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Ökolandbau

Zensiert Özdemir kritische Wissenschaftler?

Özdemir_Bundeskanzleramt
Josef koch
Josef Koch
am Donnerstag, 02.02.2023 - 18:24

Eine BMEL-Zeitschrift lehnt einen kritischen Beitrag zum Ökolandbau ab. Doch das Agrarministerium verneint eine Einflussnahme.

Bonn/Triesdorf Ist es eine Zensur oder eine berechtigte Ablehnung? Diese Frage stellt sich der emeritierte Triesdorfer Hochschullehrer Prof. Dr. Herbert Ströbel. Er wollte einen kritischen Diskussionsbeitrag zu den Klima- und Umweltauswirkungen des Ökolandbaus in der Zeitschrift „Berichte über Landwirtschaft (BüL)“ veröffentlichen.

Herausgeber ist das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) unter dem grünen Agrarminister Cem Özdemir. Nach einigem Hin und Her, das sich über ein gutes halbes Jahr hinzog, und einer Vielzahl von E-Mails, hat Schriftleiter Helmut Emsbach den Beitrag von Ströbel Mitte November abgelehnt. Für Ströbel steht fest: „Das BMEL ist an einem fachlichen Diskurs zum Ökolandbau nicht interessiert.“ Das Wort Zensur umschreibt er damit geschickt.

Ist Kritik am Ökolandbau unerwünscht?

Auf Nachfrage des Wochenblatts dementiert Emsbach. Sein „Dienstherr lasse Meinungsfreiheit, im rechtlichen Rahmen, zu“. Weiter führt der Schriftleiter aus: „Eine kritische Auseinandersetzung mit der Vielfalt landwirtschaftlicher Themen, auch eine Gegenüberstellung der Vorzüge und Nachteile des konventionellen und ökologischen Landbaus sind erwünscht und werden veröffentlicht, sofern [..] die Begutachtung deren Inhalte dafürspricht.“

Allerdings sprach sich ein Gutachter klar für das Veröffentlichen des Beitrags von Ströbel aus, ein anderes dagegen.

Doch der Reihe nach. Der Triesdorfer Wissenschaftler Prof. Ströbel kommt in seinem Artikel zum Schluss, dass der Ökolandbau aufgrund seines niedrigeren Ertragsniveaus einen höheren Flächenanspruch im Vergleich zum konventionellen Landbau hat. Die zusätzlich notwendigen Flächen werden damit einer ökologisch wertvolleren Nutzungsmöglichkeit mit höherer THG-Bindung und mehr Artenvielfalt, wie Wald oder Naturschutz, entzogen. Die Entscheidung für den Ökolandbau führt somit über den höheren Flächenbedarf zu mehr Treibhausgasen und geringerer Biodiversität. Kurzum: Dehnen Bayern und Deutschland seinen Ökolandbau aus, verlagert man die Emissionen in andere Länder.

Cem Özdemir und seine Ökolandbau-Ziele

Ein solch kritischer Beitrag passt offenbar nicht in die derzeitige agrarpolitische Zielrichtung von Bundesagrarminister Cem Özdemir. Er will über mehr Ökolandbau für mehr Biodiversität und Klimaschutz sorgen. Das hat der BüL-Schriftleiter Helmut Emsbach schnell gemerkt. So forderte er Ende Mai eine Begutachtung (Peer Review) des Ströbel-Beitrags an. Den inzwischen auf Wunsch des Schriftleiters überarbeiteten Beitrag unterzog der Berliner Agrarökonom Prof. Harald von Witzke einer kritischen Durchsicht, um die Fakten zu überprüfen. Ergebnis: „Die Analyse (des Autors Ströbel, Anm. d. Red.) ist korrekt und umfassend. Es ist das Verdienst des vorliegenden Diskussionspapiers, den zentralen methodischen Fehler der traditionellen Einschätzung der Umweltwirkungen des Ökolandbaus umfassend entlarvt zu haben. Die Arbeit stellt einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag dar.“

Dieses Ergebnis hat offenbar der Schriftleitung und vermutlich auch dem Herausgeber, dem BMEL, nicht ins Konzept gepasst. Dabei hatte Emsbach in einer Mail die Begutachtung durch den Berliner Agrarökonomen von Witzke zugestimmt. In einer internen Mail von Schriftleiter Emsbach an seine Vorgesetze, schrieb er unter anderem: „Jetzt haben wir den Salat, der zu erwarten war. Die Emeritierten sind hart-näckig.“ Diese Mail von Ende Juni 2022 ist offenbar versehentlich nach außen gelangt. Sie liegt dem Wochenblatt vor.

Was das BMEL dazu sagt

Hatte da etwa gar Bundesgrarminister Cem Özdemir persönlich die Finger im Spiel? Eine BMEL-Sprecherin verneint dies auf Nachfrage des Wochenblatts. „Bundesminister Özdemir oder Staatssekretärin Bender hatten zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Art und Weise Einfluss auf die Entscheidung über die Veröffentlichung genommen“, heißt es in der BMEL-Antwort.

Zweites Gutachten angefordert

Dennoch argumentiert Emsbach, dass Ströbels „Ausarbeitung viele Bereiche der agrarwissenschaftlichen Forschung mit komplexen Sachverhalten berührt und eine Einschätzung [.. ] daher [..] nicht leicht ist“. In Abstimmung mit dem BüL-Herausgeber, also dem BMEL, hat er den Rostocker Wissenschaftler Prof. Sebastian Lakner Anfang Juli 2022 mit einem weiteren Peer Review (Gutachten) beauftragt. Laut Ströbel war vorher nie von einem zweiten Gutachten die Rede. „Offenbar brauchte man für die Ablehnung des Textes, ein weiteres, diesmal genehmes Gutachten“, mutmaßt der Triesdorfer Wissenschaftler.

Trotz Anfrage des Wochenblatts bei BüL-Schriftleiter Emsbach und bei Prof. Lakner ist das Gutachten nicht herausgegeben worden. Auch Prof. Ströbel hat nach eigener Auskunft bisher Lakners Gutachten trotz mehrerer Nachfragen nicht erhalten. Gegenüber dem Wochenblatt hat Prof. Lakner in einer ausführlichen Mail zwar die grundsätzlichen Standards für wissenschaftlichen Veröffentlichungen dargelegt. So hat er unter anderem sieben grundsätzliche Kriterien für seine Begutachtung aufgeführt. Sind eines oder zwei Kriterien nicht erfüllt, empfehle er „regelmäßig eine Ablehnung“, es sei denn, die Probleme im Text können durch kleine Änderungen und mit überschaubaren Aufwand korrigiert werden, erläutert Lakner. Das Gutachten stelle er aber „natürlich nicht zur Verfügung, schon allein aus Fairness“ gegenüber dem vom Wochenblatt genannten Autor.

Widerspruch zum Konzept

So kann man nur vermuten, was konkret in dessen Gutachten stand. Denn Mitte November bekam Ströbel die schriftliche Absage zugesandt. Als Begründung ist unter anderem aufgeführt, dass „der Artikel keine entscheidenden neuen Erkenntnisse liefert". Dies wiederum seien die Voraussetzung für eine Veröffentlichung in "Berichte über Landwirtschaft“. Danach folgt im Ablehnungsschreiben eine Auflistung von Fakten über das Wachstum des Ökolandbaus in Deutschland. Vermutlich als Begründung gedacht, warum Ströbel mit seinem kritischen Beitrag falsch liegen soll. Doch darum ging es ihm gar nicht.

Offenbar kennt die BüL-Schriftleitung das Konzept der eigenen Zeitschrift nicht. Denn auf der Homepage steht unter dem Kapitel Konzept, die Zeitschrift veröffentliche „wissenschaftliche Originalbeiträge, agrarpolitische Stellungnahmen. Dabei haben solche Beiträge Vorrang, die aktuelle Problemstellungen aus den Fachgebieten der Erzeugungs-, Ernährungs- und Marktpolitik, der Gesellschafts- und Sozialpolitik sowie der Entwicklung des ländlichen Raums aber auch Fragen des Umweltschutzes und der Landschaftspflege behandeln.“

Fall Ströbel ist wohl kein Einzelfall

Der Fall Ströbel scheint kein Einzelfall zu sein. Nach Wochenblatt-Informationen habe auch andere namhafte Wissenschaftler schon schlechte Erfahrungen mit Veröffentlichungen in BüL gemacht. Einer, der anonym bleiben will, kommentierte den Fall so: „Der taktierende, hinhaltende Mailwechsel ist Ausdruck, dass weder die BLE noch deren Organ BüL als eine unabhängige und objektive Institution der Wissenschaft betrachtet werden kann.“ Man müsse auch die „Beschränkungen der Unvoreingenommenheit“ sehen. Diese seien jetzt deutlich geworden. Überrascht ist der Wissenschaftler von diesem Verhalten nicht. So habe er seit vielen Jahren mit der BLE zu tun und wisse um deren „politischen Kompass“.

Der Rostocker Wissenschaftler Lakner betont, dass etablierte internationale Wissenschaftsjournale 90 bis 95 % der eingereichten Papier ablehnten, selbst bei Berichten über die Landwirtschaft dürfte es eine erhebliche Ablehnungsquote geben, die „ich aber nicht kenne“.

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