Die geplanten Änderungen des Tierarzneimittelgesetzes st0ßen bei Experten auf unterschiedliche Resonanz. Das wurde bei der Anhörung von Sachverständigen am Montag (18.10.) im Agrarausschuss deutlich. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass auch in Milchviehbetrieben Antibiotika-Gaben in einer Datenbank zu melden sind. Zudem sollen künftig Tierärzte für die Meldung verantwortlich sein. Und das bereits ab 1. Januar 2023.
Auch Milchbauern trifft es
Roger Fechner vom Deutschen Bauernverband hält die Einführung der Dokumentation für zu früh und plädierte für einen Übergang. Die vorgesehene Erweiterung des nationalen Antibiotikaminimierungskonzeptes und die Aufnahme neuer Nutzungsarten würden vor allem Milchviehbetriebe betreffen. Allein bei dieser Tierart seien fast 40.000 Betriebe mit ihren Tierärzten betroffen. Entsprechende Strukturen, Datenbankabläufe sowie deren Umsetzung durch Tierärzte und Landwirte seien derzeit aber noch unklar. Eine reibungslose Umsetzung der Meldevorschriften unmittelbar zum 1. Januar 2023 sei somit praktisch nicht möglich. „Es bedarf der Einrichtung von zeitlichen Übergangsregelungen bis zur Festlegung einer verbindlichen Meldepflicht“, empfahl Fechner.
Tierärzte wehren sich gegen Meldepflicht
Tierarzt und Agraringenieur Andreas Wilms-Schulze Kump, Experte für industrielle Massentierhaltung, gab zu bedenken, dass nicht alle Verantwortung auf die Tierärzte abgeladen werden könne. „Beim Tierschutz und beim Tierwohl tragen auch die Landwirte Verantwortung“, sagte der Sachverständige. Der bürokratische Aufwand für Tierärzte steige seit Jahren. Junge Ärzte seien „genervt“ von den zahlreichen Verwaltungsaufgaben, „kleineste Fehler können schwere Folgen haben, bis zu Polizeieinsätzen“, so Wilms-Schulze Kump.
Er stellte die Frage, ob das vorgesehene Antibiotikaminimierungssystem überhaupt sinnvoll sei, nachdem in den letzten Jahren der Antibiotikaeinsatz ohnehin schon gesunken sei.
Zwei Seiten von geänderten Haltungsformen
Allerdings hält Andreas Wilms-Schulze Kump eine Änderung der Tierhaltung „in einigen Fällen für durchaus sinnvoll, um eine Verbesserung der Tiergesundheit zu erreichen“. So könne durch Änderungen in der Haltung von Masthähnchen ein positiver Effekt nachgewiesen werden. Allerdings gebe es auch Fälle, bei denen eine Änderung der Tierhaltung hin zu Haltungsformen mit einer vermeintlichen Verbesserung des Tierwohls ein genau gegenteiliger Effekt bei der Tiergesundheit erreicht werde. Das sei seiner Meinung nach bei der Freilandhaltung von Legehennen der Fall. Dort sei ein vermehrtes Auftreten von E.coli-Infektionen zu beobachten.
Probleme bei Mengenangaben befürchtet
Vor zu viel Bürokratie warnte auch Iris Fuchs, erste Vizepräsidentin der Bundestierärztekammer (BTK). Sie appellierte für mehr Pragmatismus. „Wir lehnen die Übertragung der Meldeverantwortung, nicht zuletzt aufgrund der eindeutigen Besitzverhältnisse bezüglich der Tiere, ab“, sagte Fuchs. Insbesondere sei zu bedenken, dass aufgrund des Wegfalls der jetzigen Tierhalterbestätigung die gemeldeten Mengen nicht in jedem Fall den durch die Tierhalter angegebenen Mengen entsprächen.
So würden im angedachten Konzept mehr Behandlungen gemeldet werden, als tatsächlich stattgefunden haben, wenn Tiere während der Behandlung versterben, im angedachten Konzept Zum anderen sollen nach Artikel 56 Tierärzte „die insgesamt verschriebene, angewendete oder abgegebene Menge dieser Arzneimittel“ melden. Während die angewendete Menge genau der verabreichten Menge entspreche, würde die abgegebene Menge nur dann der durch die Tierhalterin oder den Tierhalter angewendeten Menge entsprechen, wenn die im Handel verfügbare Packungsgröße der benötigten Menge entspreche. Sollte es dort zu Fehlern kommen, müsse der Tierarzt mehr abgeben oder durch Umfüllen und Abpacken die passende Menge auseinzeln. Dies sei gerade bei sterilen Injektionslösungen aufgrund der Anbruchstabilität praktisch nicht möglich, so dass bei der Abgabe hier in aller Regel nach dem Ende der Behandlung eine Restmenge bei den Tierhaltern verbleibe. Werde diese Restmenge nicht erneut mit dem sogenannten Nullbeleg, der nach wie vor rechtlich nicht verankert sei, verordnet, würden auch diese abgegebenen, aber nicht angewendeten und damit zu entsorgenden Restmengen in der Datenbank erfasst und an die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) gemeldet werden. Folge: Deutschland wird effektiv mit einer höheren als der tatsächlichen Anwendungsmenge an antibiotischen Substanzen im europäischen Vergleich dargestellt. Deshalb brauche es im Gesetz noch Änderungen.
Startzeitpunkt ist zu früh
Dafür bekam Iris Fuchs Zustimmung von Michael Schmaußer vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte. „Die knappe Ressource Tierarzt sollte besser genutzt werden als zum Abarbeiten von Bürokratie“, sagte Schmaußer. Auch er hält den Start zum 1. Januar 2023 für „zu früh“.
Vor Einführung des Monitoringsystems im Mastbereich habe bereits eine funktionierende Meldestruktur über das private Qualitätssicherungssystem QS bestanden. Nur deshalb sei es seinerzeit möglich gewesen, dass die benötigten Daten innerhalb kürzester Zeit in die staatliche Datenbank geliefert werden konnten. Doch die Situation im Rinderbereich sehe „ganz anders aus“. Deshalb sollte das Jahr 2023 als „Probelauf“ gelten.
Darum sollen Tierärzte in die Pflicht genommen werden
Heidi Kuiper, Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Niedersachsen, hingegen begrüßt das Gesetz. Vor allem der Wechsel der Pflicht zur Meldung der Antibiotikaanwendung weg von Haltern hin zu Tierärzten gemäß des aktuellen Tierarzneimittelgesetzes sei sinnvoll.
Schließlich sei langfristig das Anwenden von Antibiotika nicht nur bei Lebensmittel liefernden Tieren, sondern auch beispielsweise bei Pferd, Hund und Katze zu erfassen. Für Tierhalter dieser Tierarten gebe es kein bestehendes System zur Erfassung des Antibiotikaeinsatzes.