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Flächenfraß

Kampf um den Ackerboden

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Christine Kohlmann
am Freitag, 30.12.2022 - 08:08

Erst die Bahn, jetzt die Autobahn und seit Jahren immer mehr Industriegebiete. Ackerland zwischen Forchheim und Hirschaid wird immer rarer.

Bagger versperren die Zufahrt: Die Bauarbeiten für eine neue Verbindungsstraße führen direkt am Hof der Familie Müller vorbei, eine von zwei Zufahrten zu ihrem Hof können sie dadurch aktuell nicht nutzen.

Die Region nördlich von Forchheim boomt. Zwischen Regnitz, A73 und der Bahnstrecke wachsen die Industriegebiete wie Pilze aus dem Boden und damit zieht es auch immer mehr Menschen in die oberfränkischen Gemeinden zwischen Forchheim und Hirschaid. „In den vergangenen 40 Jahren hat sich der Verkehr im Regnitztal von 10 000 auf 56 000 Fahrzeuge pro Tag vervielfacht“, betont Torsten Gunselmann, Referent beim BBV Bamberg.

Nicht zuletzt, um diesem erhöhten Verkehrsaufkommen gerecht zu werden, plant die Autobahn GmbH nun eine Erneuerung und Verbreiterung der Fahrbahn der A73 auf 12 km Länge. Damit einher gehen der Bau von sieben Absetzbecken mit Rückhalte- und Filterfunktion, neun Retentionssickermulden, einem Sickerbecken, einem Entlastungsbecken, die Errichtung von rund 2500 m Erdwällen, das Bewegen von knapp 200 000 m3 Boden sowie der Ersatzbau von zwei Brücken und zwei Gewässerunterführungen.

Außerdem müssen rund 1300 m Feld- und Waldwege verlegt werden. Insgesamt werden rund 28 ha benötigt (9,24 ha für Fahrbahn und Becken, 12 ha für Lärmschutz-Erdwälle, 7 ha für Ausgleichsflächen) sowie zusätzlich 40 ha vorübergehend für Arbeits- und Lagerflächen während der geplanten Bauzeit von vier Jahren. Für die betroffenen Bauern ist das ein großer Einschnitt.

„Bis zum 27.12. hatten die Eigentümer Zeit, Einspruch einzulegen. Danach kann man nichts mehr geltend machen“, stellt Gunselmann klar. Der BBV hat die Eigentümer und Bewirtschafter der Flächen vorab im Rahmen einer Abendveranstaltung in Eggolsheim über die Pläne informiert. Zudem stand Gunselmann den betroffenen Landwirten bei der Formulierung der Einsprüche beratend zur Seite, die überrascht und zugleich verärgert über die Pläne sind.

„Die Pläne waren einfach im Internet, davor wurde nicht mit uns gesprochen“, berichtet Heinrich Schwarzmann, Milchviehhalter aus Neuses a. d. Regnitz. „Normalerweise wird bei solch großen Projekten davor mit den Kommunen und den Eigentümern gesprochen. Das war diesmal nicht der Fall“, ergänzt Gunselmann. „Rechtens ist dieses Vorgehen aber“, fügt Klaus Kestler, Nebenerwerbslandwirt aus Hirschaid, hinzu.

Landwirte kritisieren Flächenverbrauch

Kämpfen gegen Flächenversiegelung: (v. l.) Maria und Martin Müller aus Altendorf, Klaus Kestler aus Hirschaid und Heinrich Schwarzmann aus Neuses a. d. Regnitz sowie BBV-Referent Torsten Gunselmann. Im Hintergrund wird gerade an einer Brücke für eine neue Verbindungsstraße gebaut.

Doch nicht nur die Baumaßnahme selbst und die Art und Weise der Kommunikation stößt den Landwirten sauer auf, besonders den großzügige Flächenverbrauch kritisieren sie. Landwirt Martin Müller, der in Altendorf zusammen mit seiner Frau Maria einen Ackerbaubetrieb mit Biogasanlage betreibt, zeigt das anhand eines konkreten Beispiels auf: „Unterhalb der Autobahnauffahrt Buttenheim ist ein Absetzbecken geplant, das auch wunderbar innerhalb der Auffahrt gebaut werden könnte, wodurch kein zusätzliches Land verbaut werden müsste.“ An einer anderen Stelle sei das bereits so umgesetzt worden, erzählt der Landwirt. Ein halbes Hektar Land, das so dauerhaft versiegelt wird und rund 8000 m2, die vorübergehend gebraucht werden, könnten so eingespart werden.

„Eigentlich müsste die Politik doch möglichst flächensparend planen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Hier wird richtig großzügig geplant“, gibt Gunselmann zu bedenken. Der Experte vom BBV verdeutlicht auch den Flächenverbrauch für Oberfranken insgesamt: „Wir sind heuer unter die Marke von 200 000 ha Ackerland in Oberfranken gerutscht. Jedes Jahr verlieren wir im Bezirk rund 900 ha landwirtschaftlich genutzte Flächen und wir sehen da keine Abflachung.“ Betroffen ist überwiegend Ackerland, die Grünland- und Waldfläche sei seit Jahren nahezu unverändert.

Unverständnis bei den Landwirten

Ein anderer Punkt, der im aktuellen Planfeststellungsverfahren für Unverständnis bei den Landwirten sorgt, ist der geplante Lärmschutz. „Zwischen Hirschaid und Altendorf will die Autobahn GmbH einen Wall schütten und das macht sie nur, um den Unterboden billig zu entsorgen“, behauptet Martin Müller. Fachbüros für Emissionsschutz bestätigen sogar die These, dass der Wall in Sachen Lärmschutz nichts bringt und stattdessen den Schall sogar noch weiter in die Fläche trägt. Dass dafür 12 ha Land hergenommen werden, ohne dass die Bevölkerung davon profitiert, wollen die Landwirte nicht hinnehmen.

„Unser Hauptanliegen ist, den Eingriff in die Flächen so gering wie möglich zu halten“, formuliert Schwarzmann das Ziel von sich und seinen Berufskollegen. Betroffen ist hier fast jeder aktive Landwirt, mit eigenen oder mit gepachteten Flächen. Eigentümer der Flächen sind sowohl aktive Landwirte als auch Privatpersonen, die ihr Land verpachtet haben. Doch hier gehen die Interessen weit auseinander. „Eigentümer, die keinen Bezug zur Scholle haben, sehen nur das Geld“, stellt Schwarzmann fest. „Das können wir als Bewirtschafter schlecht beeinflussen.“

10 % der Fläche für die Autobahn

Heinrich Schwarzmann bewirtschaftet rund 170 ha (eigen und gepachtet). Allein von seinen eigenen Flächen fallen 1,2 ha in die aktuellen Baupläne der Autobahn. Bei Klaus Kestler, der 15 ha eigene Fläche im Nebenerwerb bewirtschaftet, sind es 1,4 ha. „Mir werden hier zehn Prozent meiner gesamten Flächen genommen“, bekräftigt er. Wer jetzt denkt, dass man sich ja mit dem Geld, das man für die Flächen bekommt, wieder Ackerland kaufen kann, der irrt. „Man kriegt hier keine Flächen mehr zu kaufen“, stellt Kestler fest.

Denn die Gegend entlang der Regnitz hat schon lange mit Flächenfraß zu kämpfen: „Für den Ausbau der ICE-Strecke wurden bei uns hier 18 ha verbaut, insgesamt hat die Bahn zwischen Forchheim und Bamberg rund 50 ha Fläche versiegelt“, berichtet Heinrich Schwarzmann. Und Maria Müller ergänzt: „Die Ausgleichsflächen für diese Baumaßnahme sind da noch nicht dabei.“ Aktuell in Bau und in Planung befindliche Industriegebiete fressen rund 20 ha und PV-Freiflächen rund 15 ha. „Außerdem wird derzeit eine Querverbindung zwischen der Autobahnauffahrt Buttenheim und der Staatsstraße 2244 realisiert, die weitere 5 ha verschlingt“, erklärt Gunselmann. Weiterhin ist eine Autobahnraststätte in Planung, für die nochmals rund 15 ha gebraucht werden.

250 ha für den Sand- und Kiesabbau

Zudem spielt der Abbau von Bodenschätzen in der Region eine große Rolle. „Für den Sand- und Kiesabbau wurden in den vergangenen Jahrzehnten bestimmt 250 ha gebraucht“, erklärt Martin Müller. Und es geht auch hier immer weiter: „Im nächsten Jahr wird mit dem Kiesabbau auf Höhe Eggolsheim begonnen“, berichtet Gunselmann. Im nahegelegenen Unterstürmig wird zudem auf rund 10 ha Ton abgebaut. Deutlich wird der enorme Abbau von Bodenschätzen auch am riesigen Baggersee, der nur einige hundert Meter vom Hof der Müllers entfernt liegt und im Laufe der Jahre immer größer geworden ist, wie Maria Müller berichtet. „Wenn man ein Luftbild von vor 20 Jahren betrachtet und dann bedenkt, wie es jetzt aussieht und was alles noch kommen soll, ist das sehr beängstigend“, betont Martin Müller.

Doch es ist nicht nur die Ackerfläche, die fehlt und nie wieder zurückkommt, es ist auch der Mehraufwand, der Ärger und der Schaden an den Flächen die vorübergehend für die Baumaßnahmen in Anspruch genommen werden – das alles macht den betroffenen Landwirten zu schaffen. „Wenn ein Tierhalter ein Feld vorübergehend verliert, kann er ja darauf vorübergehend auch keine Gülle ausbringen und muss die Nährstoffe anderweitig unterbringen, das kann enorme Mehrkosten nach sich ziehen“, gibt Schwarzmann zu bedenken.

Nicht zuletzt rauben das Einspruchsverfahren und die Bauphase selbst den betroffenen Bewirtschaftern Zeit und Energie. „Aktuell wird die Querverbindung zwischen der Staatsstraße 2244 auf Höhe des Betonwerks Röckelein und der Autobahnauffahrt Buttenheim gebaut, durch die Bauarbeiten ist derzeit eine unserer beiden Hofeinfahrten gesperrt“, berichtet Maria Müller und führt damit nur ein Beispiel auf, wie die Bauarbeiten die Landwirte beeinträchtigen. Marias Eltern haben den Aussiedlerhof in den 70er Jahren am Ortsrand von Altendorf errichten. „Damals waren wir allein auf weiter Flur und jetzt sind wir bald von allen Seiten zugebaut“, so die Landwirtin. 4 ha Ackerland, die noch direkt an den Hof angrenzen, gehören schon zu 70 % dem angrenzenden Industrieunternehmen – es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Fläche auch verbaut ist. „Noch ist die Lage für uns nicht existenzbedrohend, aber es wird immer schwieriger“, betont Martin Müller.