Berlin/Brüssel Erst kürzlich hatten Sachverständige bei einer Anhörung im Umweltausschuss des Bundestags bestätigt, dass der gute Erhaltungszustand des Wolfs in Europa erreicht ist. Eine gezielte Bejagung sollte die Politik jetzt ermöglichen. Doch diese Erkenntnis ist offenbar an Bundesumweltministerin Steffi Lemke nicht vorgedrungen. Dabei saßen grüne Bundestagsabgeordnete bei der Anhörung dabei, und ein Grüner, Harald Ebner, ist sogar Vorsitzender des Umweltausschusses.
So hat Lemke zusammen mit anderen elf europäischen Amtskolleginnen und -kollegen einen Brief an Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius geschrieben. Darin sprechen sie sich gegen eine Lockerung des Schutzstatus des Wolfes aus. Kürzlich hatte sich auch das EU-Parlament für eine Lockerung ausgesprochen.
12 EU-Umweltminister für strengen Schutz
Die 12 Umweltminister sehen das aber anders. Als Argument führen sie in ihrem Schreiben auf den Ständigen Ausschuss der Berner Konvention. Das Gremium hatte Ende November einen Antrag der Schweiz, den Status des Wolfes von „streng geschützt“ auf „geschützt“ runterzustufen, mit großer Mehrheit abgelehnt. Lemke und ihre elf Amtskollegen halten daher einen strengen Schutz des Wolfes für notwendig. Er sollte mit effektiven Herdenschutzmaßnahmen, einer fairen Kompensation für Schäden sowie breit angelegten Kommunikationsmaßnahmen kombiniert werden. Neben Deutschland hat den Brief auch Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) unterschrieben. Dabei kämpft Österreichs Agrarminister Norbert Totschnig auf europäischer Ebene für eine Lockerung des Schutzstatus. Auch die Unterschriften der Umwelt-Ressortchefs aus Bulgarien, Griechenland, Spanien, Irland, Zypern, Luxemburg, Portugal, Rumänien, Slowenien und der Slowakei finden sich auf dem Brief.
Kaniber wettert gegen Lemke und Özdemir
Dass die Bundesregierung sich in Brüssel für den Wolf stark mache und gleichzeitig die immer wieder vorgebrachten Hilferufe aus der Tierhaltung hartnäckig übergehe, zeige die Berliner Geringschätzung der Weidetierhaltung, so Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber. Sie hat auch aus Naturschutz-Sicht kein Verständnis, dass die Bundesumweltministerin die für die Biodiversität so förderliche Weidewirtschaft gefährdet. "Mit enormen Steuergeldern sollen zudem Zäune durch die Landschaft gezogen werden, die das Gegenteil von Biotopvernetzung sind“, kritisiert die Landwirtschaftsministerin.
Auch einen Seitenhieb für Bundesagrarminister Cem Özdemir teilt Kaniber aus: „Der Bundeslandwirtschaftsminister muss jetzt seiner Aufgabe gerecht werden und sich für die Weidehaltung einsetzen. Da darf er sich nicht wegducken." Vor allem müsse die Bundesregierung schleunigst ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umsetzen und die Änderungen des Bundesnaturschutzgesetzes rasch auf den Weg bringen.
Nach Ministeriumsangaben hat die Internationale Naturschutzunion (IUCN), die die „Rote Liste“ veröffentlicht, den Wolf in ihren jüngsten Einschätzungen in Europa als „nicht gefährdet“ geführt.
Unionsvorwurf: Lemke ist realitätsfern
Herbe Kritik kommt an dem Schreiben kommt auch von Unionsabgeordneten. Markus Ferber, CSU-Europaabgeordneter, sieht in dem Brief den Beleg dafür, wie realitätsfern Lemke agiere. Der strenge Schutz der Wölfe basiere auf einer EU-Richtlinie, die 30 Jahre alt sei und den heutigen Herausforderungen nicht gerecht werde. „Während der Wolf Anfang der 1990er Jahre tatsächlich vom Aussterben bedroht war, sieht die Lage heute gänzlich anders aus“, so der CSUler. Er fordert, alle Optionen auf den Tisch zu legen. Problemwölfe müssten notfalls auch geschossen werden dürfen.
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Steffen Bilger, prognostiziert, bei „dieser Umweltministerin und bei dieser Bundesregierung werden wir vergeblich auf einen pragmatischeren Umgang mit dem Wolf warten.“ So schlage Ministerin Lemke die Meinung der Experten in den Wind, die den guten Erhaltungszustand des Wolfs in Europa ganz klar attestieren. Zudem moniert Bilger, Lemke seien die Meinung der gewählten EU-Volksvertreter „offenbar reichlich egal“.