Berlin - Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sah sich zum Start der Internationalen Grünen Woche mit schweren Angriffen aus Bayern konfrontiert. Staatsministerin Michaela Kaniber (CSU) warf ihm unter anderem Desinteresse an der Landwirtschaft vor. Das Wochenblatt hat Özdemir in den Berliner Messehallen mit den Vorwürfen konfrontiert. Bei der Antwort schlägt der sonst eher als zurückhaltend geltende Bundesminister einen für ihn erstaunlich scharfen Ton an.
Herr Bundesminister, die bayerische Staatsministerin Michaela Kaniber hat Ihnen zum Start der Grünen Woche Desinteresse an der Landwirtschaft vorgeworfen.
Man kennt es ja leider von der CSU in Bayern, dass Reden und Handeln nicht immer zueinander passen. Ich möchte hierzu ein paar Zahlen nennen: In Bayern ist die Zahl der Schweine haltenden Betriebe laut Landwirtschaftszählung des Bundesstatistikamtes von 20 000 im Jahr 2010 auf 9000 im Jahr 2020 zurückgegangen. Das entspricht einem Rückgang um 54 Prozent – durchgehend unter CSU-Regierung. Unter der CDU-Regierung im Bund, also der Schwesterpartei von Frau Kaniber, sind es ähnliche dramatische Zahlen: Da ging die Zahl der Betriebe von 60 000 im Jahr 2010 auf 32 000 im Jahr 2020 zurück. In der Zeit haben die Grünen weder in Bayern noch im Bund regiert. Das ist die Bilanz der CDU und auch der CSU. Damit ist alles zu dem Thema gesagt. Frau Kaniber, die CSU und meine Vorgänger der Union in meinem Ministerium stehen für den Abbau der Tierhaltung, stehen für ein Ende der Schweinehaltung in Deutschland. Ich will das jetzt ändern.
Die bayerische Landwirtschaftsministerin wird das anders sehen.
Anstatt dass Frau Kaniber mir dabei hilft, der Tierhaltung in Deutschland eine Zukunftsperspektiven zu geben, macht sie lieber Parteipolitik. Leider nach dem Motto, wie es bei der CSU in Bayern ja bekannt ist: Erst die Person, dann die Person und dann die Person. Bei mir heißt das Motto: Erst das Land, dann kommt lange nichts, und dann kommt die Partei, und ganz zum Schluss kommt die Person. Ich lade Frau Kaniber ein: Weniger Polemik, lieber die Ärmel hochkrempeln und mitanpacken. Schade, dass sie Wahlkampf macht, denn das hilft keinem einzigen Tierhalter in Deutschland.
Auch der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern übt immer wieder Kritik.
Hubert Aiwanger hat offensichtlich die Donald-Trump-Gedächtnisschule in Bayern besucht. So kann man Politik machen, dann stärkt man aber den Populismus und die Fanatiker. Ich mache Politik mit Maß und Mitte. Auch hier nochmals: Ich weiß, dass in Bayern Wahlkampf ist. In dieser Zeit schwätzt man auch viel Quatsch, aber das nützt niemanden.
Frau Kaniber spricht davon, dass Sie die Tierhaltung nicht um-, sondern abbauen wollen. Was entgegnen Sie?
Ich habe die Afrikanische Schweinepest ja nicht erfunden, weswegen China kein deutsches Schweinefleisch mehr kauft. Die bittere Wahrheit ist, dass dieser Markt vermutlich auch nicht wiederkommen wird. Wir müssen damit also umgehen. Ich habe auch den steten Rückgang des Fleischkonsums nicht zu verantworten, den gab es schon vor meinem Amtsantritt. Wofür ich jetzt sorge, ist, dass es endlich eine verlässliche Finanzierung für den Umbau der Tierhaltung gibt – mit mehr Tierwohl, mehr Umwelt- und Klimaschutz. Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen, dass Tiere mehr Platz bekommen und besser gehalten werden, was auch Umwelt und Klima zugutekommt, dann müssen die Landwirtinnen und Landwirte für diese öffentliche Leistung Geld bekommen. Dafür habe ich eine Milliarde Euro als Anfangsfinanzierung gesichert.
Michaela Kaniber beklagt, dass Sie zu wenig Geld für den Umbau zur Verfügung stellen würden.
Frau Kaniber kann mir auch helfen, dass mehr daraus wird. Dass sie stattdessen lieber Parteipolitik macht, finde ich schade. Ich habe Michaela Kaniber meine Hand ausgestreckt, aber es braucht immer zwei dazu. Eine ausgestreckte Hand muss erwidert werden. Bayern entscheidet sich derzeit für Wahlkampf, ich entscheide mich dafür, der Tierhaltung in Deutschland eine Zukunft zu geben. Der Lebensmitteleinzelhandel finanziert ja bereits den Umstieg von Betrieben zu „Stall plus“ und hat zugesagt, sich auch weiter zu engagieren. Ich habe jetzt eine Milliarde Euro, um beim Umbau der Schweinehaltung anzufangen. Das reicht erst mal für die ersten Jahre, denn die Betriebe werden nicht alle mit einem Schlag umbauen. Danach brauchen wir eine Anschlussfinanzierung – und darüber berät derzeit die Koalition. Frau Kaniber kann mir dabei helfen, indem sie gemeinsam mit mir für die Notwendigkeit wirbt und dafür sorgt, dass wir Mehrheiten generieren.
Haben Sie die Hoffnung, dass Frau Kaniber da einschlägt?
Klar ist eines: Jeden Tag, an dem die CSU lieber Wahlkampf macht, anstatt mit anzupacken, geben weitere Höfe auf. Damit verschwindet jeden Tag ein Stück bäuerliche Vielfalt und Reichtum im ländlichen Raum. Ich sage es nochmals: Weder in Bayern, noch im Bund haben die Grünen regiert, als wir ein dramatisches Höfesterben hatten. Und weder in Bayern noch im Bund haben die Grünen regiert, als die Politik das Motto „wachse oder weiche“ ausgerufen hat. Das ist eine klare Einstellung der CDU und CSU – mit dem bekannten Resultat: Einige wenige Große überleben, die Kleinen haut es raus. Das ist aber nicht mein Motto. Ich bin angetreten, um genau das zu ändern.
Digitale Ausgabe Bayerisches Landwirtschaftliches Wochenblatt
Dies war ein Ausschnitt aus dem Interview mit Bundesagrarminister Cem Özdemir.
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