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Tierhaltungskennzeichnung

Tierwohl-Label: ISN hält Özdemir-Kommentar für „ignorant“

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Josef koch
Josef Koch
am Montag, 12.12.2022 - 10:47

Bundesagrarminister will Pflicht-Label durchziehen und erteilt Borchert-Kommission eine Absage.

Aus Sicht der Interessengemeinschaft für Schweinehalter Deutschland (ISN) sind die Äußerungen des Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemirs zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz „ignorant und unerträglich“.

Özdemir will den Gesetzesentwurf zum staatlichen Pflicht-Tierwohllabel durch die parlamentarischen Instanzen peitschen, obwohl der Bundesrat gerade erst in seiner Stellungnahme fast 60 Änderungen eingefordert hat. Ab Donnerstag (14.12.) beginnen dazu die ersten Lesungen im Bundestag. Im kommenden Frühjahr soll das Gesetz in Kraft treten.

Und zuvor haben bereits landwirtschaftliche Organisationen sowie Tier- Umwelt- Naturschutzverbände und weitere Organisationen in über 30 Stellungnahmen – alle veröffentlicht auf der Internetseite des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) – massive und einhellige Kritik geäußert und die Mängel aufgeführt.

ISN warnt vor weiterem Vertrauensschwund

Beispiellos ignorant sei es, wie die Bundesregierung Hauptkritikpunkte mit rechtlichen Bedenken vom Tisch wischt, kritisiert ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack die Reaktion des Kabinetts auf die Einwände zum Gesetzentwurf. Geradezu unverfroren sei die generelle Absage an das Borchert-Konzept, findet Staack. „Da sei es doch kein Wunder, wenn jegliches Vertrauen in die Politik schwinde. Damit würden die Schweinehalter jegliche Planbarkeit verliere.

Staack hinterfragt kritisch die Rolle der SPD. So hat die größte Ampelpartei in der vergangenen Legislaturperiode auch im Bund mitregiert, als das Borchert-Konzept entwickelt wurde, das den Tierhaltern endlich wieder eine Perspektive eröffnen sollte. Und erst vor wenigen Monaten hat man sich auch aus den Reihen der SPD noch zum Borchert-Konzept bekannt. Wie passt das mir dem jetzigen Vorgehen des Kabinetts zusammen?

Staack fordert von allen Abgeordneten des Bundestages, besonders von denjenigen der SPD, dem „Spuk des vorliegenden mangelhaften Gesetzentwurfes aus dem BMEL ein Ende“ zu machen. Notwendig sei eine sinnvolle verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung. „Verabschieden Sie sich nicht vom Grundgedanken des Borchert-Konzeptes – verabschieden Sie sich nicht von der Tierhaltung in Deutschland“, appelliert Staack an die Bundestagsabgeordneten.

Absage an Borchert-Kommission

Nicht einverstanden ist die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Entschließung der Länderkammer mit der deren Forderung, der Umbau der Tierhaltung müsse auf der Grundlage der Vorschläge der Borchert-Kommission erfolgen. Sie argumentiert, dass sich die Empfehlungen des Kompetenznetzwerks von 2020 an dem damals vorgesehenen Konzept eines freiwilligen Tierwohlkennzeichens sowie den Stufen 2 bis 4 vom Haltungsformkennzeichen des Lebensmitteleinzelhandels orientiert hätten. Der nunmehr geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichnung liege ausdrücklich kein Stufenmodell zugrunde, so das BMEL.

Die Bundesregierung lehnt es des weiteren ab, die verpflichtende staatliche Haltungskennzeichnung auf ausländische Produkte auszudehnen. In ihrer Gegenäußerung zur Entschließung des Bundesrats mit fast 60 Änderungswünschen, verweist die Regierung auf rechtliche Bedenken, die gegen eine Kennzeichnungspflicht für Waren sprechen, die ganz oder auch nur teilweise außerhalb Deutschlands hergestellt werden.

Weitere Produkte und Tierarten im Blick

Offen zeigt sich die Bundesregierung gegenüber der Kritik der Länderkammer, die Kennzeichnung zunächst auf frisches Schweinefleisch und den Abschnitt der Mast sowie die Vermarktung über den Lebensmitteleinzelhandel zu beschränken. Laut Gegenäußerung soll die verpflichtende staatliche Kennzeichnung „schrittweise auf Vermarktungswege, Haltungsabschnitte, Produkt- und Tierarten ausgeweitet werden“. Allerdings lässt das BMEL offen, wann und wie das erfolgen soll. Die Regierung kündigt zudem an, Anpassungen bei den immissionsschutzrechtlichen Regelungen vorzunehmen, um den Um- und Neubau tierwohlgerechter Ställe zu erleichtern. Parallel zum Gesetz sollen demnach „verlässliche und klare Vollzugsregelungen zur Technischen Anleitung Luft“ beschlossen werden. Ziel sei es, die Erleichterung von Emissionsminderungsverpflichtungen für qualitätsgesicherte Haltungsverfahren mit den Kriterien für die Haltungsformen Frischluft, Auslauf/Freiland und Bio in Einklang zu bringen.

Problematisch sind aber die bisherigen Pläne der Regierung, um das Baurecht für Tierwohlställe zu ändern. Diese sehen bisher zumindest deutliche Einschränkungen für Tierhalter vor, wie das Wochenblatt kürzlich berichtete.

Bis März 2023 Finanzierungsvorschläge denkbar

Durchaus mitgehen kann der Bund mit der Forderung der Länder nach einem Finanzierungskonzept für den Umbau der Tierhaltung. Nachdem mit der Bereitstellung von 1 Mrd. Euro im Bundeshaushalt eine Anschubfinanzierung ermöglicht hat, soll eine Koalitionsarbeitsgruppe über eine weitergehende Finanzierung beraten, heißt es in der Gegenäußerung. In einem Pressegespräch hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir kürzlich angekündigt, dass die Arbeitsgruppe bis März 2023 entsprechende Vorschläge vorlegen soll. Der Agrarminister hält allerdings nur Tierwohl-Abgabe auf Fleisch und Fleischprodukte für politisch realisierbar. Für eine rein privatwirtschaftliche Finanzierungslösung sieht Özdemir innerhalb der Koalition wenig Akzeptanz. Diese favorisiert die FDP, allerdings kann sie sich inzwischen unter bestimmten Bedingungen auch mit einer Abgabe anfreunden. Höhere Mehrwertsteuersätze auf Fleisch lehnten die Liberalen laut Özdemir ab.

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