Eine Wolfsdebatte im Bayerischen Landtag schürt weiter Emotionen. Umstritten bleibt das Wolfsmanagement. Seit die Ampel-Partner ihren Koalitionsvertrag vorgelegt haben, richtet sich der Blick spannungsvoll nach Berlin.
München/Berlin Auch Politiker sind nur Menschen. Und somit tritt nicht ein, was sich die Umweltausschussvorsitzende Rosi Steinberger (Grüne) gewünscht hätte: „Wir wollen heute die Emotionen ein bisschen runterdrücken und sachlich diskutieren“, sagt sie, bevor Erik Settles vom Umweltministerium vor dem Ausschuss mit seinem Bericht zum Thema „Wolf und Weidetierhaltung“ startet.
Der Wolfsexperte liefert Zahlen: In Bayern gebe es derzeit vier Rudel, ein standorttreues Paar und vier standorttreue Einzeltiere. Bundesweit gibt es 157 Rudel. Dazu kommen umherstreifende Exemplare wie zuletzt in Oberbayern. Im Wolfsjahr 2020, das von Mai bis April läuft, fielen in Bayern 38 Nutztiere Wölfen zum Opfer, genauso viele sind es 2021. 90 % aller Nutztierrisse betreffen laut Settles Ziegen und Schafe. Heuer belaufen sich die Entschädigungen an die Tierhalter auf etwa 10 000 €.
Viel mehr gibt der Freistaat für die Förderung der Herdenschutzmaßnahmen aus: Seit April 2020 können Zäune und Herdenschutzhunde mit bis zu 100 % gefördert werden. Seitdem sind 4,8 Mio. € an Staatsgeldern in diese Maßnahmen geflossen – allerdings nur in einer bestimmten Förderkulisse, die sich an den standorttreuen Wölfen orientiert. Gibt es einen Übergriff durch einen durchziehenden Wolf, rutscht ein Gebiet im Umkreis von zehn Kilometern in die Förderkulisse.
Herdenschutz für ganz Bayern zu teuer
Unter anderem die Landtags-Grünen fordern, die Förderkulisse auf ganz Bayern auszudehnen. Davor mahnt aus Effizienzgründen nicht nur der Oberste Rechnungshof, es ist aus Sicht von Settles auch nicht umsetzbar: Fürs Abarbeiten der 700 Anträge von Tierhaltern in der bisherigen Förderkulisse habe es kein zusätzliches Personal gegeben. Mit dem derzeitigen Personalstand sei eine Ausweitung der Förderkulisse auf ganz Bayern nicht machbar. Außerdem warnt er vor Materialknappheit – das könnte dazu führen, dass die Zäune dort fehlen, wo sie unbedingt nötig sind. Zwar erlaubt die EU-Kommission, auch laufende Kosten beim Zaununterhalt zu übernehmen, aber Bayern prüfe das noch.
In Deutschland ist die Entnahme eines Wolfs nur möglich, „wenn er was angerichtet hat oder Schäden drohen“, erklärt Settles. Und das ist nicht die einzige Voraussetzung: Mildere Mittel wie beispielsweise Herdenschutz müssen ausgeschöpft sein. „Das spielt eine Riesenrolle bei der Voraussetzung für eine Entnahme“, sagt der Experte. Über zumutbare Alternativen muss die höhere Naturschutzbehörde befinden. Dass gerade in Berggebieten der Zaunbau oft nicht möglich ist, bestreitet niemand. Wo in Bayern nicht zäunbare Gebiete liegen, erarbeitet derzeit die Weideschutzkommission, den aktuellen Stand können Tierhalter bei iBalis einsehen.
Wieder geht es in der Diskussion um den strengen Schutzstatus des Wolfs, die Eignung von Herdenschutzhunden und die Entnahme, also den Abschuss des Wolfs. Während die einen vor Wolfsübergriffen auf den Menschen warnen (Benno Zierer, FW), sehen die anderen bei Rudelbildung schon das Ende der Alm- und Alpwirtschaft und warnen vor der Gefahr durch bestimmte Herdenschutzhunde für den Menschen (Eric Beißwenger, CSU). „Bitte keine Stimmung schüren“, meint Florian von Brunn (SPD). Die Schweiz zeige, dass Almbewirtschaftung trotz Wolf möglich sei. Die meisten Risse gebe es dort, wo kein Herdenschutz stattfinde. Klar seien manche Bereiche schwer zu zäunen, aber vom „Untergang des Abendlands und der Alm- und Alpwirtschaft“ zu reden, sei schlicht „Panikmache“. Wolfsfreie Gebiete seien europarechtlich nicht zulässig und „das müssen wir akzeptieren“.
„Ich hab nach zwei Tagen die Ohrmarke gefunden“
Das will nicht jeder. Der Agrarausschussvorsitzende Leopold Herz (FW) hat zwar keine Lösung parat, berichtet aber mit bebender Stimme von eigenen Erfahrungen: „Bei mir wurde eine ganz Kuh gerissen, mit Kalb, aber ich konnte es nicht nachweisen. Ich habe nach zwei Tagen die Ohrmarke gefunden.“ Es sei klar, „was daraus zu folgen hat“. Gemeint ist der Abschuss.
Ähnlich emotional, wenn auch juristisch etwas differenzierter, äußert sich der Traunsteiner CSU-Abgeordnete Klaus Steiner. Er beschreibt die Verzweiflung der Familie in seinem Stimmkreis nach dem Wolfriss in Bergen. „Das sind gestandene Bauern, die wissen nicht mehr weiter“, sagt er. „Was wir hier besprechen, geht an den Anliegen der Praktiker vorbei. Wir führen die Diskussion im Landtag seit Jahren und drehen uns im Kreis.“ Man müsse die Bildung von Rudeln verhindern, und das gehe nur durch die Schutzstatus-Änderung. „Alles andere ist Kosmetik.“
Einen Kosmetik-Artikel hat vergangene Woche die Umweltministerkonferenz geliefert und einen „Praxisleitfaden Wolf“ verabschiedet. Er skizziert rechtliche Grundlagen und gibt Hinweise zum Herdenschutz und zu Entnahmen. Rechtlich ändert er nichts. „Die Regelungen des Bayerischen Aktionsplans Wolf sind mit dem Praxisleitfaden vereinbar und bleiben unberührt“, erklärt ein Sprecher des bayerischen Umweltministeriums auf Nachfrage. Nur: Genau der Aktionsplan Wolf stiftet eben keinen Frieden, wie die Diskussion im Ausschuss und unter den Landwirten zeigt.
Griffiger scheint das zu sein, was die Ampelkoalition in Berlin vorhat. Das lässt auch den Juristen Alexander Flierl (CSU) aufhorchen. „Ich bin gespannt auf die Umsetzung im Koalitionsvertrag“, sagt er. Alles was die Ampel plant, sei im Bundesrat bisher abgeblockt worden.
Rosi Steinberger wird zum Schluss noch mal versöhnlich und wiederholt das, was Flierl zuvor anmahnte: „Wir sollten den Wolf nicht idealisieren, aber auch nicht dämonisieren.“ Wenn das bei den Emotionen nur so einfach wäre.