdienst, einen Haus- und Gartendienst, Grabpflege und Pflegeunterstützung sowie Hilfe für Menschen mit Demenz. Dafür wurden vier ehrenamtliche Mitarbeiterinnen geschult, die bei der Gemeinde unter Vertrag stehen.
Wie Klaudia Schwarz vom AELF informierte, ist die Pflegeschulung heuer erstmals im Kurs zur Qualifizierung in der Hauswirtschaft enthalten. Sie kritisierte, dass die Betreuung besser bezahlt werde als hauswirtschaftliche Leistungen.