
In Brüssel stand gestern (29.11.) das Thema der Novelle der EU-Gentechikgesetzes wieder auf der Tagesordnung. Bereits im Vorfeld meldeten sich zahlreiche Gentechnikgegner. Dabei ging es bei der High-Level-Konferenz der EU-Kommission zu neuen genomischen Züchtungstechniken (NGT) zunächst nur um eine Anhörung verschiedener Experten aus allen Bereichen.
Für das Nutzen neuer Züchtungsmethoden hat sich der geschäftsführende Direktor der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), Dr. Bernhard Url, ausgesprochen. Mit Blick auf eine sichere und umweltgerechte Nahrungsmittelversorgung, sei es dringend geboten, keine Produktionsweisen beziehungsweise -techniken bereits im Vorfeld kategorisch auszuschließen, erklärte Url. Der Österreicher betonte aber auch, dass bei neuen Pflanzenzuchtmethoden wie CRISPR/Cas eine hinreichende Risikoabschätzung unabdingbar sei. In dieser Hinsicht befinde sich die EFSA neuer gesetzlicher Regelungen in engem Kontakt mit der EU-Kommission. Mitte 2023 will die EU eine entsprechende Novelle vorlegen.
Experte: Genschere nicht von Natur zu unterscheiden
Prof. Ralf Wilhelm vom Julius Kühn-Institut (JKI) erklärte derweil, dass seiner Auffassung nach eine „dynamischere Regelung“ für NGT geschaffen werden müsse. Gegenwärtig gebe es keine stichhaltigen Hinweise, dass es eine größere Wahrscheinlichkeit für noch unentdeckte Risiken gebe. Er verwies darauf, dass sich Änderungen an Pflanzen über das Genome-Editing praktisch nicht von einer natürlichen Mutagenese unterscheiden ließen.
Der Subgeneraldirektor im spanischen Landwirtschaftsministerium, José Antonio Sobrino Maté, drängte darauf, dass die Politik mehr und genauer auf die Wissenschaft hören müsse. Es gebe keine objektivere Stimme als die Wissenschaft. Auch er bekräftigte die Forderung nach einer NGT-freundlicheren EU-Gesetzgebung. Sobrino Maté gab zu bedenken, dass das Ziel der Pflanzenschutzmittelreduktion nicht ohne neue Züchtungsmethoden erreicht werden könne, ohne zugleich massive Ertragseinbußen befürchten zu müssen.
Zweifel am Nutzen neuer Techniken
Sehr kritisch zu den neuen Züchtungsmethoden äußerte sich dagegen die Berichterstatterin des Umweltausschusses im EU-Parlament für die Farm-to-Fork-Strategie, Anja Hazekamp. Laut der Niederländerin ist derzeit nicht hinreichend untersucht, inwieweit NGT möglicherweise doch Risiken mit sich bringen könnten. Ihrer Meinung nach benötige die rund 20 Jahre alte EU-Freisetzungsrichtlinie, anders als von der Kommission geplant, keine Änderungen.
Das Vorstandmitglied vom European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER), Dr. Riccarda Steinbrecher, erklärte indes, dass die Wissenschaft mitnichten einheitlicher Meinung sei, was die Bewertung der neuen Züchtungstechnologien angehe. Auch sei der postulierte Nutzen vieler NGT bisher noch kaum hinreichend dargelegt. Gleiches gelte im Übrigen auch für die potentiellen Risiken.
Die Aussage von Steinbrecher ist Wasser auf die Mühlen der Umwelt- und Ökoverbände. Nach Auffassung von Bioland-Präsident Jan Plagge werden neue Gentechniken wie CRISPR/Cas häufig als große Hoffnungsträger angesehen, die viele Probleme in der Land- und Ernährungswirtschaft auf einmal lösen: Sie sollen zur Ernährungssicherung, zum Erhalt der Artenvielfalt und zur Klimaanpassung der Landwirtschaft beitragen. „Aber das ist ein großer Fehler, die Erwartungen an diese neuen Gentechniken sind unrealistisch und basieren größtenteils auf reinen Annahmen,“ wettert Plagge.
Demeter fordert die neue Bundesregierung auf, sich klar für Verbraucherschutz, Sicherheit für die Lebensmittelbranche und Umweltschutz als wichtigste Leitlinien auf EU-Ebene positionieren. So dürfe das Gentechnikrecht nicht aufgeweicht werden.
Verbändebündnis fordert mehr Offenheit
Ganz anderer Auffassung als die Ökoanbauverbände sind 22 Verbände der Agrar-, Gartenbau- und Ernährungswirtschaft haben ein Positionspapier zum Umgang mit neuen genomischen Techniken in der Landwirtschaft vorgelegt. Das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel, die Züchtung von klimarobusten Pflanzen zu unterstützen, begrüßen sie dabei ausdrücklich. Unverständlich ist hingegen, dass das Potenzial der neuen genomischen Techniken in diesem Zusammenhang unerwähnt bleibt.
Die deutsche und europäische Landwirtschaft stehen vor großen Herausforderungen: Ernährungssicherung, Bewältigung des Klimawandels, Schutz von Umwelt und Biodiversität bei gleichzeitiger Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Umsetzung der Farm-to-Fork-Strategie („Vom Hof auf den Tisch“) der EU-Kommission und das konkrete Ziel der neuen Bundesregierung, 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 zu erreichen, werden Einfluss auf die Produktivität der landwirtschaftlichen Erzeugung in Europa haben. Weitere Innovationen im Pflanzenbau und der Pflanzenzüchtung sind daher laut dem Verbändebündnis dringend erforderlich, um Ertragseinbrüche zu vermeiden.
„Dafür brauchen wir auch geeignete Werkzeuge, die außerhalb Europas bereits zum Standard gehören, wie die Genschere CRISPR/Cas”, so Dr. Henning Ehlers, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbandes e. V.