Pähl/Obb. Im oberbayerischen Pähl ist die Welt eigentlich in Ordnung: Weißblauer Himmel, Kühe auf der Weide und eine Kirchenglocke, die noch läuten darf. Doch die Idylle täuscht. Die 2500-Seelen-Gemeinde im Kreis Weilheim-Schongau war gerade prächtige Kulisse für ein besonderes Sommertheater, das der Freistaat in dieser Form noch nicht erlebt hat. Mittendrin: Der stellvertretende Ministerpräsident des Freistaates, der auf der grünen Wiese den Kuhfladen fast so elegant ausweicht, wie ein Skifahrer den Slalomstangen. Sein Auftrag: Schauen, „ob die Kühe noch scheißen dürfen“. Wie bitte? Ja richtig, das Thema der Inszenierung ist, im wahrsten Sinne des Wortes, Mist. Es geht um großes Geschiss wegen ein paar Kuhfladen.
Die drängende Frage: Mit wie vielen Kuhfladen dürfen Kühe die Straßen im Ort verunreinigen? Und wann ist es genug? Im Zentrum des Streits steht Landwirt Georg Schweiger. Seit dem Jahr 1666 betreibt seine Familie Landwirtschaft und hat dabei einiges erlebt, erzählt Schweiger. Doch einen Bußgeldbescheid wegen Kuhmist, das habe es in all den Jahren nicht gegeben. Die Kühe des 51-Jährigen, so sieht es zumindest die örtliche Gemeinde, haben eine Straße „durch dünnflüssigen Tierkot großflächig verschmutzt“. Nun soll Schweiger dafür zahlen: 100 Euro Bußgeld plus 28,50 Euro Bearbeitungsgebühr.
Das ist Mist, findet Schweiger. Das gehe nicht anders, entgegnet der örtliche Bürgermeister Werner Grünbauer, der ebenfalls Landwirt ist und deshalb weiß, wie er sagt, „dass die Kühe natürlich scheißen“. Es tue ihm ja selbst Leid, aber „der Herr Schweiger“ habe das schon auch selbst verschuldet. „Wenn man aus der eigenen Straße nicht mehr rauskommt, ohne in der Scheiße zu stecken, dann geht das nicht.“ Und dann kommt auch noch der Anwohner, ein „Zuagroaster“, wie einige örtliche Bürger schimpfen, und beschwert sich bei der übergeordneten Behörde, dem Landratsamt. Grünbauer wiederum hatte den Mist. Er musste tätig werden und stellte ein Bußgeld – „das niedrigste, das möglich ist“ – wegen der Hinterlassenschaften aus.
Georg Schweiger blättert durch den Bescheid und starrt auf die Weide. „Ich habe ja immer den Dreck weggekehrt. Aber das war halt flüssig, das geht halt nicht mit der Schaufel.“ Und so ist der zähe Kuhfladen-Streit mehr als nur der Streit um 128,50 Euro. Er steht auch sinnbildlich dafür, wie viel Toleranz für Landwirte aufgebracht werden muss, oder ob Landwirte überhaupt noch Verständnis im ländlichen Raum für einen Kuhfladen erwarten können. Ein Thema, bei dem sich nicht nur Landwirt Schweiger etwas mehr göttlichen Beistand wünschen würde. Den wiederum sieht das Pähler Schauspiel zwar nicht vor, aber immerhin einen Auftritt des stellvertretenden Ministerpräsidenten.
Eine ordentliche Duftmarke gesetzt
Der erkennt sofort das Potenzial des Kuhfladen-Streits, um ein Bekenntnis für die Landwirtschaft abzugeben – und dabei in die eigene Tasche zu greifen. Der Kuhfladen gehe auf ihn, sagte Hubert Aiwanger dem Wochenblatt auf Anfrage und setzt eine ordentliche Duftmarke, die selbst Journalisten im fernen Berlin riechen. Heiliger Kuhfladen. Und: „Ich kann die Kühe halt nicht mit dem Hubschrauber auf die Weide fliegen und ihnen auch keine Windel anlegen. Das passiert eben, dass die Kuh auf die Straße scheißt.“ So nimmt das Schauspiel seinen Lauf.
Am Montag kam der stellvertretende Ministerpräsident höchstpersönlich auf die Weide, um zu schauen, „ob die Kühe noch scheißen dürfen“. Laut der „Welt“ war die Visite von Aiwanger einer „der meistbesuchten Pressetermine in der Geschichte des bayerischen Wirtschaftsministeriums“ überhaupt. Bestätigen will das ein Ministeriumssprecher nicht, ein Dementi gibt es aber auch nicht. Unbestritten ist, dass sich in der langen Geschichte von Pähl wohl noch nie so viele Kamerateams auf einer Kuhweide versammelt haben. Entsprechend gut aufgelegt war FW-Parteichef Aiwanger, der nicht nur Journalisten vor herannahenden Kühen warnte, sondern als Stärkung für das Schauspiel Kuchen, Wurstsemmeln und kalte Getränke spendierte.
Touristen wollen keine Plastikkühe
Die 130 Euro überreichte Aiwanger schön sichtbar in eine Klarsichtsfolie gepackt. Mit Landwirt Schweiger ist sich Aiwanger einig: 130 Euro für Kuhfladen auf der Straße – das ist wirklich Mist. Und weil Kühe zum ländlichen Leben dazu gehören, dürfe es nicht sein, dass der Landwirt für die Kuhfladen 128,50 Euro von der örtlichen Gemeinde aufgebrummt bekommt. Dass Kühe mal etwas fallen lassen, das gehöre im ländlichen Raum dazu – so wie das Läuten des Kirchturms oder das Krähen des Hahns, erklärt Aiwanger.

Und dann legt er noch nach: „Wir wollen hier nicht Plastikkühe auf die Weide stellen und mit dem Elektromotor den Schwanz antreiben, damit der Tourist seine Freude hat.“ Das Thema Kuhfladen sieht Aiwanger, selbst gelernter Landwirt, nicht nur im Landwirtschaftsministerium angesiedelt. Er sei auch Tourismusminister und deshalb falle das Thema sehr wohl in seine Zuständigkeit. Das habe er natürlich drauf. Es brauche schließlich Politiker, die sich vor die Landwirte stellen, „nicht nur in der Sonntagsrede, sondern auch dann, wenn es ernst wird.“ Worte, die der eigentlich für Landwirtschaft zuständigen Ministerin Michaela Kaniber von der CSU sicherlich nicht gefallen. Immer wieder gibt es dem Vernehmen nach innerhalb der Koalition Streit, weil sich Aiwanger in landwirtschaftliche Themen einmischt.
Und was sagt Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber? Sie will dem Thema keine allzu große Beachtung schenken. Doch der Kuhfladen-Streit könnte auch koalitionsintern noch für ordentlich Stunk sorgen. Sie sei beeindruckt, wie viel Raum so ein Thema einnimmt, sagte Kaniber nach der Kabinettssitzung am Dienstag. Es gebe bei jedem Thema zwei Seiten. „Wir alle wissen, dass wenn es zu solchen Verschmutzungen auf Straßen kommt, auch laut Straßenverkehrsordnung, nun mal auch eine Strafe sein könnte.“ Dennoch sei klar: „Wer Kühe auf der Weide will - und das wollen wir wohl alle - der muss auch akzeptieren, dass Kühe über die Straße müssen.“ Und da brauche es das Verständnis der Bevölkerung, dass es auch eine gewisse Zeit dauern kann, bis die Verschmutzungen auf der Straße wieder beseitigt sind.
Der örtliche Kreisobmann Wolfgang Scholz hat zu der Debatte eine klare Meinung: „Es ist doch selbstverständlich, dass eine Kuh auch mal einen Fladen fallen lässt.“ Dass so etwas mit einem Bußgeld belegt werde, dass sei für ihn bislang unvorstellbar gewesen. Nun sei die Politik am Zug: „Nach den schönen Worten müssen nun Taten folgen. Eine solche Bußgeldanordnung darf nicht mehr möglich sein. Hier geht es auch um die Verhältnismäßigkeit!“ Es sei halt einfach „höhere Gewalt, dass die Kuh nun mal ihren Fladen loslässt.“
BBV-Kreisobmann Wolfgang Scholz betont: Es sei höhere Gewalt, dass die Kuh ihren Fladen loslässt.
Hoffen auf ein Happy End
Und Landwirt Georg Schweiger? Der hofft, dass die Gemeinde nun doch noch den Bußgeldbescheid zurückzieht. Einspruch hat er schon erhoben, die Sache liegt mittlerweile bei der Staatsanwaltschaft. Das Problem sei sowieso vorbei. Seine Kühe sind soeben in einen Laufstall umgezogen, mit direktem Weidezugang. Sollte sich der Kuhfladen-Streit gütlich lösen lassen, werden Aiwangers 130 Euro an den Kindergarten gespendet. Dann hätte das ganze Theater auch noch ein Happy End.