Ein Jahr und neun Monate Gefängnis ohne Bewährung. Eine ungewöhnlich hohe Strafe fordert die Staatsanwältin im Saal des Amtsgerichts Ansbach für den heute 44-jährigen Landwirt aus Mittelfranken, der vor einem Jahr seine Mastrinder verdursten und verhungern ließ. Der Mann, der auch eine Biogasanlage betreibt und zudem Lohnarbeiten übernahm, war unter der Last der täglichen Aufgaben zusammengebrochen: wirtschaftliche Probleme, der unumgängliche Papierkrieg auf einem landwirtschaftlichen Betrieb, und gewiss nicht zuletzt der extrem belastende Vater-Sohn-Konflikt daheim. „Da ist etwas eskaliert“, sagt Ottmar Braun vom BBV Mittelfranken, der am Prozesstag im Zuschauerraum saß.
Eineinhalb Jahre auf Bewährung: So lautet am Ende das Urteil für die tödliche Vernachlässigung der 217 Rinder. Der Verteidiger Marc Zenner aus Würzburg, spezialisiert auf Agrarrecht, nennt das Urteil gegenüber dem Wochenblatt „durchaus angemessen, aber angesichts der an der Grenze zur Schuldunfähigkeit liegenden gesundheitlichen Verfassung unseres Mandanten auch durchaus hart.“ Die Aussetzung zu Bewährung sei für ihn „eine Selbstverständlichkeit“ gewesen. „Die Sozialprognose für unseren Mandanten könnte besser nicht sein.“
Nach außen sollte alles tiptop sein
„Qualvoll“, so heißt es in der Berichterstattung immer wieder, seien die Rinder zugrunde gegangen. Sie hatten in ihrer Not Balken angefressen und verzweifelt versucht, Kondenswasser von den Wänden zu lecken. Der Landwirt versuchte das Drama, das sich im Inneren abspielte, nach außen zu verbergen. Pressefotos, die erst nach dem Abtransport der vielen, teils verwesten Kadaver gemacht wurde, zeigen ein gepflegtes Gebäude. Nach außen sollte bei dem Landwirt immer alles tiptop sein.
Etwa 50 Tiere leben noch, als am Pfingstwochenende 2021 die Polizei einem anonymen Hinweis nachgeht. Spaziergänger haben den Gestank wahrgenommen. Normalerweise ist dort, Hunderte Meter vom kleinen Dorf entfernt, niemand unterwegs. Als die Polizei sich nach dem Hinweis beim Landwirt meldet, legt er schnell selbst das ganze Ausmaß der Katastrophe offen, räumt alles ein und packt beim Entsorgen der toten Rinder mit an. Danach begibt er sich freiwillig in psychiatrische Behandlung.
Der Landwirt hatte über viele Jahre einen blitzsauberen Betrieb geführt. Als seine Frau ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr im Stall helfen konnte, stieg er von Milchvieh auf Mastrinder um. Abends engagiert er sich im Gemeinderat und bei der Feuerwehr. Auch seine Frau ist ehrenamtlich aktiv. Was in der Familie gärt, bleibt hinter den Mauern des Wohnhauses, aber trotzdem nicht allen verborgen. Die Dorfbewohner wissen durchaus von dem Konflikt mit dem Vater, dem es der Sohn „nie Recht machen“ konnte, wie es heißt.
Offensichtlich hatte vor Pfingsten 2021 monatelang kein Familienmitglied einen Fuß in den Stall gesetzt. Sonst wäre wohl früher etwas unternommen worden. Doch das Unglück nahm seinen Lauf. Corona war das entsetzliche Tüpfelchen auf dem i, der Mastbetrieb wurde seine Tiere nicht los, kam in Zahlungsverzug. Die offenen Rechnungen ließ der Landwirt irgendwann ungeöffnet liegen. Weil es kein Vereinsleben mehr gab, fiel auch nicht weiter auf, dass der sonst so rührige Kerl völlig von der Rolle war. Alkohol kam ins Spiel. Um überhaupt noch schlafen zu können, waren irgendwann allabendlich neun Halbe nötig.
Eineinhalb Jahre auf Bewährung ist „eine hohe Strafe“, befindet selbst die Tierschutzorganisation PETA auf ihrer Website. Dass der Gutachter dem Angeklagten vor Gericht verminderte Schuldfähigkeit attestiert, hält PETA gleichwohl nicht von der Behauptung ab, der Mann habe seine Tiere „mutwillig“ verhungern lassen.
Wurden gezielt Emotionen geschürt?
Der Familienvater, dessen wirtschaftliche und private Probleme im Gerichtssaal detailliert ausgebreitet wurden, akzeptiert das Urteil sofort. BBV-Geschäftsführer Braun, der den Angeklagten kennt und der Familie beistand, bekräftigt: Der Landwirt sei zu jedem Zeitpunkt kooperativ gewesen, habe Einsicht und Reue gezeigt. Anwalt Zenner macht deshalb aus seinem Ärger über die Staatsanwaltschaft kaum einen Hehl: Deren Verhalten sei „sehr kritisch“ zu sehen. Sie habe, statt die Tragödie sachlich aufzuarbeiten, augenscheinlich öffentlichkeitswirksam „gezielt Emotionen geschürt“.
Der Strafrahmen für Tierquälerei reicht von einer Geldstrafe bis zu drei Jahren HaftEine Geldstrafe von 8400 Euro musste 2016 ein Nebenerwerbslandwirt aus dem Landkreis Straubing-Bogen zahlen, der 15 Rinder verhungern ließ. Dass der Strafrahmen ausgeschöpft wird, geschieht bisher selten. Zu drei Jahren Haft wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz wurde Ende 2021 ein 32-Jähriger aus Weiden verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Mann hatte Kleintiere sadistisch gequält. Er warf Ratten lebendig in eine heiße Pfanne, steckte sie in die Mikrowelle, schnitt ihnen die Pfoten ab. Alles filmte er mit dem Handy und machte sich über das Leid der Tiere lustig.
Die Medien berichten groß
Die Süddeutsche Zeitung breitet den Ansbacher Fall am Tag nach der Urteilsverkündung auf einer ganzen Seite aus. Der Artikel beginnt mit einer quälend detaillierten Schilderung des langsamen Sterbens. Auf 60 Zeilen verhungert ein Rind. Das zu lesen ist schmerzhaft. Der Autor fragt: Wie sehr entschuldigt das Leiden eines Landwirts das Leiden und Sterben seiner Tiere?
„Sobald Tiere im Spiel sind, haben sich Wertmaßstäbe erkennbar verschoben“, stellt Rechtsanwalt Zenner fest. Es stimmt ihn bedenklich: „Bei aller Tragik und anzuerkennenden Strafwürdigkeit besteht ein Unterschied zwischen Mensch und Tier, der offenbar immer weiter verschwimmt.“ Das lasse sich an der Emotionalität der Öffentlichkeit, häufig geschürt von Tierschutzverbänden mit eigenen monetären Interessen, erkennen. Zenner beobachtet eine zunehmende Vermenschlichung von Haustieren, die auch auf Nutztiere übertragen wird.
Erneut ein Fall von "Überforderung"
In der SZ steht: „Thomas S. und seine 171 Rinder sind kein Einzelfall“. Dem widerspricht Ottmar Braun, der Geschäftsführer des BBV Mittelfranken, vehement: „Wir haben 140000 Mitgliedbetriebe. Wenn ich mir die in den letzten Jahren bekannt gewordenen Fälle anschaue, bewegt sich das im Prozentbereich von einigen Stellen hinter dem Komma.“ Gleichwohl: Noch während der Prozess in Mittelfranken läuft, werden auf einem Hof im Landkreis Straubing-Boden erneut tote Tiere gefunden. Acht Kühe sind tot, drei bereits skelettiert. Elf Rinder stehen stark verdreckt im eigenen Kot. Und wieder spricht ein Mitarbeiter des Landratsamts von „Überforderung“.
Die Süddeutsche zitiert einen Ulmer Gerichtssprecher , der sich angesicht des gestiegenen Interesses an Strafprozessen gegen Landwirte fragt, ob sich „die Justiz in dieser Frage neu positionieren“ und eventuell den Strafrahmen erhöhen muss. Zenner hingegen rät den Gerichten, sich vom öffentlichen Druck nicht beeinflussen zu lassen und den vorgegebenen Strafrahmen mit Bedacht zu nutzen, statt ihn immer weiter auszureizen. Eine Strafverschärfung brauchen es nicht. Der Agrarrechtler warnt eindringlich davor, Tierschutzverstöße im Vergleich zu anderen Delikten unangemessen scharf zu bestrafen. „Tierhalter stehen unter mannigfaltigen Druck: Es bleibt zu hoffen, dass nicht noch mehr unter diesem Druck zusammenbrechen. Ansonsten erleben wir derartige Fälle in Zukunft noch öfter.“