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Handel

Mercosur-Abkommen rückt näher: Ein Schlag für Rinderhalter in der EU?

Führen die EU und Südamerika die Verhandlungen zum Mercosur-Abkommen weiter und wird der Handel schließlich erleichtert, werden europäische Rinderhalter voraussichtlich zu den Verlierern gehören. Die London School of Economics and Political Science hat die Auswirkungen in einer Nachhaltigkeitsprüfung beziffert.
Johanna Michel, agrarheute
am Donnerstag, 26.01.2023 - 10:37

Zwischen der EU und Südamerika könnten die Verhandlungen zum Mercosur-Abkommen bald weitergehen. Für europäische Rinderhalter birgt das Abkommen Risiken. Zahlen liefert eine Folgenabschätzung aus London.

Der Regierungswechsel in Brasilien weckt in der Europäischen Union neue Hoffnungen auf ein Handelsabkommen mit den vier südamerikanischen Mercosur-Staaten. Zuletzt sprachen sich die EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen, der EVP-Abgeordnete Manfred Weber und Bernd Lange, Vorsitzender des Haushaltsausschusses im EU-Parlament, für eine Fortsetzung der Verhandlungen aus.

Vom Mercosur-Abkommen erwartet die EU-Kommission geostrategische und wirtschaftliche Vorteile. So könnten die Folgen der Corona-Pandemie, des Ukraine-Kriegs besser abgemildert und der Wandel zu mehr Nachhaltigkeit beschleunigt werden. Dass es für alle Betroffenen nur Vorteile gibt, passiert jedoch selten. Insbesondere Rinderhalter in der EU könnten das Nachsehen haben. Eine Nachhaltigkeitsprüfung der London School of Economics and Political Science von Dezember 2020 beleuchtet die Auswirkungen des geplanten Abkommens. Einer der Schwerpunkte liegt auf der Rinderhaltung in Europa und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay.

Rückgang der Rindfleischproduktion in der EU prognostiziert

In ihrer Nachhaltigkeitsprüfung haben die Wissenschaftler die Folgen eines konservativen und eines ambitionierten Mercosur-Abkommens untersucht. Beim konservativen Szenario wird die Abschaffung der Zölle der Mercosur-Staaten für 80 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte angenommen. Die EU senkt die Zölle im konservativen Szenario für Rindfleisch um 15 Prozent. Auch für weitere Agrarerzeugnisse, die in der Erhebung analysiert werden (anderes Fleisch, Zucker, Reis, Getreide, Milch), verringert die EU die Zolltarife im konservativen Szenario um 15 Prozent.

Im ambitionierten Szenario wird von einer kompletten Abschaffung der Zölle der Mercosur-Länder ausgegangen. Für Rindfleisch, Zucker und Reis senkt die EU die Zölle im ambitionierten Szenario um 30 Prozent. Bei Getreide und Milch fallen die EU-Zölle im ambitionierten Szenario ganz weg; bei der konservativen Analyse wird der Zoll um 15 Prozent reduziert.

Die Nachhaltigkeitsprüfung hat ergeben, dass die Einfuhren von Rindfleisch in die EU im konservativen Szenario um etwa 30 Prozent und im ambitionierten Szenario um etwa 64 Prozent zunehmen würden. In der EU würde die Rindfleischproduktion dann zurückgehen – um 0,7 Prozent beziehungsweise 1,2 Prozent.

Mercosur-Staaten würden von guter Fleischqualität profitieren

Die Autoren der Analyse weisen darauf hin, dass die EU für Rindfleisch Spitzenzölle erhebt, die um ein Vielfaches über dem durchschnittlichen Zoll für andere Produkte liegen. Weil mit dem Rindfleisch aus Südamerika aber eine hohe Qualität verbunden ist, schaffen es die Mercosur-Staaten trotzdem, große Mengen an Rindfleisch zu exportieren, während die Ausfuhr für andere Exporteure wegen der Zölle nicht mehr attraktiv ist.

Der Preis für ein Kilo Rindfleisch aus den Mercosur-Ländern liegt im Schnitt auch deutlich über dem Kilopreis in der EU. Ein wichtiger Qualitätsunterschied ergibt sich aus den Rinderrassen beziehungsweise der Nutzung der Tiere: In der EU stammt ein Großteil des Rindfleischs aus der Milchproduktion (Kühe, Färsen, Kälber), während in Südamerika die Fleischrassen eine viel größere Rolle spielen.

Südamerika ist Nummer 1 für europäische Rindfleischimporte

Seit jeher gehören die Mercosur-Staaten für die EU zu den wichtigsten Rindfleischlieferanten. Bis vor etwa zehn Jahren gingen 73 Prozent der europäischen Rindfleischimporte auf die Mercosur-Staaten zurück; danach ist der Anteil allerdings etwas gesunken. Rindfleisch macht außerdem etwa 3 Prozent aller europäischen Importe aus den Mercosur-Ländern aus.

Während der Rindfleischkonsum in den Mercosur-Ländern ansteigt, ist er in Europa inzwischen rückläufig.

Das Rindfleischangebot – auch von verarbeiteter Ware – ist vielfältig. Weitere wichtige Exportziele für das Rindfleisch aus Südamerika sind Russland, China und Ägypten. Teilweise sind die Exporte in diese Länder sogar größer als die Ausfuhren in die EU.

Mehr Milch würde aus Europa nach Südamerika gehen

Europäische Milchexporte nach Argentinien Brasilien, Paraguay und Uruguay würden um 91 Prozent beziehungsweise um 121 Prozent zunehmen. Darüber hinaus wäre den Autoren zufolge eine Ausweitung der Käseexporte möglich. Umgekehrt würden die Mercosur-Staaten 18 Prozent mehr Milch im konservativen und 165 Prozent im ambitionierten Modell in die EU liefern. Die Ausgangsmengen sind hier jedoch gering. Für eine weitere Steigerung der Milchexporte aus Südamerika müssten mehr Lieferanten insbesondere die Hygienebedingungen und den Tierschutz verbessern.

Darüber hinaus prognostizieren die Wissenschaftler aus London geringere Verbraucherpreise durch das Mercosur-Abkommen. Die EU solle bei bestimmten Agrarprodukten über Quoten und Teilliberalisierungen nachdenken.

EU will Handel anstatt Unabhängigkeit

Der EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis wies am Montag (23.01.) in einer Rede auf die Herausforderungen hin, vor denen die EU momentan steht – beispielsweise dem Übergang zu einer Netto-Null-Wirtschaft oder der wachsenden Bedeutung Chinas. Im Hinblick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit stehe die EU vor der Frage, nach außen gerichtet zu bleiben oder sich weiter nach innen zu wenden. Dabei dürfe die Europäische Union nicht vergessen, warum sie als Wirtschafts- und Investitionsstandort attraktiv ist.

Aus Sicht des lettischen Handelskommissars ziehe die EU ihre Wettbewerbsstärke und politische Stärke aus ihrer Position als Handelssupermacht. Wirtschaftliche Stärke lasse sich durch Handel erreichen. Handel wiederum führe zu einer Win-win-Situation der Partner und zu Effizienz. Aus einer Abschottung von der Welt resultiere laut Dombrovskis dagegen ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandskraft. Deshalb müssten die bilateralen Handelsabkommen beschleunigt werden. Neben Gesprächen mit den Mercosur-Staaten zählten auch Verhandlungen mit Indien, Indonesien, Australien und Mexiko dazu.