Der Bayerische Müllerbund beobachtet eine dramatische Preisentwicklung auf den Getreidemärkten, die durch die aktuellen Kriegshandlungen in der Ukraine verursacht wird. „In den vergangenen Tagen sind die Getreidepreise explosionsartig nach oben geschossen. Eine ähnliche Dramatik haben wir in den vergangenen Jahrzehnten nicht gesehen“, sagt Dr. Josef Rampl, Geschäftsführer des Bayerischen Müllerbunds e.V., und ergänzt: „Die heimischen Müller werden gezwungen sein, die Preissteigerungen weiterzureichen.“
Innerhalb der EU geht der Müllerbund aber von einer ausreichenden Versorgung aus.
Warnung vor Versorgungsengpässen in Importländern
Anders sieht es in Weizenimportländer aus. Verschiedene Hilfsorganisationen und Verbände haben bereits vor den Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine für die Lebensmittelproduktion gewarnt. Während für die EU derzeit vor allem steigende Kosten erwartet werden, könnten die Auswirkungen für Länder südlich der Union weitaus dramatischer werden. Denn mehr als die Hälfte der Nahrungsmittel, die das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) in Krisenregionen verteilt, stammt eigenen Angaben zufolge aus der Ukraine.
„Putins Krieg überzieht nicht nur die Ukraine mit unermesslichem Leid. Die Auswirkungen werden weit über die Grenzen der Region zu spüren sein“, sagte der Direktor des WFP in Deutschland, Martin Frick.
Agrarhandel: Hungersnot muss abgewendet werden
Ähnlich schätzt der Agrarhandel die Lage ein. „Weitere Preiserhöhungen an der Supermarktkasse sind unausweichlich. In Deutschland ist es allerdings nur eine Preisfrage und keine existentielle. In Schwellenländern sieht die Sache ganz anders aus. Viele dieser Länder sind mit ihrem Import-Budget am Ende und es ist Zeit für die Bundesregierung, Programme für umfangreiche Nahrungsmittelhilfen vorzubereiten“, so Thorsten Tiedemann, Vorsitzender des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse e. V.
Die weltweite Versorgungslage mit Getreide als wichtigstem Grundnahrungsmittel hat sich durch diese geopolitische Eskalation nach Einschätzug des Bundeswverbandes Agrarhandels weiter verschärft. Die Ukraine, Russland und Kasachstan seien zu Schwergewichten an den Weltmärkten geworden. Zwar produzieren sie gemeinsam nur ca. 8 % der Weltgetreidemenge, sind aber für durchschnittlich 23 % des Weltexportvolumens verantwortlich.
Die Ukraine allein soll in diesem Jahr mehr als 60 Mio. t Getreide ausführen. Pro Monat exportiert das Land damit mehr als Deutschland im ganzen Jahr. „Landwirte in der Ukraine sehen momentan nachvollziehbar die Versorgung der eigenen Bevölkerung als absolute Priorität und denken nicht mehr an Vermarktung. Diese Mengen fehlen am Weltmarkt, was sich unmittelbar auf die Getreidepreise auswirkt“, so Thorsten Tiedemann, Vorsitzender des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse e. V.
Der Weizenpreis an der Matif ist binnen Monatsfrist um ca. 100 EUR/Tonne auf jetzt 360 EUR angestiegen. Mais stieg im gleichen Zeitraum um 128 EUR auf jetzt 377 EUR.
Schlecht versorgte Bestände senken Ertragserwartungen
Aufgrund der hohen Stickstoffpreise und der geringen Düngerverfügbarkeit sind die Bestände dieses Jahr schlecht mit Stickstoff versorgt. Das gibt Rainer Schuler, Präsident des Bundesverbandes Agrarhandel zu bedenken: „Die Landwirtschaft ist im laufenden Jahr schlechter mit stickstoffhaltigen Düngemitteln versorgt als je zuvor. Dieser Versorgungsrückstand wird sich im Laufe der Frühjahrssaison nicht mehr aufholen lassen mit absehbaren negativen Auswirkungen bei Ertrag und Qualität für die kommende Ernte.“
Dabei zieht die Knappheit an Stickstoffdüngern weitere Kreise über die Ukraine hinaus. Selbst aus Bulgarien wird berichtet, dass die Landwirte im Herbst aufgrund hoher Preise nichts bezogen hätten und es jetzt zunehmend schwerer wird, noch an Ware heranzukommen.
Warnung vor Spekulation mit Getreide an der Börse
Die aktuelle Preisentwicklung wird nach Erwartungen von Rudolf Sagberger, Vorstandsvorsitzender des Bayerischen Müllerbundes, eine Spirale in Gang setzen, vor der auch der deutsche Markt nicht verschont bleibe. In diesem Zusammenhang warnte er vor der Spekulation mit Weizen an der Börse. Die Ukraine und Russland sind mit zusammen 29 Prozent der Welt-Weizen-Exporte bedeutende Exporteure auf dem internationalen Weizenmarkt. Aufgrund des Krieges in der Ukraine ist es fraglich, wann die Schwarzmeer-Region als sichere Export-Region wieder zur Verfügung steht. Wichtige Import-Nationen von russischem und ukrainischem Weizen wie Länder in Nordafrika und Asien sowie die Türkei werden ihren Bedarf folglich stärker in der EU decken. Diese zusätzliche Nachfrage trifft hierzulande auf knappe Läger, was wiederum zu weiter steigenden Preisen führt.
Sagberger wirft die Frage auf, ob ein Gut wie Weizen, das ein Basis-Rohstoff in der globalen Lebensmittelversorgung ist, an internationalen Börsen gehandelt werden dürfe. „Sollte es nicht Leitplanken vom Staat geben, damit die Preise nicht exorbitant in die Höhe schießen?“, regt Sagberger eine Diskussion hierüber an. Wohlstandsgesellschaften könnten sich die aktuellen Preiserhöhungen noch leisten, für ärmere Länder könnten sie drastische Folgen haben und letztlich die Versorgung der Bevölkerung gefährden.