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Interview

Michaela Kaniber: „Ich fühle mich der Landwirtschaft verbunden!"

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Redaktion Wochenblatt
am Freitag, 17.03.2023 - 11:58

Farming. Future. Friends – Landwirtschaft, Zukunft, Freundschaften, das bewegt den Nachwuchs in der Landwirtschaft. Neun Grundkursler stellen Fragen an Bayerns Landwirtschaftsministerin.

Herrsching - Der 128. Herrschinger Grundkurs hat sich mit Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber zum Interview getroffen. Der Grundkurs umfasst 45 junge Leute, davon 13 Frauen und 32 Männer. Alle haben eine fundierte landwirtschaftliche Ausbildung. Ministerin Kaniber konfrontierten sie nun mit den Themen, die ihnen persönlich jeden Tag in der Praxis begegnen.

Franziska: Wir haben uns heuer im Grundkurs das Motto Farming. Future. Friends gegeben. Deshalb interessiert uns: Was halten Sie von Fridays for Future?

Auch vor unserem Landwirtschaftsministerium, in München am Odeonsplatz, demonstrieren immer wieder Menschen von Fridays for Future. Ich habe größten Respekt davor, wenn sich vor allem junge Menschen in einer Gemeinschaft stark machen fürs Klima. Aber ich habe leider den Verdacht, dass viele der Teilnehmenden weit weg von der Landwirtschaft aufwachsen. Einige der Demonstrierenden sollten mal für eine Woche auf einem landwirtschaftlichen Betrieb mitarbeiten. Das kann ich allen jungen Menschen empfehlen.

Maria K.: Vielen fehlt Basiswissen über die Landwirtschaft. Was tun Sie für mehr Aufklärung?

In unserer immer schneller werdenden Gesellschaft hat fast keiner mehr Zeit, auch grad für den Einkauf von Lebensmitteln. Fertigprodukte sind häufig Alltag. Corona hat uns geholfen, das Thema Ernährung wieder ein Stück mehr ins Bewusstsein zu rufen. Bei der Aufklärung müssen wir tatsächlich bei den Kleinsten ansetzen. Ganz wichtig sind dabei Projekte wie das Programm „Erlebnis Bauernhof“ oder „Landfrauen machen Schule“ und natürlich die Projektwochen „Alltagskompetenzen – Schule fürs Leben“ an allgemeinbildenden Schulen. Praxisnahes Wissen über die Erzeugung und Verwendung von Lebensmitteln vermitteln auch die bayerischen Landwirtschaftsschulen in der Abteilung Hauswirtschaft.

Matthias: Im Dezember 2022 wurden mehr Flächen zu Roten Gebieten, die zuvor noch Grüne Gebiete waren. Auch bei uns war das so, obwohl wir in der Nähe einen sehr guten Brunnen haben. Dieser Brunnen fällt aber aus der Bewertung heraus.

Die Entscheidung darüber, ob ein Brunnen als Messstelle geeignet ist, trifft das Landesamt für Umwelt. Ich setze mich auf Bundes- und EU-Ebene stark dafür ein, dass Betriebe, die gewässerschonend wirtschaften und die das auch nachweisen können, Erleichterungen bei den Maßnahmen in den roten Gebieten bekommen können. Wir erwarten, dass die Bundesregierung die rechtlichen Grundlagen schafft, dass einem ordentlich wirtschaftenden Landwirt ermöglicht wird, sich von diesen Auflagen und Maßnahmen befreien zu lassen. Der Bundeslandwirtschaftsminister hat zugesagt, eine solche Regelung zu erarbeiten. Wir nehmen ihn beim Wort.

Maximilian: Wieso gelingt es dem Freistaat nicht, den Flächenfraß zu stoppen?

Das hat verschiedene Gründe. Natürlich brauchen wir Infrastrukturmaßnahmen. Aber braucht jede dieser Infrastrukturmaßnahmen auch einen maximalen naturschutzfachlichen Flächenausgleich? Oder wäre es nicht sinnvoll, dass man Landwirten genau auf diesen Flächen ermöglicht, diese umweltgerecht zu bewirtschaften und sie dabei nicht stillzulegen? Ich glaube, dass man produktionsintegriert arbeiten kann und muss. Wir haben die Bayerische Kompensationsverordnung, diese muss evaluiert und überarbeitet werden. Mit Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger diskutiere ich beim Thema Energiepolitik immer wieder über Freiflächenphotovoltaikanlagen. Es müssen mehr PV-Anlagen auf den Dächern landen. Und ich erwarte mir auch von einem Energieminister, der selbst auch mal Landwirt war, dass er nicht einerseits im Ostallgäu ins Bierzelt geht und sagt, er sei der Beschützer der Bauern, und dann aber 300 PV-Freiflächenanlagen pro Jahr auf bayerische Äcker und Wiesen stellen will. Hier können wir Flächen für die Produktion bewahren, wenn wir klüger vorgehen.

Matthias: Die Fälle von Burn-out in der Landwirtschaft steigen stark an. Was tun Sie, um den Bürokratiedruck für Landwirte zu verringern?

Solche Fälle sind mir leider auch bekannt. Wir haben zum Beispiel bei der Rinderhaltung schon eine Erleichterung geschaffen. Etwa beim Eintragen der Ohrmarken: Es ist nun kein Verstoß mehr gegen die Cross-Compliance-Regeln, wenn mal eine fehlt oder ein Fehler passiert. Da gab es bislang oft große Probleme. Mir haben junge Landwirtinnen und Landwirte erzählt, dass sie oft so große Angst vor Zahlendrehern hatten, wenn sie vor dem PC saßen und die Ohrmarken eingegeben haben. Ich bin froh, dass wir in dem Bereich eine Erleichterung schaffen konnten. Wir packen das Thema an. Deswegen gibt es einen Beauftragten der Staatsregierung für Bürokratieabbau.

Simon: Wie soll es bezüglich der vier Prozent Ackerflächenstilllegung 2024 mit der Versorgung aussehen, wenn bereits jetzt Flächenknappheit herrscht?

Ich war eine derjenigen, die Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sehr deutlich zu einem Umdenken in Sachen Ernährungssouveränität aufgefordert hat.

Top vorbereitet: Die Grundkursler fühlten der Ministerin auf den Zahn; ganz hinten <i>Wochenblatt</i>-Redakteurin Carmen Knorr.

Wegen des Krieges in der Ukraine werden die Flächen dort für Jahre erst einmal nicht mehr zur Verfügung stehen. Da können viele landwirtschaftliche Flächen wegen Minen und Blindgängern nicht genutzt werden. Klar ist: Jede weitere Verknappung befeuert den Weltmarkt zusätzlich. In dem Zusammenhang finde ich es zynisch, wenn die Bundesregierung sagt: Afrika müsse sich am Weltmarkt bedienen und dort Getreide einkaufen. Wir überweisen einige Milliarden Euro, dann ist für uns das Problem gelöst. Ich fand diese Haltung unserer Bundesregierung gönnerhaft, ja fast schon kaltherzig. Genau das ist der Punkt: Die Europäische Kommission muss für die Zukunft die Frage beantworten, wie wir die Ernährungssouveränität auf unserem Kontinent sicherstellen und welche Verantwortung wir haben.

Sabrina: Bei uns im Grundkurs sind einige Hofnachfolger eines Milchviehbetriebs. Hat die Milchwirtschaft noch Zukunft?

Ja, natürlich hat die Milchwirtschaft eine Zukunft. Wenn nicht in Bayern, wo denn dann? Der Anteil derer, die sich vegan ernähren, oder zum Beispiel einen Mandel-Drink kaufen, ist sehr gering. Wir dürfen uns nicht blenden lassen von dem Anteil, der sehr diskussionsfreudig ist. Die Milchpreise sind aktuell auch nicht schlecht. Ich würde auf jeden Fall in die Zukunft eines Milchviehbetriebs investieren.

Sabrina: Doch wenn es um das Bauen geht, sind die Kosten gerade extrem hoch und gehen schon für einen normalen Stall mit 50 bis 60 Milchkühen in den Millionenbereich.

Es ist richtig, dass die Baukosten in letzter Zeit sehr deutlich gestiegen sind. Ich habe daher erst kürzlich beschlossen, dass wir das förderfähige Investitionsvolumen in der einzelbetrieblichen Förderung von 800 000 auf 1,2 Millionen Euro erhöhen werden. Damit können wir wirksam unterstützen. Und natürlich sollten bauwillige Landwirte genau kalkulieren und jede Einzelmaßnahme bei der Investition genau auf deren dringende Notwendigkeit prüfen.

Franzi: Eine Million reicht oft nicht.

Ja, aber dafür gibt es ordentliche Förderungen. Die Obergrenze haben wir, wie gesagt, aktuell angehoben. Das Schönste wäre doch aber, wenn der Landwirt überhaupt keine Direktzahlungen in Anspruch nehmen müsste. Das würde ich jedem wünschen. Doch leider geht es oft nicht anders, so lang das Preisgefüge auf dem Markt so ist, wie es ist.

Maria T.: Darf der Handel der Landwirtschaft vorgeben, wo die Reise in Sachen Tierwohl hingeht?

Das basiert alles auf Angebot und Nachfrage. Die Kundinnen und Kunden entscheiden, darauf müssen wir uns alle einstellen.

Sabrina: Doch was ist mit Planungssicherheit? Die Finanzierung eines Stalls läuft bis zu 25 Jahre. Aber wenn ich heute baue, weiß ich nicht, was in fünf bis zehn Jahren ist.

Das ist tatsächlich ein Thema, bei dem Sie mich voll auf Ihrer Seite haben. Diese Standards, die immer weiter nach oben schrauben, zwingen ja genau die Betriebe dazu, aufzuhören. Das müssen wir ändern. Ihr, mit etwa 30 Milchkühen, seid genau die Größenordnungen, die sich die Gesellschaft wünscht und auf die wir in Bayern so stolz sind. Mit dem Borchert-Konzept liegt ein umfassender Plan mit einem konkreten Umsetzungskonzept der Vorgängerregierung in Berlin für mehr Tierwohl vor. Ich fordere Bundesminister Özdemir auf, dieses endlich umzusetzen.

Maximilian: Wie kann man einen Betrieb zukunftssicher aufstellen?

Sie haben Milchvieh und Ferienwohnungen. Genau das ist der Punkt, diese Diversifizierung mit mehreren Standbeinen. Wir haben Schweinehalter, die haben eine PV-Anlage und eine Biogasanlage. Im letzten Herbst durfte ich die Unternehmer des Jahres küren. Vor diesen Betrieben habe ich großen Respekt. Natürlich kann nicht jeder eine Nische bedienen. Doch Ideen wie Hofcafé, Direktvermarktung, Eistorten in eigener Herstellung, die sind echt cool. Man muss kreativ sein und sich ein bisschen was trauen.

Christian: Was unternehmen Sie, damit der Weideabschuss und die Hofschlachtung wieder möglich werden?

Dafür haben wir uns stark gemacht und dieses Vorhaben ausdrücklich unterstützt. Früher war die Hofschlachtung auf den Höfen normal. Wir und auch das Umweltministerium unterstützen das über das Förderprogramm Verarbeitung und Vermarktung. Die Fördersumme wurde kürzlich auch angehoben. Es unterliegen aber immer noch viele Punkte dem Verbraucherschutz. Deswegen schadet es nicht, hier ständig Druck zu machen.

Johanna: Ich bin Winzerin in Unterfranken, dort haben wir mit Trockenheit zu kämpfen. Sollten wir, statt Speicherseen zu bauen, die Gelder nicht besser in die Vermarktung von trockenstresstoleranten Sorten stecken?

Unsere Weinbau-Förderprogramme sind doch genau darauf ausgelegt. Wir haben da zwei Teile: Einmal unterstützen wir Winzer, die ihre Sorten trockenheitsresistenter aufstellen wollen. Zum Zweiten unterstützen wir auch die ressourcenschonende Bewässerung selbst. Sie sagen: Rückhaltebecken seien ein Eingriff in die Natur. Es wird aber nicht anders gehen. Denn es ist langwierig und sehr komplex, den Wasserbedarf über die Züchtung deutlich zu senken. Aber auch trockenstresstolerante Sorten brauchen, zumindest in den Junganlagen und später punktuell, bei ausbleibenden natürlichen Niederschlägen eine Bewässerung. Wenn wir die regionale Lebensmittelproduktion aufrechterhalten wollen, dann brauchen wir Wasser.

Franzi: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie sieht es mit Ihren praktischen Erfahrungen in der Landwirtschaft aus?

Ich bin keine Landwirtin. Das ist bekannt. Ich bin aber auf dem Land groß geworden. Als Kind war ich eigentlich jeden Tag auf einem landwirtschaftlichen Betrieb bei uns im Dorf. Meine Oma hat auch einen Hof gehabt. Aber ja, ich habe nie als Landwirtin gearbeitet. Ich komme aus der Gastronomie und weiß, was es bedeutet, mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu arbeiten. Ich fühle mich unglaublich der Landwirtschaft verbunden, weil ich die Menschen mag. Sie sind ehrlich, direkt, offen und auch herzlich, das liegt mir. Jetzt werden es dann fünf Jahre, in denen ich fast täglich auf dem Bauernhof unterwegs sein darf. Dabei fühle ich mich schon fast wie eine von euch, auch wenn ich nicht selbst im Stall stehe. Aber mein Herz schlägt für die Landwirtschaft, wie Eures auch.

Ein Interview von Franziska Finauer, Maria Kleinheinz, Matthias Weindl, Maximilian Eggensberger, Simon Wagner, Sabrina Oswald, Maria Taferner, Christian Weiher und Johanna Gamm.

Interview in der Münchner Ludwigstraße: Das Presseteam des Grundkurses mit der bayerischen Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber.